Theater Regensburg: “Valuschka” – 11.4.2024

In welcher Oper kommt ein veritabler ausgestopfter Blauwal vor? Nein, die Antwort ist weder Parsi-Wal noch Die Wal-küre… sondern Valuschka, die dreizehnte und letzte Oper des im März im Alter von 80 Jahren verstorbenen Peter Eötvös. Diese hatte im vergangenen Herbst ihre Premiere in Budapest, nach einer umfangreichen Revision durch den Komponisten – insgesamt enthält diese Neufassung ca. ein Drittel neu geschriebene Musik – konnte das Theater Regensburg im Februar nun mit dramaturgischem Recht und Fug sozusagen eine zweite Uraufführung desselben Werkes auf die Bühne bringen. Dieses künstlerische Ereignis in die Oberpfalz zu holen, ist natürlich ein echter Coup des Hausherren Sebastian Ritschel.

Foto: Marie Liebig

Wer oder was ist nun Valuschka? János Valuschka, die Titelfigur, arbeitet als Postbote in einer namenlosen Kleinstadt irgendwo in Osteuropa, ist herzensgut, aber naiv und von schlichtem Gemüt – eine Art Billy Budd des 21. Jahrhunderts? – der sich in seiner Freizeit mit Sternen und Sonnensystemen beschäftigt und bei seinen abendlichen Kneipenbesuchen den örtlichen Kampftrinkern darüber referiert; dass er vom Rest der Bevölkerung, seine eigene Mutter eingeschlossen, für einen Freak gehalten und instrumentalisiert wird, erstaunt denn auch nicht. In jenem Städtchen geschehen seltsame Dinge: zunächst kommt ein Wanderzirkus an, dessen Attraktionen besagter Meeressäuger und ein dreiäugiger Zwerg namens „Der Prinz“ sein sollen; de facto allerdings bekommt niemand weder den einen noch den anderen wirklich zu sehen. Zugleich wird die Stadtgesellschaft unterwandert von merkwürdigen, latent gewaltbereiten Fremden, die sich zu einer Art Leibgarde des ominösen Prinzen formieren und permanent für Unfrieden und Zerstörung sorgen. Die populistische Bürgermeisterin Tünde heizt die Stimmung noch an, um für ihre Bürgerbewegung namens „Es grünt so grün“ – natürlich irrlichtert jene Melodie aus My Fair Lady immer wieder als Zitat durch die Partitur – Kapital aus der Verunsicherung zu schlagen. Doch die Spirale der Gewalt und Verwüstung ist nicht mehr zu stoppen, das Militär greift ein und etabliert nun erst recht ein autoritäres Regime. Der arme Valuschka verliert den Glauben an die Ordnung der Himmelskörper wie der menschlichen Gesellschaft und landet in der Anstalt.

Kirsten Labonte (Tünde) und Hany Abdelzaher (Zirkusdirektor) – Foto: Marie Liebig

Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für seine Oper stiess Eötvös auf den Roman Melancholie des Widerstands von László Krasznahorkai, den Kinga Keszthelyi und Mari Mezet zum Libretto verdichtet haben. Herausgekommen ist, kleineren dramaturgischen Schwächen zum Trotz, eine groteske, kafkaesk verschrobene Dystopie, eine Gesellschaftssatire voll bösen Witzes und einer gehörigen Portion Wut, eine Politparabel um Ängste, Populismus, Ausgrenzung, Unsicherheit, Aggressionen und ein tief sitzendes Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber politischen Entwicklungen. Ein Spiegelbild der Verhältnisse in Eötvös’ Heimatland Ungarn, aber nicht nur dort… Viel aktueller kann ein Opernstoff kaum sein.Trotzdem würde man dem Werk kaum gerecht, sähe man es nur als tagespolitischen Kommentar oder Verlautbarungsdramatik.

Eötvös’ Musik für Valuschka wirkt eine Spur „griffiger“, dramatischer und dialogischer als in vielen seiner früheren Opern, aber nicht weniger kunstfertig und zudem mit einer Nettospielzeit von gut 90 Minuten sehr verdichtet und konzentriert. Die Orchesterbesetzung ist stark bläserbetont, es dominieren die tiefen Frequenzen und düsteren Klangfarben, zwischendurch kann sich die Phonstärke gewaltig steigern. Die Singstimmen sind überwiegend der klassischen Moderne verpflichtet, Valuschka hat die eine oder andere lyrische Baritonkantilene bekommen und bei der hysterischen Aufgeregtheit Tündes hat die Königin der Nacht Patin gestanden, auch deren hohes F wird verlangt.

Sebastian Ritschel hat nicht nur die Strippen gezogen, sondern auch selbst inszeniert und eine klare, genaue und mit leichter Hand gezeichnete Regiearbeit ohne Mätzchen, Klischees oder platte Aktualisierungen vorgelegt. Schauplätze und Aktionen sind einerseits detailrealistisch und, was die, ebenfalls von Sebastian Ritschel entworfenen, Kostüme und Frisuren angeht, in den 1980er Jahren angesiedelt, geben aber immer wieder Raum für bizarr-poetische Bilder wie am Schluß, als der Blauwal „völlig losgelöst“ über Valuschkas Krankenbett schwebt. Besonders hervorzuheben ist die phänomenale Führung des Männerchors, der hier nicht als statisches Kollektiv, sondern als Gruppe präzise charakterisierter Individuen agiert. Die Bühnenbilder von Kristopher Kempf sind praktikabel, leicht variierbar und entfalten eine Menge stimmungsvoll abgeranzten Charme. Die Balance von Realismus, Groteske und Ironie trifft die Regie sehr stilsicher und zieht das, an diesem Abend äußerst ruhige und konzentrierte, Publikum im erfreulich gut besetzten Auditorium in den Bann der Geschichte.

