Bayerische Staatsoper: “La Favorite” – 23./31.10.2016

Eiskönigin auf Egotrip

Es kann schon echt blöd laufen im Leben… Da will ein junger Mann unbedingt Mönch werden, hockt beim Beten zufällig neben einer schönen Frau und berührt sie am Finger; und schon werden Kloster, Kirche und Kasteiung über Bord geschmissen. Jetzt ist amore angesagt und zwar volle Kanne! Blöd nur, dass die Dame im Hauptberuf Mätresse des Königs ist… Als solche schickt sie den Verehrer, obwohl oder weil sie ihn eigentlich auch liebt, zum Bund, auf dass er Heldentaten vollbringe. Das geschieht auch, als Sieger kehrt er heim und wählt als Belohnung vom Monarchen die Hand ebenjener, unkund derer Identität. Da der König ihrer wiederum auf päpstliche Anweisung ohnehin entsagen muss, wird ein schmutziger Deal eingefädelt und die nunmehr Ex in die Ehe mit Fernand abgeschoben. Das geht schief, der Deal fliegt auf, alle sind empört oder tun zumindest so, er wirft mal wieder alles hin, flieht zurück ins Kloster, bekommt dort nochmal Besuch von der sterbenden Geliebten, verzeiht ihr (was eigentlich?) und will mit ihr die Biege machen, doch dazu kommt es nicht mehr.

Das ist in Kurzform der Plot von Donizettis La Favorite. Ein Muster an dramaturgischer Klarheit und Stringenz ist diese Oper gewiss nicht und das Verhalten des Protagonisten Fernand läßt sich selbst mit Tenorsein kaum erklären. Dennoch besitzt das Werk eine Menge musikdramatischen Sprengstoff, eine adffektgesättigte Dreiecksgeschichte im gesellschaftlichen und weltanschaulichen Spannungsfeld zwischen Staat und Kirche, die schon den Don Carlo anklingen läßt; abgesehen von großen Arien und dem herrlichen Schlußduett.

bso-favorite4Alle gegen Eine: Elīna Garanča (Léonor) wird vom Chor gedisst (Foto: Wilfried Hösl)

Wer sich darauf einläßt, das zu inszenieren, hat eigentlich mildernde Umstände verdient, zumindest dann, wenn man nicht die Rolle rückwärts schlagen und einen puren Kostümschinken abliefern will. Amélie Niermeyer hat sich nun an der BSO dieser Aufgabe gestellt und sicherlich ihr Bestes gegeben. Wirklich überzeugend ist das Ergebnis nicht, aber die vehemente Buh-Abfuhr am Premierenabend war dann doch etwas übertrieben; da haben wir hier wirklich schon anderen Regie-Murks erlebt. Gerade in diesem Stück, in dem eine Frau in so erbärmlicher Weise zur Ware gemacht und zwischen einem wankelmütigen, selbstmitleidigen Weichei und einem selbstsüchtigen und feigen Macho hin- und hergeschoben wird, wäre man auf eine moderne, feministische Interpretation gespannt gewesen. Auch die erwähnte unheilvolle Verzahnung von Krone und Kirche auf Kosten des Individuums wäre ein Thema für die Inszenierung. Leider bleibt Niermeyer in ihrer Regie zu sehr in Oberflächlichkeiten und Klischees stecken; die Personenführung ist zwar durchaus lebendig und es gibt in gut zweieinhalb Stunden bemerkenswert wenig Leerlauf und szenischen Stillstand und sogar den einen oder anderen erhellenden Moment; die stücktragende Idee aber sucht man vergebens. Schon zu Beginn wabert dichter Nebel über die komplett leere Bühne, eigentlich erwartet man, gleich den Es-Dur-Dreiklang des Rheingold-Vorspiels zu hören… Léonor und Fernand treten auf und spielen in einer konzentrierten Pantomime ihre wechselhafte Beziehung sozusagen in Kurzform. Mit Beginn des Stückes fahren hohe Kastenelemente aus Metall und Gaze ins Bild, die fortan in ständiger Bewegung, und gelegentlich von innen beleuchtet, immer neue Raumeindrücke schaffen; eine zwar praktikable, wenn auch nicht sonderlich originelle Lösung von Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau. Selbiges gilt für die Stühle, die der Chor hereinträgt und die fast für den Rest des Abends herumgeschoben und -geworfen werden; letzteres, wenn einer schlechte Laune hat. Das ist ebenso durchschaubar wie die Herrenanzüge, in die der Damenchor anfangs gesteckt wird und überhaupt die wenig attraktiven Kostüme von Kirsten Dephoff. Das Problem dieser Inszenierung ist, dass sie immer dann, wenn sie in die Tiefe gehen und suggestive Bilder liefern müßte, nur Standardlösungen aus dem Regietheaterkatalog zu bieten hat. Das alles ist professionell auf die Bühne gebracht und läßt sich anschauen, für eine wirklich werkdienliche Interpretation ist es aber zu wenig. Das gilt auch für die Zeichnung der Titelfigur selbst, die als Charakter zu blass und zu passiv bleibt, selbst die eigentliche Ursache ihres Todes übersetzt sich nicht.

