Bayerische Staatsoper: “Tristan und Isolde” – 11.7.2013

Vorhang auf für Weltennacht und Urvergessen, für Liebestod und –wahn, für der Balsamtränke Wundermacht und den berühmten Tristan-Akkord! Wenn man es recht bedenkt, ist das schon der fortgeschrittene Wahnsinn, was die Staatsoper hier mit ihrem Wagner-Verdi-Geburtstags-Gipfel aufführt, da bringt man mal eben einen Tristan sozusagen als Vorspeise zu einer kompletten Ring-Aufführung, die zwei Tage später startet, serviert einige Verdi-Opern (darunter zweimal den Don Carlo) als Zwischengang und schließt das Festmahl noch mit Parsifal… Gelegenheit also, allen hauseigenen Kräften, dem Chor, Orchester und technischen Stab zur Halbzeit schon mal ein riesiges Kompliment rüberzuschicken! Wagner? Hört und liest man nicht ständig, dass man dessen kolossale musikalische Dramen heute gar nicht mehr besetzen kann? Bis nach München scheint diese „Erkenntnis“ allerdings noch nicht durchgedrungen zu sein – denn hier macht man es einfach. Krise des Wagner-Gesanges? Findet offenbar anderswo statt.

Seit November 2007 hat Kent Nagano hier eine Reihe von Tristan-Aufführungen dirigiert, die meisten davon habe ich gehört. Und doch – so wie an diesem Abend habe ich Nagano den Tristan noch nicht dirigieren gehört. So drängend, so leidenschaftlich, mit solcher fiebrigen Besessenheit und leidenschaftlicher Emphase wie diesmal. Da gab es kein gediegenes Sich-hineintasten in die Partitur wie das ab und zu schon vorgekommen war, hier ging es in medias res. Die sehnsuchtsvoll-schmachtenden Passagen kostete er noch mehr aus als sonst (die Netto-Spielzeit lag um fast sieben Minuten über derjenigen der letzten Serie im März!), startete in den großen dramatischen Ausbrüchen aber auch richtig durch. Wie er und Tristan sich in diesem ungeheuren dritten Akt gegenseitig antrieben und einander in die pure Raserei steigerten, war schon kaum noch zu glauben, da wurden Schranken niedergerissen und Wagners pure psychotisch-wonnevolle Inbrunst des Schmerzes freigesetzt, das hatte Drogencharakter, das war nicht jugendfrei. Ohne mich jetzt über das Durchschnittsalter des Festspielpublikums auslassen zu wollen… Nachzutragen bleibt noch, dass Nagano vorige Woche mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde; herzlichen Glückwunsch, Maestro! Dass diese Ehrung dem Haus keinerlei (!) Erwähnung oder Würdigung wert war, ist schon einigermaßen… sagen wir mal: befremdlich. Es sei damit zumindest an dieser Stelle nachgeholt.

Nagano Orden

Maestro und Ministerpräsident bei der Ordensverleihung (Pressefoto)