Im Wirtshaus gehts hoch her (Foto: Marie Liebig)

Das handlungsbedingt stark männerlastig besetzte Sängerensemble agiert sehr geschlossen auf einem bemerkenswerten Niveau, wirklich abfallen tut niemand. Im Gegenteil, es gibt etliche ausgezeichnete Rollenporträts zu würdigen. Allen voran natürlich Benedikt Eder in der Titelpartie, der die Güte und Verletzlichkeit des Charakters treffsicher gestaltet, ohne die Figur zum kompletten Weichei zu machen. Sein hoher und fast tenoral timbrierter Bariton besitzt individuelles Timbre und vokale Flexibilität. Das genaue Gegenstück zum introvertierten Titel-(Anti)-Helden ist die machtgierige Bürgermeisterin und Möchtegern-Herrscherin Tünde, eine sängerisch anspruchsvolle und darstellerisch dankbare Partie. Kirsten Labonte brilliert mit virtuoser Höhenakrobatik und wunderbar aufdringlich- dekadentem Spiel und feuert ihre hybriden Koloraturkaskaden und Spitzentöne mit spürbarer Freude in den Saal. Im Stück ist nur ein einziger Einwohner der Stadt nicht Mitglied bei „Es grünt so grün“, nämlich Tündes Ex-Mann, der Musikprofessor, der für die traditionellen kulturellen Werte steht; auch hier hat das Haus mit dem wuchtigen, leicht angerauten Schwarzbass von Roger Krebs eine imposante Besetzung zu bieten, ein Sänger, den man durchaus gerne mal als Sarastro oder König Marke erleben würde. Gabriel Kähler aus dem Regensburger Schauspielensemble gibt den Gastwirt Hagelmayer, der zugleich die Funktion eines Erzählers hat, mit striezihafter Eleganz und dezentem Witz.

In den weiteren kleineren Partien sind Theodora Varga (Frau Pflaum, Valuschkas Mutter), Jonas Atwood (Mann im Lodenmantel/ Soldat), Svitlana Slyvia (Bäuerin), Hany Abdelzaher (Zirkusdirektor), Michael Daub (Nadaban), Alexander Aigner (Madaj), Daniel Schliewa (Volent), Paul Kmetsch (Schaffner/ Assistent des Prinzen) sowie Chih-Yuan Yang in der stummen Rolle des Prinzen zu erleben.

Großes Lob geht auch an den Chor des Theaters Regensburg in der Einstudierung von Harish Shankar, der in dieser Vorstellung auch das Dirigat von GMD Stefan Veselka übernommen hatte und Chor und Orchester mit sicherer Hand durch die Partitur steuerte.

Ein in jeder Hinsicht hochklassiger und verdienstvoller Abend, der mal wieder bewiesen hat, dass es nicht immer Staatsoper sein muss.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Philharmonie Berlin: Kirill Petrenko dirigiert “Elektra” – 7.4.2024

Mykene liegt am Tiergarten

Geht das? Ein Werk, das man seit Jahrzehnten in- und auswendig kennt – oder zu kennen glaubt – sozusagen noch ein zweites Mal erstmalig zu hören? Geht natürlich nicht, aber andererseits geht es eben doch. Mit Harnoncourt und Le nozze di Figaro ist es dem Kulturschock einstens so ergangen, und nun ein weiteres Mal mit Strauss’ pathosgetränktem, hochpsychologisierten Antiken-Grusical Elektra unter der Leitung von Kirill Petrenko. Da saß der Fabius nun in dieser höchstkarätig besetzten konzertanten Aufführung, welche die Berliner Philharmoniker traditionsgemäß nach den Osterfestspielen in Baden-Baden nochmal als Heimspiel nachlegen, und staunte über so viele Orchesterfarben, Nuancen und motivische Verflechtungen und Überlagerungen. Das alles steht ja in der Partitur und war immer schon da… Nur wirklich (raus)gehört hatte man es bisher noch nicht. Um am Ende des Abends einmal mehr festzustellen, dass es Dinge gibt in der musikalischen Aufführung, die offenbar wirklich nur Petrenko drauf hat. Sein Dirigat ist, wie nicht anders gewohnt, äußerst präzise, differenziert und transparent, mit geradezu magischer Klarheit und Luzidität fächert er den Orchestersatz in all seine klanglichen Spektralfarben auf; und zwar ohne den Gesamtklang zu vernachlässigen. So werden durch das – unnötig zu erwähnen, eigentlich – phänomenale Spiel der Philharmoniker immer wieder Valeurs und instrumentale Details hörbar, die bei normalen Orchestern und Dirigenten untergehen. Aber nicht nur die Farbigkeit und der Detailreichtum des Orchesterspiels macht diese Elektra zum Ereignis, sondern auch das Spiel mit der Dynamik und vor allem das orchestrale Storytelling. Was heißt hier schon „konzertant“? Bei Petrenko ist das archaische Drama ebenso präsent wie der moderne psychologische Überbau. An keiner Stelle reduziert Petrenko das Stück zum Shabby little Shocker, die Figuren werden ungemein plastisch und entfalten die Größe und die Wucht echter singender Tragödinnen. Das musikalische Drama, das hier abläuft, gestalten Dirigent, Orchester und Sänger sehr dynamisch, mit vielen Stationen, Steigerungen und emotionalen Brennpunkten, nach jedem scheinbaren Entspannungsmoment, zieht Petrenko wieder an. So entsteht ein unglaublicher Spannungsbogen von den einleitenden Agamemnon-Akkorden bis zum ekstatisch-selbstmörderischen Triumphtanz und den bracchialen Orchesterschlägen, mit denen die Oper schließt. Und das natürlich auf sämtlichen dynamischen Ebenen, vom staubtrockenen Fortissimo bis in die feinsten Pianissimi. Ein glasklar ausgefeilter, vor Sinnlichkeit und Ausdruck schier berstender Tripp in den Abgrund. Klar, das alles ist Elektra. Und hier wurde es Ereignis. Und zwar mal so richtig.

Ungleiche Schwestern haben Redebedarf: Elza van den Heever (Chrysothemis) und Nina Stemme (Elektra) – Foto: Berliner Philharmoniker

Bei der Besetzung war natürlich nur das Beste, bzw. Die Besten, gerade gut genug. Im Zentrum des Abends stand einmal mehr die grandiose Nina Stemme, die die Titelpartie seit einigen Jahren praktisch im Alleinbesitz hat. Ihre Elektra ist eine manisch Getriebene, ein Racheengel ohne Erbarmen, aber auch eine Manipulatorin, die das gesamte Spektrum beherrscht. Stemmes metallisch glänzender Sopranstrahl kann die Halle fluten, aber auch zurücknehmen, schmeicheln, locken, höhnen und triumphieren. Und dabei Mensch bleiben, eine zutiefst verletzte und entwurzelte Frau, die längst die letzte Haltestelle verpasst hat. Gerade die leisen Momente wie „Lässt Du den Bruder nicht nach Haus?“ machen in ihrer Eindringlichkeit ebenso schaudern wie die Erkennungsszene mit Orest und der Schlußgesang. Teile der Hauptstadtpresse meinten zu wissen, dies sei ihre letzte Elektra gewesen… Das wäre ein Jammer.