bso-favorite2Hinter hohen Mauern (Foto: Wilfried Hösl)

Ob La Favorite zu Donizettis inspiriertesten und homogensten Partituren gehört oder nicht, darüber ließe sich sicher diskutieren; die stilistischen Anklänge an die französische Grand Opéra, einschließlich gewisser dramaturgischer Zugeständnisse, ergeben in Kombination mit italienisch orientiertem Leidenschaftsbelcanto eine interessante Mischung. Vor allem aber steckt doch deutlich mehr in dieser Musik, als das Staatsorchester unter der arg pauschalen und undifferenzierten Leitung von Karel Mark Chichon realisierte. Da klangen weder die französische Eleganz noch die italienische Emotionalität wirklich herausgearbeitet, sondern alles nur breit und knallig. Somit bestätigt Chichon den Eindruck, den er bereits in diversen Repertoirevorstellungen hinterlassen hat; da würde mir spontan eine relativ lange Liste von besseren und geeigneteren Dirigenten für so eine Aufgabe einfallen. Im Gegensatz zum Regieteam kam er allerdings ohne Mißfallensbekundungen davon…

Nun dürfte sich ein Großteil des Publikums von einer Donizetti-Oper in erster Linie ein Stimmfest erwarten. Dieses wurde, mit einigen kleineren Einschränkungen, auch geboten. Star des Abends ist natürlich Elīna Garanča in der Titelrolle der Léonor de Guzman. Mit ihrem seidig schimmernden Timbre, ihrer Gesangskultur und eleganten, hochmusikalischen Phrasierung ist die Lettin sozusagen die Luxusausgabe der Gattung Mezzosopran. Stimmlich spielt sie auch an diesen Abenden in einer eigenen Liga, in Sachen Stimmqualität und -schönheit, Technik und Stilgefühl kann ihr keiner der Kollegen das Wasser reichen, allein die große Soloszene „O mon Fernand“ im dritten Akt und ihr Beitrag zum Schlußduett hätten das Kommen schon gelohnt. Dennoch wirkt die Künstlerin, und das nicht zum ersten Mal, innerhalb des Ensembles etwas isoliert und in ihrer Ausstrahlung latent unterkühlt; eine Art Eiskönigin auf Ego-Trip, an der alle männlichen Zumutungen und Beleidigungen irgendwie abzuprallen scheinen, bei aller Grapscherei ist da ein pikierter Blick schon das höchste der Gefühle… Der Glaubwürdigkeit der Figur hilft das nur bedingt, irgendwie scheinen sich die Persönlichkeit der Künstlerin und die Vorstellungen der Regisseurin nicht ganz zu decken.

bso-favorite1Die Königin im Porträt: Elīna Garanča als Léonor (Foto: Wilfried Hösl)