Tristan ist als Werk ja schon Hardcore-Oper für alle Beteiligten auf beiden Seiten der Bühnenrampe und das in jeder Hinsicht: musikalisch, stimmlich, physisch und emotional. Mit tenoralen Schattenparkern und Kuschel-Klassik-Barden ist hier ganz schnell Ende Gelände, da braucht man schon eine gestandene und erstrangige Fachkraft wie Peter Seiffert. „Peter der Große“ gehört nicht umsonst seit gut zweieinhalb Jahrzehnten zu den Marktführern im Heldenfach und auch diesmal wusste er seine zahlreichen Anhänger zu begeistern. Seiffert verfügt über einen organisch entwickelten, echten Heldentenor mit opulenter, abgerundeter Mittellage, mühelos aufblühender Höhe und beeindruckender dramatischer Strahlkraft. All diese Qualitäten kennt man von ihm, auch aus früheren Tristan-Vorstellungen. Und doch, an diesem Abend kam noch etwas dazu, was ich so von ihm selten gehört habe: eine so leidenschaftliche Inbrunst des Ausdrucks, ein bedingungsloser Gestaltungswillen ohne Rücksicht auf Verluste. Vor allem in besagtem dritten Akt, im geradezu ekstatischen Dialog mit dem grandios auftrumpfenden Staatsorchester. Dass ihn hier zuweilen der Text verließ und im Eifer des Gefechtes die eine oder andere Phrase ein wenig klemmte, nahm man gerne hin, gelegentliche kleine Aussetzer erhöhten hier sogar die emotionale Glaubwürdigkeit seines Vortrags. Tristan war also schon mal vorhanden. Und Isolde? Leider nicht. In den diversen Rollen des jugendlich-dramatischen Fachs hat Petra-Maria Schnitzer unbestritten ihre Meriten; aber für Isolde ist die Stimme einfach eine bis zwei Nummern zu klein. Wirklich zu hören war sie nur in den ganz leisen Ruhepunkten des Orchesters, hier kam die Schönheit und Musikalität der Stimme zum Tragen. Allerdings war es aus mit der Herrlichkeit, sobald das Orchester auch nur ein Forte anschlug und die großen dramatischen Ausbrüche überforderten sie auf der ganzen Linie. Dass sie sich hier keinen Gefallen getan hat, wurde ihr beim Solo-Vorhang auch kundgetan… Zwanzig magische Minuten dagegen ereigneten sich, einmal mehr, am Ende des zweiten Aktes. Die König Marke-Minuten. Die René Pape-Minuten. Allein dieser eine, kurze und doch gnadenlos maßstabsetzende Auftritt lohnte das Kommen. Ein Labsal, ein energetisches Strömen von balsamischen Basstönen in perfekter Linienführung, eine Demonstration ersten Ranges. Zu hören, wie dieser großartige Künstler sich in den letzten Jahren immer noch weiterentwickelt hat, an Präsenz und Persönlichkeit zugelegt und seinem Material immer noch mehr Farben und Nuancen abgewonnen hat, anstatt sich nur auf die pure Fülle und Schönheit seines Materials zu verlassen, ist eine Wonne. Der natürlich nach wie vor unvergessene Premieren-Marke Kurt Moll hat einen würdigen Nachfolger gefunden. Zu den Aktivposten des Abends gehörte auch Markus Eiches kernig und im dritten Akt auch sehr anrührend gesungener Kurwenal, der mit jedem seiner Auftritte Leben in die Bude brachte. Dagegen hat Ekaterina Gubanova durchaus schon überzeugendere Brangänen gesungen, sie kam diesmal arg blass und beinahe ein wenig lustlos rüber. Ulrich Reß (junger Seemann), Kevin Conners (Hirte) und Christian Rieger (Steuermann) ergänzten mit routinierten Auftritten den Abend.

BSO Tristan1         BSO Tristan2

Auf hoher See und im tiefen Walde (Fotos: Wilfried Hösl)

Die Inszenierung von Altmeister Peter Konwitschny ist ja hinlänglich bekannt und liegt auch auf Silberscheibe vor. Von den drei Wagner-Inszenierungen, die Konwitschny am Haus erarbeitet hat, ist diese vergleichsweise die schwächste; vor allem, weil sie die von ihm gewohnte ästhetische und deuterische Geschlossenheit vermissen lässt. Auch bei häufigem Sehen habe ich immer noch den Eindruck, als stamme jeder Akt von einem anderen Regisseur; solide der erste, weitgehend missglückt der zweite und faszinierend der dritte.

Man darf gespannt sein, ob die Produktion nach der Wagner-Pause der nächsten Saison wieder in den Spielplan zurückkehrt; denn dass der neue GMD Kirill Petrenko zum Thema Tristan auch einiges zu sagen hat, davon hat man sich andernorts schon überzeugen können.

 

 

One thought on “Bayerische Staatsoper: “Tristan und Isolde” – 11.7.2013”

  1. Jaja, jetzt von der Nagano geht, kommt Sentimentalität auf, da wird so ein Tristan schnell zum emotionalen Abschiedsgruß. Da soll jeder nochmal sagen können: Nagano. Ich war dabei. Das gibt’s nie wieder …

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