Oud! Oud? Schonmal gehört? Nein, war noch nie die Halbmillion-Frage bei Günter Jauch… Ist auch nichts zum Essen, sondern eher zum Umhängen; eine arabische Kurzhals-Laute nämlich. Und eine solche Oud ist es, die, von Hazem Kanbour gespielt, diesen Abend eröffnet, im Trio mit Yassar Dogan an der Sass und Ahmad Shakib Pouya am Harmonium. Sollte das hier nicht Mozart sein? Doch schon, auch. Vor allem aber ist Zaide. Eine Flucht. der neueste Coup von Cornelia Lanz und ihrem Verein Zuflucht Kultur e.V., mit dem die Sängerin im letzten Jahr jene aufsehenerregende Tourneeproduktion von Così fan tutte erarbeitet hat. War die Mitwirkung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien da noch eher ein bemerkenswerter Zufall gewesen, so haben Cornelia Lanz und ihr Team dieses Konzept nun nochmal weitergedacht und ausgearbeitet, indem sie nicht nur über den kodifizierten Text hinaus Mozarts Musik mit Texten, Musiken und Inhalten kombiniert, sondern auch als politische Flüchtlinge in Deutschland lebende Künstler einbezogen haben. Ob man das Ergebnis noch als Mozart-Oper „durchgehen“ läßt oder darin eine integrative Performance nach Mozart-Motiven sehen will, ist jedem Zuschauer selbst überlassen; in jedem Fall setzt der Abend ein unüberhörbares Signal, in menschlicher und künstlerischer, aber auch in politischer Hinsicht und hat als Ganzes unbedingten Bekenntnischarakter.
Das von Mozart 1780 komponierte und Fragment gebliebene Singspiel Zaide ist für den Anlass aus mehreren Gründen ein Glücksfall: zunächst kennt dieses Werk eigentlich niemand und zum anderen spielt es, der populären Entführung aus dem Serail nicht unähnlich, im Orient und hat Konflikte, Bedrohung und Flucht zum Inhalt. Da die dramaturgische Struktur so locker ist und eigentlich nur aus einer Aufreihung von Arien besteht, bietet es wie kaum eine andere Oper die Möglichkeit, hier korrespondierende Inhalte zu integrieren und damit eine neue Bedeutungsebene aufzumachen. Genau dies hat die Produktionsdramaturgin Nora Schüssler getan, indem sie um die erhaltenen Arien und Duette von Mozart herum die geflohenen Künstler aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Nigeria ihre individuellen Lebensgeschichten erzählen lässt. Dies geschieht entweder, wie in der erwähnten Eingangsszene, durch Lieder und Musik, aber auch durch gesprochene Erzählung und Erfahrungsberichte sowie, auf einer metaphorischen Ebene, durch ein orientalisches Märchen, das stückweise von einem Sprechchor aller Mitwirkenden vorgetragen wird. Der Kontrast zwischen diesen Einblicken und den heute schon arg eingestaubt wirkenden Arientexten des – durchaus nicht zu Unrecht vergessenen – Librettisten Johann Andreas Schachtner könnte stärker kaum sein, gibt dem Geschehen aber auch eine spannende Dynamik. Ein weiteres zentrales Element der Dramaturgie wie der Inszenierung ist auch die Aufteilung der Hauptrollen in bis zu drei Darsteller; so wird Zaide eben nicht nur von Cornelia Lanz gesungen, sondern auch von Esther Jacobs-Völk getanzt und von Berna Celebi gesprochen. Das ist zwar auch ein Theater-, bzw. Dramaturgentrick älteren Semesters, macht hier aber Sinn, da so die Zerrissenheit, ja die beinahe schizophrene Situation von Menschen auf der Flucht, deren Traumatisierung, Isolation und Identitätsverlust, gespiegelt wird. Von den Übergängen her ist das durchgehend sehr gut getimed und funktioniert erstaunlich harmonisch, ebenso wie die Integration von Mozarts Musik in den Gesamteindruck. Die Regie von Julia Huebner setzt in der Brecht-Stadt Augsburg und auf der Brecht-Bühne ganz auf Reduktion und Konzentration und läßt den Mitwirkenden breiten Raum für ihre Geschichten, setzt diese aber auch ganz direkt und unpretenziös in Szene; Geschichten und Texte um Trauer und Verlust, Zukunftsangst und Hoffnung, gepanzerte Grenzübergänge und bahnbrechenden Willen. Der von Xaver Unterholzner gestaltete Raum besteht zunächst aus bergartig aufgetürmten Podesten und Trittstufen, die von allen Seiten bespielt werden, auch die Orchestermusiker sind teilweise an dessen Hängen platziert. Das ist gut gemachtes, originelles und bewegend umgesetztes Theater von großer emotionaler Kraft und Glaubwürdigkeit.