Jubel für das Ensemble (Foto: Berliner Philharmoniker)

Archaisches Dramenformat erreicht auch Michaela Schuster als Klytämnestra. Laut Ansage durch die Intendantin vor Beginn hatte sie mit akuter Pollenallergie zu kämpfen, ihrem fast schon gespenstischem Psychogramm der dekadenten Ehebrecherin und Gattenmörderin tat das keinen Abbruch, ein Vollprofi wie Schuster weiss natürlich, gewisse Brüche und Handicaps in Ausdruck zu übersetzen und die stimmlichen Kräfte für die spielentscheidenden Stellen zu bündeln. Als Dritte im Bunde begeisterte auch Elza van den Heever als Chrysothemis mit silbrig schimmernden und strahlend auftrumpfenden Soprantönen und ganz viel Ausdruck. Die Südafrikanerin hat sie ohne Zweifel in die erste Liga der jugendlich-dramatischen Sopranistinnen gesungen.

Die Männer, die in diesem Stück bekanntlich nicht wirklich viel zu melden haben und einem bekannten Bonmot eines namhaften Bassbaritons zufolge „Volle Gage für zehn Minuten gut aussehen“ kassieren, hielten das überragende Niveau mühelos: Johan Reuter gab einen sonoren, in sich ruhenden Orest und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke einen stimmlich sehr präsenten und lustvoll überzeichneten Ägisth, ohne die Rolle, wie leider so oft, zur Knallcharge zu verkleinern.

Die umfangreiche supporting cast war zum größten Teil mit jungen oder sehr jungen Sängerinnen und Sängern besetzt, die auch in ihren kurzen solistischen Einwürfen durchgehend überzeugten: Anthony Robin Schneider (Der Pfleger) Serafina Starke (Vertraute), Anna Denisova (Schleppträgerin), Katharina Magiera, Marvic Monreal, Alexandra Ionis, Dorothea Herbert und Lauren Fagan (Mägde), Kirsi Tiihonen (Aufseherin), Lucas van Lierup (junger Diener) und Andrew Harris (alter Diener).

In München hat Kirill Petrenko die Elektra als einzige der großen Strauss-Opern leider nie dirigiert; diese Lücke konnte der Kulturschock nun schließen. Und war so gefangen von diesem Orchesterfest, dass er beinahe erwartet hatte, beim Rausgehen das Löwentor von Mykene zu erblicken… War aber auch diesmal nur der Berliner Tiergarten. Und wenn schon.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Komische Oper Berlin im Schillertheater: “Der Fliegende Holländer” – 6.4.2024

Schiffbruch in Grasgrün

Die Komische Oper setzt den „Holländer“ auf Grund

Dass das Erhabene und das Lächerliche zuweilen enger bei einander liegen, als man sich versieht, dürfte jeder wissen, der sich halbwegs regelmäßig mit Kunst beschäftigt. Und da wiederum hat die Oper als Genre, und das Oeuvre Richard Wagners im Besonderen, ein gesteigertes Persiflagepotenzial; umgekehrt proportional zum ihr eigenen Emotionslevel. Hier anzusetzen, diesen Zwiespalt aufzunehmen und auszureizen, ist für einen Regisseur mehr als heikel, „Gratwanderung“ ist schon kein Ausdruck mehr dafür. Eigentlich kann es nur schiefgehen.

Foto: Monika Rittershaus

Und damit genug der Vorrede, um das szenische Debakel dieser durch und durch missglückten Produktion verbal etwas einzukreisen. Was Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch – gestählt durch viele Jahre unter Castorf an der Volksbühne, in der Oper aber noch eher ein Novize – da auf die Bühne gebracht hat, treibt dem Werk nicht nur, wie beabsichtigt, Schwere, Ernst und Düsternis aus, sondern auch die dramatische Fallhöhe und jedweden handlungslogischen Sinn. Bei der Dekonstruktion der Oper ist Fritsch komplett schmerzfrei. Hier wird mit vollen Händen ganz tief in die Klamauk-Kiste gegriffen, das Personal besteht aus grell geschminkten Popanzen und Slapstickfiguren (Kostüme: Bettina Helmi), die ständig wie aufgedreht über die Bühne springen und jeden musikalischen Gestus ins Groteske überdrehen, ein permanentes Gezappel, das keinerlei Emotionen, Charaktere oder gar erzählerischen Mehrwert, erzeugt und spätestens nach zehn Minuten nur noch unglaublich nervt. Selbst Momente wie der Holländer-Monolog oder das Duett im zweiten Akt werden durch over-acting und permantes Grimassieren komplett sabotiert. Das Ganze spielt in einem grasgrünen Bühnenkasten, die einzige Dekoration ist ein überdimensioniertes Spielzeugboot mit rotem Segel, das von den zombiesken Holländer-Matrosen ständig um die eigene Achse gedreht und von einer Seite zur anderen bugsiert wird; sobald jemand anderer in die Nähe kommt, ruft einer „Nicht anfassen!“. Wie alle Regisseure, die keine eigenen Ideen haben, nimmt Fritsch großzügige Anleihen bei Film und Populärkultur, vom Damenchor als japanischen Mangamädchen über Fassbinders Querelle, Dawn of the Dead und andere Klassiker des Zombiegenres, und den Joker aus Batman bis zum unvermeidlichen Fluch der Karibik… Was uns das alles sagen soll? Genau gar nichts. Natürlich kann man die Gestalt des untoten Seefahrers und seiner Mannschaft in diese Richtung visualisieren – aber wenn auch die Gegenwelt aus ähnlich grotesken Gestalten besteht und der stücktragende Zusammenstoss zweier Dimensionen nicht stattfindet, wo bleibt dann der Sinn? Dann wird aus einer romantischen Oper ein billig vergagter Humbug, der im dritten Programm von Radio Luxemburg besser aufgehoben wäre als auf einer Opernbühne. Ja, der Kulturschock hat sich gelangweilt und geärgert wie lange nicht mehr. Um nicht missverstanden zu werden: das ist nicht das Werk eines Dilettanten, der es halt nicht besser kann; der Murks ist so gnadenlos präzise choreographiert und perpetuiert, dass man Vorsatz unterstellen muss.

Foto: Monika Rittershaus

Konnte die Musik in die Bresche springen und dem Abend so etwas wie ein seriöses Restgesicht bewahren? Teilweise. Als Gast aus München kennt man es ja kaum noch, dass bei Wagner der Chef selbst am Pult steht. Und James Gaffigan schien an diesem Abend kaum zu bremsen, entfachte bereits in der Ouvertüre symphonische Orkanböen der höchsten Vorwarnstufe und fegte bis zum Ende mit bracchialer Tempoverschärfung über die Partitur hinweg, in den kontemplativen Momenten bremste er zwar ein wenig runter, ließ der Musik aber kaum einmal Luft, sich in ihrem Farbspektrum wirklich zu entfalten. Die Lautstärke geriet ähnlich undifferenziert, der Irrglaube, wo Wagner draufsteht, müsse es richtig knallen und scheppern, hält sich hartnäckig.

