Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf: “Samson et Dalila” – 9.11.2019

Beauty & The Beast im Alten Testament

Die Rheinoper macht aus Saint-Saëns‘ Bibelschinken einen Politkrimi von heute

Leicht hat es der biblische Superheld Samson wahrlich nicht: nach geglückter revolutionärer Erhebung wird er von der teuflisch holden Philisterin Dalila nach allen Regeln der Opernkunst verführt, verliebt und verquatscht sich – das kennt man von Heldentenören – und geht so seiner siegbringenden Lockenpracht verlustig. Die Reaktion scheint gegen die Revolution zu siegen, doch in einem allerletzten Kraftakt schickt Samson die feindliche Übermacht im Alleingang über den Jordan. Ganz schön starker und allegorisch aufgeladener Plot, den der Komponist Camille Saint-Saëns und sein Librettist Ferdinand Lemaire aus dem alttestamentarischen Buch der Richter da rausdestilliert haben. Der große Spielplan-Hit ist der Samson nicht geworden, zu unentschlossen eiert das Werk zwischen Oper und Oratorium herum, zu weitschweifig erzählt und dramaturgisch umständlich die Handlung; immer, wenn etwas passieren müsste, kommt noch ein Chorsatz und der finale Knall-Effekt könnte wirkungsvoller gestaltet werden. Darüber kann auch die exotisch-sinnlich dampfende musikalische Textur kaum hinwegtäuschen, gipfelnd in Dalilas berühmter Arie und dem Bacchanal im dritten Akt.

Mit voller Haarpracht und Kraft: Michael Weinius (Samson) – Foto: Jochen Quast

An der Rheinoper hatte man für diesen Ausflug ins mystische Zweistromland mit Joan Anton Rechi einen Regisseur verpflichtet, der mit seinen grandiosen Inszenierungen von Massenets Werther, Donizettis L’Elisir d’amore und Puccinis Madama Butterfly bereits in der Bestenliste des Hauses seinen Platz hat. Um es vorweg zu nehmen: an diese grandiosen Regiearbeiten reicht dieser Samson nicht ganz heran. Das mag daran gelegen haben, dass Rechi diesmal auf seinen angestammten kongenialen Bühnenbildner Alfons Flores verzichten mußte und die große, stücktragende und prägende Bildidee fehlte. Gabriel Insignares hat dafür eine zwar praktikable, aber relativ einfallslose Szenerie aus rechteckigen Wänden auf die Bühne gestellt, vom ersten zum zweiten Akt dreht sich die Ansicht von außen auf innen und im Hintergrund symbolisiert ein einsamer Baum vor blauem Hintergrund… Ja, was? So speist sich die Spannung allein aus dem intensiven Spiel der Sänger – die Besetzung ist ein einziger Glücksfall! – und aus Rechis präziser Personenführung und -zeichnung. Der Regisseur zeigt die Philister als aalglatte moderne Ausbeuterklasse mit Maßanzug und Knarre, die als einzigen Gott das Geld und den Reichtum verehren, die gefangenen Hebräer mit Helm und Spitzhacke im (Berg)bau schuften lassen und beim Bacchanal eine massenhysterische Sekten-Party mit bewußtseinsrelevanten Substanzen feiern… Stark aufgewertet hat Rechi die sonst eher statische Partie des Oberpriesters, der Bariton Simon Neal ist nicht nur gesanglich erste Sahne, er gestaltet den diabolischen Strippenzieher fast furchterregend; ein empathiefreier, zynischer Sadist in der Maske des aufgesetzt jovialen Entertainers; in Sachen Mimik und Körpersprache sichtlich inspiriert von Hollywoodstar Christoph Waltz. Wenn er dem gefangenen Samson genüßlich die Augen aussticht und dabei Dalilas „Mon coeur s’ouvre à ta voix“ pfeift, ist das beinahe ein Tarantino-Moment. Immer wieder trifft Rechi mit seinen Einfällen ins Zentrum, etwa wenn die siegreichen Hebräer von Dalila in ihrem Etablissement begrüßt werden und der namenlose Alte Hebräer seine Moralpredigt just abbricht, als Puffmutter Dalila ihm ein sehr junges Mädchen präsentiert und ihm der Sabber läuft. Lediglich das Finale wirkt wie eine Verlegenheitslösung, auf Samsons Gebet hin fährt die gesamte Mischpoke per Versenkung in den Hades. Die Musik kocht nochmal kurz hoch und dann ist gut. Ist es? Man weiß nicht recht.

WeWenn die Philister feiern… (Foto: Jochen Quast)

Um sich an Samson et Dalila zu wagen, braucht jedes Opernhaus neben einem richtig guten Chor ein herausragendes ProtagonistDalilaenpaar. Samson himself etwa benötigt schon einen echten Rammbock-Tenor mit sandgestrahlter Höhe und ganz langem Atem. Michael Weinius besitzt vokales Siegfried-Format und prunkt mit schier unerschöpflichen Kraftreserven, einer baritonal grundierten Mittellage und trompetenhaften Spitzentönen, weiß aber auch, wo gefragt, mit kultiviertem Legato-Gesang zu berühren. Auch wenn ihm darstellerisch die Aura des charismatischen Anführers etwas abgehen mag, ist das eine Glanzleistung. In Sachen Farbenreichtum ist ihm Ramona Zaharia sogar noch überlegen, ihre Dalila verkörpert das Prinzip Sex und das Prinzip Macht geradezu beängstigend, ihr glutvoller Mezzo bringt die gesamte Affektpalette von schmeichelnder Verführung, herrischem Stolz, Verstellung und unerschütterlichem Sendungsbewußtsein zur Erscheinung, einen solch unverhohlen erotischen Stimmklang in Tateinheit mit elektrisierender Erscheinung und Bühnenpräsenz erlebt man nur ganz, ganz selten.