Die drei Zaiden: Cornelia Lanz, Esther Jacobs-Völk, Berna Celebi (Foto: A.T.Schaefer)
Das gilt zumindest für den ersten Teil des Abends. Denn nach der Pause nimmt das Ganze eine nicht unproblematische Wendung: jetzt dreht nämlich mit einem Mal die Perspektive nach dem Motto „Was wäre, wenn WIR in ein anderes Land, in eine andere Gesellschaft fliehen müßten?“ Leider verlieren Konzept und Inszenierung nach der Pause deutlich an Konzentration und Stringenz, die vermutlich beabsichtigte satirische Erzählweise übersetzt sich nicht wirklich, die Abfolge wird beliebiger, die einzelnen Szenen wirken gestellt, etwa wenn das Flüchtlingspaar sich mit unverständlichen Formularen, selbstherrlichen Beamten und fremdländischen Kochgewohnheiten herumschlagen muss… Das ist alles ganz gut gemeint, wirkt aber nach der Begegnung mit den echten Flüchtlingen und ihren Erfahrungen zwangsläufig banal; hier kommt dann doch etwas die Holzhammer-Didaktik raus. Den gedanklichen Planspielen fehlt es an Authentizität wie an Fallhöhe und es schleicht sich eine gewisse Beliebigkeit ein. Da passt es auch ins Bild, dass die Hauptpersonen nun wieder zum größten Teil als Sänger auftreten und die Doubles nur noch einige Alibi-Auftritte haben. Gelungen ist dann wiederum der Schluß: zum Finalensemble von Zaide tritt ein uniformierter Büttel auf, der einen Mitwirkenden nach dem anderen mit mehr oder weniger Gewalt aus dem Saal abschiebt und schließlich mit dem Ruf „Alle Musiker raus!“ auch das Orchester rauswirft, während auf der Leinwand für die Übertitel einige aktuelle Fakten und Zahlen zum Thema Flucht und Migration durchlaufen. Am Ende bleiben nur noch die drei Musiker vom Beginn übrig und schließen den Kreis. Ein Finale, das dem Namensgeber des Ortes würdig ist. Dennoch: der Dynamik des Abends hätte es besser getan, das Ganze etwas zu kürzen und ohne Pause in einem durch zu spielen.
Das Ensemble (Foto: A.T.Schaefer)
Dabei wurden Kondition und Nervenstärke aller Beteiligten vor der Pause ordentlich auf die Probe gestellt: die hochsommerliche Hitze hatte nämlich die Air Condition wie auch den Stellwerkscomputer außer Gefecht gesetzt; es herrschte also richtig dicke Luft und die Beleuchtung machte zunächst was sie wollte… Und das war selten das, was beabsichtigt war und erst nach der Pause tat die Technik wieder wie ihr geheißen. Verschärfte Bedingungen also für Publikum und Ensemble, da durfte man den einen oder anderen kleinen Aussetzer oder Intonationstrübung nicht auf die berühmte Goldwaage legen. Ein paar mehr davon hatte lediglich der Bariton Kai Preußker als Allazim zu beklagen, der heftig um eine saubere Fokussierung seines eigentlich kernigen Materials zu kämpfen hatte. Zaides Lover mit dem schönen Namen Gomatz wurde gesanglich von Philipp Nicklaus mit Unterstützung des syrischen Schauspielers Houzayfa Al Rahmoon und des Musikers Ahmad Shakib Pouya vergegenwärtigt, Nicklaus‘ hell timbrierter und klar artikulierender Tenor fühlt sich stilistisch bei Mozart zu Hause, dürfte aber auch im Konzert- und Oratorienbereich reüssieren. In Zaide ist auch der Gegenspieler, Sultan Soliman, mit einem Tenor besetzt und der türkische Sänger Onur Ertür beeindruckte nicht nur mit seiner Statur und szenischen Beweglichkeit, sondern auch mit raumgreifender und äußerst individuell timbrierter Stimme; das könnte mal ein Herodes in Salome werden. Sein Double war der aus dem Irak stammende „Performance Artist“ Ayden Antanyos, der laut Programm in seiner Heimat auch als Schauspieler und Kameramann tätig war. Ivo Michl und Yasar Dogan teilten sich die Rolle des Wächters, der praktischerweise auch in Zaide schon Osmin heißt, und die gesprochenen Erzählungen wurden von Khaled Alhussein und Ayman Almasri vorgetragen, die so betitelten „Voices of Africa“ von Ewere Tim Aizee, Francis Ezegbebe, Colins Igbinoba und John Caro.