Die Sänger? Konnten einem nur leid tun, da sie am Willen zur Figurendeutung und -darstellung konsequent gehindert wurden. Am wenigsten beeindruckt zeigte sich der noch aus seiner Zeit am Aalto-Theater in Essen bekannte Tijl Faveyts als schlank, aber kernig singender Daland mit raumgreifendem, aber nie wabernden Bass. Eine sehr erfreuliche stimmliche Entwicklung! Auch Ambur Braid beweist als Senta gutes Material, eine verlässliche Technik und durchaus Potenzial, nur gegen Ende hatte sie ein wenig mit der Höhe zu kämpfen. Die saß bei Sung Ming Song als Erik ebenso sicher wie der Rest der Partie und auch die Aussprache war durchweg hervorragend, leider brüllt er die Partie im Einheits-Fortissimo über sämtliche Nuancen und Lyrismen hinweg, sehr schade. Caspar Singh schoss in Sachen Outrage den Seevogel ab, sang den Steuermann aber durchaus solide, ebenso wie Karolina Gumos die Mary mit einer für diese Rolle eher untypisch attraktiven Stimme.

Und – last but not least – Titelheld: Günter Papendell hat der Kulturschockschon vor gut zwanzig Jahren beim Münchner ARD-Wettbewerb erstmals erlebt und war spontan begeistert von dessen so charakteristischer Stimme und Bühnenpersönlichkeit. Diese zeichnet auch heute seinen Holländer aus. Auch wenn Papendell kein Bassbariton ist und ihm in der Tiefe etwas Material fehlt, so teilt er sich die Partie doch sehr klug ein und gibt ihr individuelles Profil. Was an diesem Abend umso dankenswerter ist.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Bayerische Staatsoper: “Die Passagierin” – 1./ 25. März 2024

Das Albtraumschiff

Der BSO glückt mit Weinbergs „Die Passagierin“ ein bewegender Opernabend

Der Komponist Mieczyslaw Weinberg war nichts weniger als eine der tragischsten Figuren der Musikgeschichte, als polnischer Jude 1919 in Warschau in eine Musikerfamilie hineingeboren, war sein gesamtes Leben von Krieg, Verfolgung, Angst und Unfreiheit bestimmt. Nahezu seine gesamte Familie wurde ermordet, entweder von den Nazis oder von Stalins Schergen, er selbst entging der Verurteilung nur durch Stalins Tod. Seine Oper Die Passagierin entstand bereits 1968, wurde aber – wie ein Großteil seines Oeuvres – erst in jüngerer Vergangenheit wiederentdeckt und 2010 bei den Bregenzer Festspielen szenisch uraufgeführt und seither von einer wachsenden Zahl von Theatern nachgespielt. Die Oper nach der gleichnamigen Romanvorlage der Auschwitz-Überlebenden Sofya Posmysz, die den späten Erfolg des Werkes im Gegensatz zum Komponisten noch miterleben durfte, spielt zwar auf einem Luxusliner, hat mit Vergnügungsreisen oder exotischer Traumschiffkulisse mal so absolut gar nichts zu tun. Im Gegenteil: der nicht namentlich genannte Kahn wird zum Albtraumschiff, die Reise zu einem Psychotrip der verstörenden Art. In der Reisegesellschaft befindet sich eine Frau namens Lisa, die mit ihrem Mann, einem deutschen Diplomaten, unterwegs zu dessen nächstem Einsatzort Brasilien ist und die eine dunkle Vergangenheit als sadistische Aufseherin im Vernichtungslager Auschwitz hat. An Bord begegnet sie einer Frau, in der sie eines ihrer früheren Opfer, die polnische Jüdin Marta, zu erkennen glaubt… Ob diese wirklich jene ist, bleibt in der Schwebe, doch genügt dies, um einen psychischen Horrortrip in die Vergangenheit in Gang zu setzen, eine Spirale aus Schuld, Reflexion, Erinnerung, Lüge und Verdrängung; volle Kanne Flashback. Zwar offenbart sich Lisa ihrem Mann Walter, der bis dahin nichts von der Vergangenheit seiner Frau wusste und entsprechend mit Schrecken und Sorge um die eigene Karriere reagiert, zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit ihrer Schuld findet sie kaum, vielmehr ist ihre Refexion und ihr inneres Nach-Erleben geprägt von Selbstgerechtigkeit und Relativierung. Ein Bewältigungsversuch aus Tätersicht, gefasst in Sätze, die teilweise kaum zu ertragen sind.

Allein unter vielen: Sophie Koch als Lisa (Foto: Wilfried Hösl)

Nun wirft Die Passagierin für eine heute Rezeption durchaus Fragen auf, allen voran die, ob und wie man das Grauen von Auschwitz auf die Bühne bringen kann, darf oder soll. Regisseur Tobias Kratzer hat nach eigener Aussage lange mit dieser Frage gerungen und sich schließlich entschieden, die gesamte Handlung, die im Original zwischen Dampfer und Lager, mithin zwei diametral entgegengesetzten Realitäten, wechselt, zur Gänze auf dem Schiff zu verorten und Auschwitz nur als Chiffre und Erinnerung stattfinden zu lassen. Das ist ebenso ehrenwert wie ambitioniert und kann als künstlerische, aber auch sehr privat-emotionale, Entscheidung nicht hinterfragt werden. So gelingt ihm, einem der präzisesten Geschichtenerzähler unter den heutigen Star-Regisseuren, eine atmosphärisch extrem verdichtete, genaue und vor allem unsentimentale Inszenierung fernab von Klischees und Betroffenheitskitsch. Die beiden Sphären der Handlung sind permanent durchlässig, die Häftlinge wie das Wachpersonal des Lagers treten hier als Fahrgäste auf und mischen sich unter das aktuelle Personal, was einerseits die schicksalhafte Verknüpfung intensiviert, es allerdings auch erschwert, der Opernhandlung zu folgen und immer den Überblick zu behalten, wer wer ist und auf welcher Zeit- und Bewußtseinsebene man sich gerade befindet. Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich, in der Psyche von Lisa ebenso wie in der Wahrnehmung des Publikums. Da hätte es der dritten Zeitebene, die Kratzer noch einzieht, eigentlich nicht mehr bedurft, die im ersten Teil durch die Szene geisternde Erscheinung Lisas als alte Frau, jetzt mit der Urne ihres Mannes unterwegs und dem Wahnsinn nahe – dargestellt von Sibylle Maria Dordel – bringt nicht wirklich einen Erkenntnisgewinn. Insgesamt ist es schon sehr hilfreich, sich diesen packenden Opernabend nicht nur einmal zu geben. Auch dem Kulturschock erging es so, dass erst der zweite Abend seine volle emotionale Wucht entfaltete, auf der Basis einer gewachsenen Vertrautheit mit der Musik und der dramaturgischen Struktur des Werkes.