Dalila (Ramona Zaharia) in Lauerstellung (Foto: Jochen Quast)

Der australische Baßbariton Luke Stoker, seit dieser Saison neu im Rheinopern-Ensemble, gibt in der eher undankbaren Partie des Aufsehers Abimélech eine klangvolle Visitenkarte ab und der altgediente Sami Luttinen ist als Alter Hebräer zu hören. In den Kleinstpartien der Boten und Soldaten fügen sich Luis Fernando Piedra, David Fischer und vor allem der Tenor Luvuyo Mbundu bestens ins Ensemble ein.

Großes Lob gebührt diesmal auch dem konzentriert und kraftvoll singenden Rheinopernchor in der Einstudierung von Gerhard Michalski. Am Pult der Düsseldorfer Symphoniker hat Kapellmeisterin Marie Jacquot im Laufe der Serie die Leitung von GMD und Premierendirigent Axel Kober übernommen und führt die Kollektive sicher und patzerfrei durch das monumentale Epos, eine gewisse Kompaktheit und mäßige Transparenz des Klangs dürften noch auf Kobers Konto gehen.

Das Publikum im – leider eher spärlich besuchten – Düsseldorfer Opernhaus feierte die Solisten lautstark. Übrigens kommt demnächst die Berliner Staatsoper ebenfalls mit einer Neuinszenierung des Samson raus; ist das noch Zufall oder schon Renaissance? Der Kulturschock tippt auf ersteres.

Bevor es mit Fabius Encore noch in die Verlängerung geht:

Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,

Euer Fabius

Fabius Encore Vol.2

Auch heute geht es um das Angebot der Schallplattenindustrie, diesmal zum Thema S & D, Samson et Dalila… Gemessen an der Bedeutung des Stücks und seiner Aufführungszahlen ist es nämlich auf dem CD-Markt bestens dokumentiert. Fast alle Tenöre, die den Samson stimmlich im Kreuz hatten – und auch einige andere – haben den biblischen Kraftprotz aufgenommen; mit Ramon Vinay, Mario del Monaco, Jon Vickers oder James King ist die Hardcore-Fraktion nahezu komplett angetreten. Wer das Opus richtig archaisch und mit Schmackes erleben will, der kommt am Duo Infernal Jon Vickers und Rita Gorr in der von Georges Prêtre dirigierten EMI-Einspielung von 1960 nicht vorbei, das ist die Opern-Entsprechung zum opulenten Sandalen-Film.

Selbstverständlich hat sich auch der nimmermüde Plácido Domingo lange mit der männlichen Titelpartie auseinander gesetzt und sie gleich zweimal auf CD eingespielt, dazu kommen noch zwei weitere Live-DVDs aus San Francisco 1991 und der New Yorker MET 1998. Bei letzterer fühlt man sich dann tatsächlich in einen 60er Jahre-Bibel-Schinken versetzt und erwartet jeden Moment, dass Charlton Heston um die Ecke kommt… Solche, sagen wir mal: szenischen Arrangements, wie hier von Elijah Moshinsky gab es im 20. Jahrhundert vermutlich wirklich nur noch im Opern-Museum im Lincoln Center zu sehen. Und auch musikalisch entfaltet James Levine mit dem MET-Orchester einen solchen Bombast, dass sogar Top-Sänger wie Domingo, Olga Borodina oder Sergej Leiferkus ihre liebe Mühe haben. Da überzeugen die beiden Audio-Versionen des Tenorissimo schon wesentlich mehr: die Einspielung unter Daniel Barenboim mit dem Orchestre de Paris von 1978 zeigt Domingo im vollen Schönklang seiner jungen Jahre, macht allerdings noch Grenzen im dramatischen Ausdruck hörbar. 1991 unter Myung-Whun Chung (EMI) mit dem Orchester der Pariser Opéra-Bastille klingt Domingo reifer und vollmundiger, mehr in der Partie zuhause. Als Dalila standen ihm bei Barenboim die pastos orgelnde Yelena Obraszova und bei Chung die vielleicht nicht vollkommen idiomatische, aber äußerst sinnlich timbrierte Waltraud Meier gegenüber; für den Kulturschock spricht hier alles für Chung und sein Team.

Eine weitere ganz vorzügliche (Live)aufnahme ist bei Koch Classics erschienen, mitgeschnitten bei den Bregenzer Festspielen 1988. Unter dem wunderbar leichten und farbig gewobenen Dirigat von Sylvain Cambreling am Pult der Wiener Symphoniker liefern sich Marjana Lipovšek und der – zeitlebens sträflich unterschätzte – Carlo Cossutta einen regelrechten Gigantenkampf.