Virtuosität und Sinnlichkeit: Cornelia Lanz (Zaide) – Foto: A.T.Schaefer
Die Titelfigur sticht schon in der Vorlage besonders heraus, nicht nur weil sie mit dem einstigen Wunschkonzert-Klassiker „Ruhe sanft, mein holdes Leben“ die einzige halbwegs bekannte Arie des Stücks zu singen hat, sondern auch weil sie der noch am ehesten differenzierte Charakter des hölzernen Librettos ist und Mozart dementsprechend seine melodischen Erfindungen hauptsächlich auf ihren Part konzentriert hat. Gerade diese Kombination von Sanftmut, Sinnlichkeit, Courage und weiblicher Schlauheit wird durch die Dreiteilung besonders sinnfällig: die nigerianische Tänzerin und Choreographin Esther Jacobs-Völk ist für den extrovertierten Part zuständig, ihr großes Tanz-Solo mit Trommelbegleitung im ersten Teil wurde begeistert beklatscht. Dagegen vertritt die türkische Schauspielerin Berna Celebi mit nuanciertem Vortrag die rationale Seite Zaides. Die gesangliche wird natürlich von Cornelia Lanz persönlich übernommen, die einmal mehr mit höchster Virtuosität und lyrischer Innenschau begeistert und alle Facetten der Figur in sanft glühenden, bruchlos fließenden Mezzo-Schmelz gießt; beide Extreme der Partie, das lyrische „Ruhe sanft…“ und die heroisch auftrumpfende Arie „Tiger, wetze Deine Krallen“ – fast schon eine Vorstudie zu Konstanze in der Entführung – meistert sie mustergültig und stilsicher.
Das orchestrale Unterfutter der Produktion liefern hochkarätige Musiker aus verschiedenen süddeutschen Symphonieorchestern aus München, Stuttgart, Augsburg und Ulm unter der temperamentvollen Leitung von Gabriel Venzago. Das ist ein gepflegtes Orchesterspiel und umsichtige Sängerbegleitung, auch wenn die Partitur wenig Profilierungsmöglichkeiten für den Dirigenten bietet.
Bevor sich das Premierenpublikum auf das im Foyer aufgebaute syrische Spezialitätenbüffet stürzte, stellten sich die Mitwirkenden einer Fragerunde und boten interessante, bewegende und aufrüttelnde Einblicke in die gemeinsame Arbeit und den eigenen künstlerischen Background. Nicht verschwiegen sei jedoch, dass noch am Nachmittag Angehörige einer örtlichen Nazi-Gruppierung auf dem Augsburger Moritzplatz eine Kundgebung abhalten und ihren Müll absondern durften… Gegen solche unbelehrbaren Hohlbirnen helfen leider keine Arien, sondern nur die ganze Härte der Justiz.
Weitere Informationen: www.zufluchtkultur.de
Nächste Aufführungen: 1.Oktober in der Stadthalle Oberndorf, 3. Oktober Stadthalle Biberach, 4. Oktober Roxy Ulm und 6. Oktober im Theaterhaus Stuttgart