Der Dampfer von außen…

Extrem aufwendig und spektakulär, zugleich aber nicht unproblematisch, sind die beiden Bühnenbilder von Rainer Sellmaier, die zudem eine den szenischen Ablauf und die Konzentration immens störende Pause notwendig machen. Für den ersten Akt hat er eine Außenansicht des Schiffes entworfen, mehrere Reihen von Kabinen mit Außenbalkon, die auch immer wieder bespielt werden; wer unbedingt will, kann in den gestreiften Stoffbezügen der Liegestühle eine dezente Anspielung an die Gefangenenkluft sehen. Für die Einzelszenen fahren immer wieder Kabinen auseinander, um die Perspektive auf die Protagonisten zu lenken… Das sieht aus dem Parkett und Balkon sicherlich sehr beeindruckend aus, von den erschwinglichen Plätzen allerdings sieht man die Sänger dann maximal bis zum Knie, wer jetzt gerade singt, ist kaum auszumachen. Muss so etwas wirklich sein? Der zweite Akt spielt dann zu ebener Erde, im Speisesaal oder Kasino des Schiffes mit fünfzehn großen, elegant eingedeckten Tafeln, an denen zwischendurch die Passagiere in eleganter Abendkleidung Platz nehmen, zwischen deren Reihen die Lager-Erinnerungen stattfinden. Dieser Eindruck wiederum ist aus den oberen Rängen sicherlich weitaus eindrucksvoller. Ergänzt werden die Bilder von atmosphärischen Filmaufnahmen des Meeres als unverrückbares Element der Natur (Video: Manuel Braun und Johannes Dahl).

… und von Innen (Fotos: Wilfried Hösl)

Sängerisch erfordert eine Oper wie Die Passagierin keine „Stars“ oder wirkungserpichten Belcantisten, sondern präzise Sängerdarsteller mit breitem Ausdrucksspektrum, die auch dorthin gehen, wo es weh tut. So ist das Ensemble – zumindest für Münchner Verhältnisse – nicht unbedingt mit großen Namen gespickt, bringt aber eine sehr geschlossene und auf hohem Niveau homogene Performance auf die Bühne. Hervorzuheben sind vor allem Elena Tsallagova als Marta, deren silbrig schimmernder, schlank geführter Sopran sich virtuos in die Höhe schraubt, im besagten Schlußgesang aber auch tiefste Trauer über das menschliche Leid zum Ausdruck bringt, und Jaques Imbrailo als ihr Geliebter Tadeusz, der seinen Widerstand den Schikanen des Lagerkommandanten gegenüber mit dem Leben bezahlt. Imbrailo, zuletzt in Deans Hamlet noch deutlich unter Wert verkauft, gestaltet die Partie mit baritonalem Schmelz und intensivem Ausdruck. Sophie Koch spielt die schreckliche Lisa mit zurückhaltender Physis und Beherrschtheit, die Risse ihrer selbstgerechten Haltung zeigen sich erst nach und nach. Ein Zwiespalt, den die Sängerin mit präsentem, wenn auch mittlerweile etwas brüchig gewordenem Mezzo durchaus suggestiv gestaltet. Ihren Ehemann Walter gibt Charles Workman mit kräftigem, zuweilen ins Grelle tendierenden Charaktertenor und routiniertem Spiel.

Die weiteren kleineren Partien fügen sich gut ins Geschehen ein und bilden ein homogenes Ensemble: Daria Proszek (Krystina), Lotte Betts-Dean (Vlasta), Noa Beinart (Hannah), Larissa Djadkova (Bronka), Evgeniya Sotnikova (Yvette), Bálint Szabó, Roman Chabaranok und Gideon Poppe (SS-Männer), Martin Snell (Älterer Passagier) und Lukhanyo Bele (Stewart).

Weinbergs Musik besitzt große suggestive Kraft und changiert spannungsvoll zwischen Dramatik und Groteske, und ist darin seinem Freund und Mentor Dmitri Shostakovitch verwandt. Der Komponist reizt das gesamte Spektrum der Orchesterfarben aus, von krachendem Schlagwerk und unheilvollen Blechbläsern in tiefer Lage über großen symphonischen Gestus und ironisierende Montagetechniken bis hin zu jazzigen Anklängen. Für die Münchner Produktion hat Vladimir Jurowski relativ umfangreiche Kürzungen vorgenommen, die nicht nur einer zeitlichen Straffung dienen, sondern auch auch eine gewollte Veränderung der Statik des Werkes darstellen; so entfallen lange Passagen sowjetischer Propaganda und bürokratischer Leer-Sätze, die Komponist und Librettist dem Werk einst in vorauseilendem Gehorsam eingepflanzt hatten; dramaturgisch und künstlerisch sicherlich begrüßenswert. Das Jurowski dieses musikalische Idiom perfekt beherrscht, ist bekannt, sein Dirigat verbindet die unterschiedlichen Stile und Alleationen der Partitur zu einem schlüssigen und dramatisch mitreissenden Ganzen, hier hat gefühlt jeder Takt seinen eigenen dramaturgisch-erzählerischen Stellenwert, ohne dass der Gesamtzusammenhang leiden würde. Auch das Staatsorchester zeigte sich, dem Vernehmen nach an allen Abenden der Serie, äußerst konzentriert und spielte mit höchster Präzision und Ausdruck; das bekanntlich nicht ungetrübte Verhältnis zu ihrem Chef liessen die Damen und Herren diesmal außen vor und gaben alles.

Man darf getrost davon ausgehen, dass Die Passagierin am Saison- bzw. Jahresende fast sämtliche Kritikerpreise abräumen wird – Und das ist dann sowas von verdient!

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Aalto-Theater Essen: “Fausto” – 9.3.2024

Ein Faust hat es auf jeden Fall sein müssen in dieser ersten eigenverantwortlich geplanten Saison der neuen Intendantin Merle Fahrholz, einer Saison, deren Premierenreigen mit Macbeth begonnen hat und im Juni mit Wozzeck enden wird. „Literaturoper rules!“ heisst also die Devise und eine der diversen Opernvarianten des immer noch populärsten Stückes deutscher Dichtung macht sich in solchem Programmumfeld natürlich bestens. Aber welche, das war nun die Gretchen-Frage… Gounod? Berlioz? Boito? Oder gar Busoni? Och nö, das machen ja schon die anderen beizeiten. Eine neue alte Vertonung musste her und so wurde der 1831 in Paris uraufgeführte Fausto von Louise Bertin aus der Versenkung gezogen und auf den Spielplan befördert, zum ersten Mal seit der Premiere. Der war nicht nur die erste Veroperung des Stoffes überhaupt, sondern auch die einzige, die noch zu Goethes Lebzeiten entstand und schließlich die allererste von einer Frau komponierte Oper, die an der Pariser Accadémie Royale, also der Opéra, aufgeführt wurde. Mehr Seltenheitswert geht kaum und die Raritätenjäger und -sammler buchten in hibbeliger Vorfreude die Tickets in den Ruhrpott.