Von der Münchner Lokalpresse wurde Matthew Polenzani als Fernand als Entdeckung des Abends mit überschäumenden Lobeshymnen gefeiert. Bleibt mal auf dem Teppich, mes amis! Natürlich sei dem sympathischen Sänger sein großer Erfolg gegönnt und schlecht gesungen hat er tatsächlich nicht… Aber wesentlich mehr als eine solide Besetzung ist er auch nicht, dafür fehlt es denn doch an Schmelz, Tonschönheit, Farben und auch Bühnenpräsenz; obwohl er sich, sehr im Gegensatz zu seiner Partnerin, geradezu einen Wolf spielt. Nach einigen, vermutlich nervositätsbedingten, Engstellen und anfänglichen Wacklern am Premierenabend sang er sich zunehmend frei und riskierte auch die schwierigen Stellen wie Piani in hoher Lage und die „typisch französischen“ voix mixte-Passagen. Sein sehr metallisch hartes, zuweilen gar scharfkantiges Timbre, die sehr offene Tongebung und die zuweilen penetrant grellen Spitzentöne sind sicherlich Geschmackssache, meiner ist es nicht unbedingt.

bso-favorite3Alles zu spät: Elīna Garanča und Matthew Polenzani im Schlußduett (Foto: Wilfried Hösl)

Dem König Alphonse XI. verleiht Mariusz Kwiecien, von der Kostümdesignerin in einen etwas geckenhaften knallblauen Anzug gesteckt, eher pubertäre als herrscherliche Züge, großes trotziges Kind und narzisstischer Macho zugleich. Vokal trumpft Kwiecien mit seinem ausladenden dunklen Kavaliersbariton effektvoll auf, eine etwas differenziertere Gangart ließe sich vorstellen. Eine Entdeckung ist der noch junge finnische Baß Mika Kares, an der BSO bereits als Ramfis und Oroveso im Einsatz gewesen, als Abt Balthazar. Keine riesige, aber eine äußerst dankbare Partie; besteht die Aufgabe doch darin, in jedem Akt einmal aus der Tiefe des Bühnenraumes aufzutauchen und die gesamte Belegschaft unter Androhung sämtlicher göttlichen Strafen baßgewaltig zusammenzufalten. Das macht Kares mit spürbarem Spaß an der Freud, vermag seinen sattschwarzen Orgeltönen aber auch einen attraktiven, sinnlichen Glanz beizumischen. Für diese wunderbare Stimme sollte es hier in naher Zukunft weitere, gerne auch größere, Aufgaben geben! Von den beiden Comprimarii vermag sich Joshua Owen Mills als aasiger Intrigant Don Gaspar nachdrücklicher in Szene zu setzen als Elsa Benoit als Inès. Nur mäßig gefordert, aber verläßlich zeigte sich auch der Staatsopernchor in der Einstudierung von Sören Eckhoff; da warten auf die Damen und Herren in dieser Saison noch andere Herausforderungen.

So brachte die erste Premiere der Saison einen gediegenen Opernabend, Luft nach oben ist aber noch vorhanden.

Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,

Euer Fabius

BR-Symphonieorchester/ Andris Nelsons – 27.10.2016

Under Stalin’s Shadow – unter diesem Motto vermarktet die Deutsche Gramophon ihre derzeit in der Mache befindliche neue Gesamteinspielung der Sinfonien von Dmitri Shostakovitch mit Andris Nelsons und dem Boston Symphony Orchestra. Die 10. Sinfonie machte letztes Jahr den Anfang dieses ehrgeizigen Projektes, kürzlich wurde die Doppel-CD mit den Nummern 5, 8 und 9 nachgelegt. Ein direkter Vergleich mit Pultlegenden wie Mravinskij, Kondrashin, Rostropovitch und Jansons, nicht zu vergessen natürlich Bernard Haitink, der in den 1960er Jahren mit dem Concertgebouworchester in Amsterdam die erste außerhalb der Sowjetunion produzierte Gesamtaufnahme einspielte, läßt sich da kaum vermeiden. Dass Nelsons bei Shostakovitch solche Vergleiche nicht scheuen muß und zu den führenden Interpreten des stets bärbeissig humorbefreiten russischen Großmeisters zählt, ist bekannt und das stellte der bald 38jährige Lette auch bei diesem Gastspiel im Herkulessaal eindrucksvoll unter Beweis.

