Ach ja, das Landleben…! Ein Hort des Friedens, der Gemeinschaft und der Symbiose zwischen Mensch und Natur; jedenfalls bevor irgendein Bösnickel Monsanto, Massentierhaltung, Glyphosat und den ganzen anderen Dreck erfunden hat. 1801 jedenfalls war die Welt noch in Ordnung, fröhliche Bauersleute säten, hegten und ernteten die Früchte des Feldes, gingen auf die Jagd, betranken sich mit Verve zur Feier der Ernte und sammelten sich in kalter Winternacht in muckelig warmer Stube zu Handarbeiten und Geschichten… Zumindest sah man es so durch die idyllisch rosarot getönte Brille des adelig-aufgeklärten Großstädters.
In jenem Jahr 1801 schrieb der notorische Baron Gottfried van Swieten, der bereits drei Jahre zuvor das Textbuch der Schöpfung verbrochen hatte, nämlich ein weiteres Oratorium für Joseph Haydn: Die Jahreszeiten. Der große Kassenschlager sind diese von Anfang an nicht gewesen und stehen denn auch bis heute ganz tief im Kernschatten des populäreren Vorgängerwerkes. Nun hat GvS in den Jahreszeiten die Schöpfung nochmal getoppt und sein Textbuch mit Lyrik-Perlen bestickt, die nun wirklich jedweder Beschreibung spotten und einige Male für raumfüllendes Kollektiv-Kichern im ausverkauften Herkulessaal sorgten… Sätze wie „Außen blank und innen rein, muss des Mädchens Busen sein… Fleißig, fromm und sittsam sein, locket wackre Freier!“ oder „Die Mädchen, groß und klein, dem Obste das sie klauben, an frischer Farbe gleich“ sind da durchaus typisch. Ansonsten huldigt der Autor auch diesmal einem idealistisch-humanistischem Welt- und Gottesbild, verklärt und verkitscht zur Potenz, läßt ständig wackere Landmänner und -frauen mit fröhlichen Liedchen zur Arbeit eilen und zwischen Aussaat und Abendruhe noch weihevolle philosophische Betrachtungen in den Raum werfen…
Gewohnt energetische Pult-Performance: Simon Rattle bei der Probe im Herkulessaal (Foto: Bayerischer Rundfunk)
All dies hat Haydn lebhaft und abwechslungsreich vertont, der durchgehende Weiheton der Schöpfung wird hier abgelöst durch ein ungleich entspannteres musikalisches Idiom, auch wenn die kompositorische Struktur aus Orchesterüberleitungen, Chorsätzen, Rezitativen und Arien im Grundsatz sehr ähnlich ist. Wie Simon Rattle in einem seiner gewohnt launigen Interviews feststellt, hat das Stück mit den Jahreszeiten an sich eher wenig zu tun, die vier Abschnitte des Oratoriums erzählen vielmehr vom sich ewig wiederholenden Zyklus des Werdens und Vergehens, bei dem im Winter auch musikalisch unüberhörbar Schluß mit lustig ist; für heutige Ohren wirkt gerade der pathetisch-hochdramatische Schluß kaum mit den ersten zwei Stunden des Werkes kompatibel, hier schalten die Autoren in einen anderen Gang und lassen es rauschen wie in Händels Messias…
Kein Selbstläufer also, aber eine durchaus originelle Partitur, aus der man einiges rausholen kann. Simon Rattle, nunmehr bereits zum vierten Mal am Pult des BR-Symphonieorchesters zu Gast, erwies sich als Idealbesetzung für das Werk. Wie kaum ein anderer Dirigent besitzt Rattle ein Gespür für musikalische Bildhaftigkeit und Klangmalerei, sein Dirigat sprüht nur so vor Energie, Elan und Dynamik, die Entwicklungsprozesse des Jahres mit seinen Stationen und Stimmungen werden so plastisch herausgearbeitet, dass man die einzelnen Episoden fast vor sich sieht; sei es das erste Grün des Frühlings, die Tiere in Wald und Feld, die aufwallenden Gefühle des jungen Landvolkes für einander, die Festtagsstimmung, aber auch die Melancholie und Erstarrung des Winters, hier sind wir schon ganz nahe bei Schubert. Selbst die disparaten Pathos-Schübe und großen kosmischen Momente moderiert und integriert Rattle harmonisch in den sinfonischen Satz. Eine Meisterleistung, die durchaus Lust auf Wiederholungstaten macht. Der Wunsch, die Aufführung bald auf dem hauseigenen CD-Label des BR publiziert zu sehen, ist hiermit geäußert…!
Vokal verwöhnt wurde man an diesem Abend in erster Linie durch den wie immer grandiosen Chor des Bayerischen Rundfunks in der Einstudierung von Peter Dijkstra, eine einzige Demonstration, wie farbenreich, sprachmächtig und sinnlich Chorgesang sein kann. Von den drei Solisten konnte allerdings nur die Sopranistin Marlis Petersen auf diesem Niveau mithalten, mit ihrer glasklaren, schwebend leichten, und doch körperhaft präsenten Tongebung, dem blühenden Höhenglanz und ihrem glaubwürdig unpretenziösen Vortrag begeisterte die Künstlerin auf allen Ebenen. Eher rustikal als balsamisch klang dagegen das baritonale Material von Florian Boesch, zudem war auch die Gesangslinie nicht durchgehend frei von Manirismen und vokalen Überpointierungen à la Fischer-Dieskau. Dennoch reichte es zu einer genießbaren Interpretation; was man von dem Tenor Jeremy Ovenden leider nicht behaupten konnte… Im Würgegriff einer massiven Indisposition presste und quetschte der Sänger sich eine hart erkämpfte Phrase nach der anderen aus dem Hals; vollkommen unverständlich, dass hier keine Ansage seitens des Veranstalters gemacht wurde! Am zweiten, live im Radio übertragenen, Abend strich Ovenden denn auch die Segel und wurde vom Kollegen Andrew Staples ersetzt.
Das Publikum dankte auch zu später Stunde lautstark und ausdauernd.
Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,
Euer Fabius