Spiel, Satz und Sieg? Mefistofele und Fausto beim Sport (Foto: Forster)

Und? Ist der geneigten (Opern)welt mit Fausto die letzten knapp zwei Jahrhunderte etwas entgangen? Dies zu behaupten wäre eine ziemlich steile These, über manche Werke ist die Musikgeschichte doch mit einer gewissen Berechtigung hinweggezogen. Natürlich tut man keiner Oper einen Gefallen, wenn man sie mit Goethes opus magnum vergleicht, aber was Bertin in ihrem selbst in italienischer Sprache verfassten Libretto zusammengekocht hat, sorgt nicht nur bei studierten Germanisten für innere Schmerzensschreie, viel kruder lässt sich die Vorlage kaum verwursten. Das war echt Fack ju Göthe, nur halt von vor 134 Jahren. Und wirklich ernst gemeint. Das faustische Prinzip, die selbstquälerische Sucht nach Erkenntnis und Einblick in die Natur der Welt, findet hier praktisch nicht statt, der Teufelspakt dient einzig und allein äußerlicher Verjüngung und amouröser Triebabfuhr. So weit, so flach. Natürlich folgt die Handlung im Großen und Ganzen der bekannten Geschichte und der Text ist durchsetzt mit übersetzten Originalzitaten, ansonsten aber sind die Parallelen minimal. Dazu kommt eine Musik, bei der man ständig den imaginären Hut ziehen möchte, um die vielen Bekannten zu grüßen, die durch die Partitur vagabundieren: Weber, Berlioz, Rossini, Bellini, Mozart, Beethoven… Da ist nahezu alles, was seinerzeit prominent und beliebt war, liebevoll adaptiert, oder, weniger nett ausgedrückt, ungeniert zusammengeklaut worden. So ereignet sich das Paradox, Fausto nie zuvor gehört zu haben, aber zugleich irgendwie doch.

Fausto (Mirko Roschkowski) und Margarita (Jessica Muirhead im Clinch – Foto: Forster

Wie inszeniert man das? Naheliegend wäre gewesen, das Ganze zu einer grellen Revue und Rocky Horror Goethe-Show zu vertrashen. Tatiana Gürbaca wählte für ihre Regie die seriöse Variante und lässt die Geschichte ohne große Bühneneffekte, aber auch größtenteils frei von Leerlauf in einem geschmackvoll modernen Ambiente ablaufen. Marc Weegers Bühnenbild besteht aus einem eleganten Klinik- oder Laborambiente, das sich im zweiten Teil auf einen minimalistisch möblierten und eher unspezifischen Raum ausweitet, ein in einer Glasvitrine wachsender Baum symbolisiert offenbar ein domestiziertes Verständnis von Natur und dient, ganz praktisch, als Reservoir diverser Requisiten. Volk und Protagonisten sind von Silke Willrett als heutige Normalos durchaus farbig kostümiert, für die Lichtregie sorgt einmal mehr der bewährte Stefan Bolliger. Die Personenregie ist lebhaft und ungestelzt natürlich, deutende Einfälle eher sparsam dosiert; so erhebt sich die eingangs von Faust sezierte Leiche vom Tisch und entpuppt sich als Mephisto.

Die größte gesangliche challenge ist die Titelpartie, die zwischen sehr hohen und baritonal tiefen Passagen wechselt, bzw. sich in einer technisch äußerst knifflig zu bewältigenden Übergangslage abspielt; das wäre ein Fest für Michael Spyres. Den gibt das Essener Budget natürlich nicht her, aber Mirko Roschkowski ist weit mehr als eine Verlegenheitsbesetzung. Die Stimme mag nicht das edelste und betörendste Timbre haben, aber technisch bewältigt er nach kurzer Anlaufzeit die Tücken der Partie sehr respektabel und durfte sich entsprechenden Applaus abholen. Noch mehr Zustimmung erntete Jessica Muirhead als Margarita, die im Quartett im ersten Akt mit Virtuosität und nach der Pause in ihrem Monolog und in der Finalszene mit warm schimmernder Mittellage und innigem Ausdruck punkten konnte. Dagegen ist Mephisto bei Bertin als Rolle wesentlich weniger dankbar als etwa bei Gounod oder Boito, eine große spektakuläre Arie wie bei den männlichen Kollegen hat sie dem Teufel nicht gegönnt, der folglich seine Intrigen in Form ausgedehnter Rezitative spinnen muss. Publikumsliebling Almas Svilpa macht das gewohnt klangvoll, markant und in sich ruhend, nur hin und wieder lässt er Schalk oder Boshaftigkeit hinter der nerdigen Fassade aufblitzen.

Ausgezeichnet besetzt sind auch die kleinen Partien, allen voran George Vîrban, der als Valentino mit strahlendem Tenor und sympathisch burschikosem Spiel einen kurzen, aber prägenden Auftritt hinlegt, aber auch Juliia Kukhar als Cristina, Baurzhan Anderzhanov als Wagner und Natalija Radosavljević als Hexe und Marte überzeugen.

Andreas Spering am Pult der Essner Philharmoniker kredenzt Bertins Kompositionscocktail mit ruhiger Hand und vollmundigem, gelegentlich eine Spur zu kompaktem, Orchesterklang.

Fazit: ein Opernabend der Kategorie “Jetzt hat man es auch mal gehört”.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Aalto-Theater Essen: “Aida” – 7.3.2024

Trash und Trance im Wüstenstaat

Die Hilsdorf-Aida ist zurück am Aalto-Theater

Verdis Aida gehört bekanntlich weltweit zu den meistgespielten Opern überhaupt; da müsste doch eigentlich die eine oder andere gelungene Inszenierung dabei sein? Keineswegs! Um es ganz klar zu sagen: in über vierzig Jahren Opernrezeption hat der Kulturschock eine einzige erlebt, die dem Werk wirklich gerecht geworden ist. Genau diese jenige nämlich, die Dietrich W. Hilsdorf 1989 am Essener Aalto-Theater inszeniert hat. Seinerzeit entzündeten sich an seiner geradlinigen, präzisen und vollkommen unverkitschten Regiearbeit noch veritable Saalschlachten, der Begriff „Wutbürger“ existierte zwar noch nicht, jener Menschenschlag hingegen sehr wohl… Und nun, 35 Jahre (!) später ist die Produktion längst Kult, we call it a Klassiker.