brso-nelsonsAndris Nelsons auf der Probe (Foto: Bayerischer Rundfunk)

Der zitierte Schatten lag auch in der ansonsten gerade spätherbstlich-entspannten Landeshauptstadt über dem Abend; gerade die zehnte Sinfonie, komponiert zwischen Juni und Oktober 1953 und damit wenige Monate nach Stalins Tod, wird ja gerne als Abrechnung des Komponisten mit dem Diktator verstanden. Auch wenn es sicherlich wenig sinnvoll ist, das Oeuvre Shostakovitchs alleine oder primär unter diesem Aspekt zu sehen, sind doch Stalins Gewaltherrschaft, seine Brutalität, sein Banausentum und die unmittelbare Gefahr für Karriere und Leben, der Shostakovitch einen Großteil seines Lebens ausgesetzt war, ein wichtiger Bezugspunkt seines künstlerischen Ausdrucks. Und Nelsons macht vom ersten Takt an Ernst, schließlich wollte Shostakovitch das tiefe, nervöse Grumeln der Streicher, mit dem das Werk einsetzt, wie er seinem Biographen Salomon Volkov sagte, als „komponierte Angst“ verstanden wissen. Und ähnlich kompromißlos geht es bei Nelsons und dem einmal mehr grandios disponierten Orchester weiter, keine Gnade, nirgends nicht. Mit solch düsterem Pathos und dramatischer Verve hat man die Zehnte kaum je gehört, auch der sonst so weich schimmernde, edle Klang des BR-Symphonieorchesters scheint wie in Schwermut getaucht, Stimmungsaufheller hat Nelsons auf seiner symphonischen Palette nicht angemischt und auch die sich im letzten Satz langsam Bahn brechende Zuversicht ist hier mehr als brüchig. Herzstück des Werkes ist der mit nur knapp fünf Minuten äußerst komprimierte zweite Satz, der nach Aussage des Komponisten ein Porträt Stalins darstellt; mehr wollte er dem verhassten Machthaber nicht zugestehen. Allerdings hat er seinen gesamten Abscheu in diese fünf Minuten gepackt, entsprechend brutal, lärmend, grell dissonant und bewußt trivial ist dieser Satz. Man kann das alles so dirigieren; allerdings ist gerade die Musik von Shostakovitch eben nicht immer nur, sondern auch… Eine stärkere ironische Brechung, eine Prise diabolischen Witzes, ein paar mehr Zwischentöne; das alles wäre durchaus denkbar gewesen. Ein hochemotionales und gewaltiges Musikerlebnis war es allemal.

Der erste Teil war zu dem Zeitpunkt beinahe schon vergessen, denn neben Shostakovitchs geballter Schicksalssymphonik nimmt sich das 2013 uraufgeführte Trompetenkonzert Dramatis personae des 55jährigen Australiers Brett Dean eher bieder aus. Das dreisätzige Werk thematisiert den dramatischen Dialog des Solisten, auch „Superheld“ genannt, mit dem Kollektiv, wobei der Solo-Trompete die vier Trompeter des Orchesters zur Seite stehen und im Laufe der Aufführung mehrfach ihre Plätze auf dem Podium wechseln… Irgendwie die neueste Masche. Widmungsträger Hakan Hardenberger spielt den technisch abstrus schwierigen Solopart phänomenal und lotet sämtliche Techniken und Farben seines Instrumentes aus. Trotzdem bietet die Partitur mehr zeitgenössischen Mainstream als künstlerische Substanz. Kann man mal spielen, muss aber nicht zwingend sein.

Wunderbar war Hardenbergers sehr leise, lyrisch innige Zugabe; bzw. hätte sie sein können, wenn die vom neuverpflichteten Dienstleister gestellten Einlasser sie nicht durch laut knarrendes und krachendes Auf- und Zuschlagen der Türen zerstört hätten… Und wann Hardenberger Geburtstag hat, wissen wir jetzt auch, bzw. das Orchester ließ es uns mit einer letzten Zugabe wissen.

Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,

Euer Fabius