Foto: Aalto-Theater Essen

Auch wenn die Inszenierung nicht mehr ein Schlag in die Magengrube ist wie damals und sich einige Details durch die diversen Wiederaufnahmen und Neubesetzungen ein wenig abgeschliffen haben, so ist eine gepflegte Ganzkörpergänsehaut doch nach wie vor garantiert; auch ein Verdienst von Marijke Malitius, die diese Wiederaufnahme szenisch geleitet und Hilsdorfs Regie in alter Frische ins Heute transferiert hat.

Hilsdorf zeigt in den zwingend minimalistischen, zentralperspektivisch konzipierten Bühnenräumen von Johannes Leiacker die klaustrophobische, liebesfeindliche Atmosphäre eines theokratisch-autoritären Staates im Würgegriff des militärisch-industriellen Komplexes unter Führung einer „priesterlichen“ Machtelite, in dem der König als nominelles Oberhaupt bestenfalls ein Edelstatist ist. Mit präzise gearbeiteter Personenregie und eindrucksvollen Bildern macht Hilsdorf die Charaktere mit ihren Emotionen und unheilvollen Verstrickungen gnadenlos kenntlich. Der Werkdramaturgie folgend kulminiert die Konzeption in der Triumphszene, in der sich die Staatsmacht mit allem Pomp abfeiert, mit plärrenden Lautsprecherdurchsagen und dem Tanzduo The Memphis Twins wird der Menge – dem Publikum und dem im Oberrang postierten Chor – propagandistisch eingeheizt bis an den Rand der Trashigkeit. Diese gnadenlose und bitterböse Demaskierung einer totalitären Inszenierung wurde – wen wunderts? – seitdem von einigen Kollegen zu kopieren versucht, aber nie erreicht. Dennoch bildet das Schlußbild den absoluten Höhepunkt: kaum ist Amneris mit ihrem letzten Spitzenton von Ramfis brutal rausgezerrt worden, werden auf der linken Bühnenseite sämtliche ca. zwanzig Türen zugeknallt, la fatal pietra mal anders… Aida und Radamès finden sich nun im Zeittunnel wieder, dessen Linien sich wie in einer liegenden Pyramide nach hinten verengen. Das ist nicht weniger als ikonographisch und die eindrucksvollste Jenseitsillustration, die der Kulturschock jemals auf einer Bühne gesehen hat.

Musikalisch bleibt die Aufführung leider ein wenig hinter der Klasse der einen oder anderen vorherigen Wiederaufnahme zurück. So vermag der neue, seit dieser Saison amtierende Chefdirigent Andrea Sanguineti die Interpretation seines Vor-Vorgängers Stefan Soltesz nicht vergessen zu machen. Zwar bieten die Essener Philharmoniker auch unter seiner Leitung einen klangsatten und gepflegten Verdi-Sound, dramatische Höhepunkte wie Aidas Begnung mit ihrem Vater, das Finale des Nil-Aktes oder die Gerichtsszene setzt Sanguineti präzise und mit großer Intensität, da ist wirklich große Oper geboten. Daneben unterlaufen ihm aber auch immer wieder gewisse Spannungslücken, in denen der orchestrale Energielevel und die musikalische Linie plötzlich absinken, leider vorzugsweise in den leisen und intimen Momenten der Oper.

Sängerisch wird der Abend vor allem von Amneris und Radamès geprägt. Bettina Ranch ist mit ihrer roten Glamour-Robe und blondem Wallehaar eine echte Diva von hollywoodesker Schönheit, wie soeben vom roten Teppich herbeigeschwebt, und sie wirft sich in die Rolle als gebe es kein Morgen… dass sie in der Gerichtsszene noch etwas an stimmliche Grenzen stösst, geschenkt. Ihr hell timbrierter und betont schlank geführter Mezzo konterkariert spannungsvoll die gängigen Rollenklischees, ein emotional jederzeit berührendes Rollenporträt. Gianluca Terranova, seit der Norma an selbiger Stätte aufs Rollenfach Macho mit Grandezza gebucht, besang seine Celeste Aida eingangs noch als Kaltstart mit latent enger, etwas gepresster Tongebung, hatte sich aber bald freigesungen und bot mehr als nur soliden italienischen Tenorgesang mit viel Glanz, Stilgefühl und stimmlicher Präsenz; nicht zum ersten Mal wundert man sich, warum die großen Häuser diesen Sänger bislang ignorieren.

Neu im Ensemble des Aalto-Theaters ist Astrik Khanamiryan, die außer der Aida in dieser Saison noch ihre Rollendebüts als Lady Macbeth, Tosca und Amelia gibt. Ob diese stimmliche Radikalkur eine gute Idee ist, muss die Künstlerin natürlich selbst wissen, aber das recht starke Vibrato, das sie erst gegen Ende einigermassen unter Kontrolle bekommt, weckt gewisse Bedenken. Davon abgesehen besitzt sie einen voluminösen, eher dunkel timbrierten Sopran von durchaus individuellem Charakter, der stilistisch noch ein wenig Feinschliff vertragen könnte.

Den Amonasro gibt Aalto-Urgestein Heiko Trinsinger mit ausladendem Bariton und eher hemdsärmeligen Spiel, Sebastian Pilgrim beeindruckt als Ramfis leider nur mit seiner Türsteher-Statur, während sein kraftvoller Bass arg ungepflegt klingt und die italienischen Phrasen zu einem ungenießbaren Vokalbrei zerkaut. Da wäre ein Rollentausch mit dem sonor und schön auf Linie singenden König von Baurzhan Anderzhanov wünschenswert gewesen. Untadelig singen Albrecht Kludszuweit als Bote und Nataliia Kukhar als Priesterin, nicht zu vergessen der Chor und Extrachor des Aalto-Theaters in der Einstudierung von Klaas-Jan de Groot und die Memphis Twins Isabel Bromm und Julia Schalitz.

Alle Vorstellungen waren komplett ausverkauft, die Begeisterung des Publikums groß und einhellig, wer hätte das seinerzeit gedacht?

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Bayerische Staatsoper: “Pique Dame” – 4.2.2024

Düster, düsterer, am düstersten… Wer jetzt noch einen Super-Superlativ on top braucht, kann getrost anfügen: Pique Dame. Denn die Novelle von Puschkin gehört vermutlich zu den dystopischsten und nihilistischsten Texten der russischen Literatur, eine durch und durch hoffnungslose Bestandsaufnahme einer materialistischen, verrohten und egoistischen Gesellschaft, in der jeder gegen jeden agiert und die nur mühsam von einer überholten Ständeordnung zusammengehalten wird. Der Protagonist, der von Haus aus unterpriviligierte Offizier Gherman, begehrt nicht gegen die Ordnung an sich auf, sondern zerstört in seinem wahnhaften Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg sich und alle, die ihm in die Nähe kommen; ein russischer Bruder im Geiste von Wozzeck und Rigoletto. Um Spielsucht geht es in Pique Dame nur sehr am Rande und auch die amour fou zwischen Gherman und Lisa entpuppt sich schnell als Besessenheit und Projektion besagter Phantasien. Auch wenn Tchaikovskijs Oper der Vorlage von Puschkin schon den einen oder anderen gesellschaftskritischen Zahn gezogen und die Geschichte etwas romantisiert hat, so hat sie dennoch das Zeug zu einem echten Psycho-Thriller. Man muss es nur umsetzen.

Allein auf weiter Flur: Gherman (Brandon Jovanovich) und Lisa (Asmik Grigorian) – Foto: Wilfried Hösl

Düster im Sinne von dunkel ist es auch in Benedict Andrews’ Inszenierung der BSO. Viel mehr aber auch nicht. Der Regisseur, dem in der Vorsaison mit Così fan tutte ein originelles und präzises Regie-Debüt am Haus gelungen war, enttäuscht diesmal auf der ganzen Linie und bleibt alles schuldig, was diese Oper ausmacht: Atmosphäre, Interaktion und selbst eine Andeutung davon, was er zu erzählen gedachte. Auf der weitestgehend leeren, von schwärzlichgrauen Wänden eingefassten und von Jon Clark diffus ausgeleuchteten Bühne bleiben die Darsteller fast dreieinhalb Stunden lang sich selbst überlassen. Wenn man sich einen so namhaften Bühnenbildner wie Rufus Didwiszus leistet, warum hat man ihn dann nichts bauen lassen? Dass dieses Nichts an Bühne auch noch zwischen den Szenen minutenlange Umbaupausen erfordert, ist noch weniger nachvollziehbar. Die währenddessen auf den Zwischenvorhang projezierten schwarz-weißen Videosequenzen mit Close-ups der Protagonisten sind zwar stylish und verraten den Filmregisseur, einen echten Erkenntnisgewinn haben sie allerdings nicht. Die Personenführung ist von geradezu peinlicher Unbeholfenheit, insbesondere vor der Führung des Chores hat Andrews kapitiuliert, indem er den Chor im Ballbild auf eine Tribüne setzt oder ansonsten gerne ins Off verbannt; sofern die betreffenden Passagen nicht ohnehin gestrichen sind. Den Kinderchor zu Beginn, der Soldaten spielt und die Vernichtung der Feinde Russlands besingt, so unreflektiert und unkommentiert stehen zu lassen, ist in diesen Tagen ein komplettes No Go und hinterlässt einen extrem unangenehmen Beigeschmack… Lediglich zwischen den beiden Protagonisten entwickelt sich gelegentlich so etwas wie Spannung und Präsenz; diese allerdings dürften die Sänger dank ihrer Persönlichkeit wohl eher in Eigen-Regie kreiert haben. Ansonsten wird die Leere der Inszenierung mit ein paar platten Russen-Mafia-Klischees mit fetten Autos und Aufmachungen aus dem Rotlicht-Milieu (Kostüme: Victoria Behr) notdürftig kaschiert. Ein szenisches Armutszeugnis erster Ordnung, am Premierenabend zu Recht mit lautstarken Buh-Rufen quittiert.

Was noch zu retten war, rettete die grandiose Asmik Grigorian als Lisa fast im Alleingang. Die armenische Sopranistin ist, neben Barbara Hannigan, die charismatischte, aufregendste und vielschichtigste Singdarstellerin der Gegenwart, jeder ihrer Auftritte ist ein Ereignis für sich. Fach- oder Repertoiregrenzen scheinen für sie nicht zu existieren, mit ihr ist, egal in welcher Rolle, eine Vollgasveranstaltung garantiert. Ob ihre Stimme im landläufigen Sinne „schön“ ist oder nicht, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein, doch macht die Künstlerin mit ihrer Energie und Intensität solche Kategorien ohnehin obsolet; jeder Ton ist, bei maximaler technischer Sicherheit und Kontrolle, voller Emotion und Gestaltungswillen, Nebensächlichkeiten und Vordergründe kommen bei ihr nicht vor. Wundersamerweise erweckt auch ihr eher metallisch grundiertes Timbre nie den Eindruck von Kälte, sondern gibt die gesamte emotionale Bandbreite her. So gelingt es ihr als Einziger, den Charakter ihrer Rolle erfahrbar zu machen und eine entsprechende Fallhöhe aufzubauen.

Einsames Zentralgestirn des Abends: Asmik Grigorian als Lisa (Foto: Wilfried Hösl)

Neben ihr verblassten die Kollegen nahezu zu einer supporting cast; eine größtenteils solide Besetzung, wenn auch unter dem Goldstandard, den man in einer Premiere an einem Champions League-Haus erwartet. Vor allem Brandon Jovanovich in der zentralen Partie des Gherman bot eine eher durchwachsene Leistung; zwar konnte er sich nach einem desolaten Beginn mit belegtem, brüchigen und wacklig intonierten Vortrag und einem geschmissenen Spitzenton gesanglich im Verlauf des Abends konsolidieren, hatte aber bis zum Schluß mit Höhenproblemen zu kämpfen und wirkte gesanglich nie wirklich souverän. Wenn hier eine Indisposition vorlag, wäre eine Ansage unabdingbar gewesen. Steigerungspotenzial ist für den, im Normalfall ja durchaus zuverlässigen, Sänger im Laufe der Serie also gegeben.

Ein glatter Ausfall war die kleine, aber äußerst wichtige Partie der Gräfin; der Regie war nichts dazu eingefallen und auch Violeta Urmana gelang es nicht, dies zu kompensieren. Die Figur ist mit der Vorgeschichte wie mit der Opernhandlung schicksalhaft verknüpft, eine bizarre, geisterhafte und bedrohliche Gestalt aus einer anderen Zeit, bei Urmana leider nur eine etwas mürrische ältere Dame, deren Funktion sich einem Zuschauer, der das Stück nicht kennt, nichtmal ansatzweise übersetzt haben dürfte. Einen kurzen Glanzpunkt setzte Boris Pinchasovich mit der Arie des Fürsten Yeletzkij im zweiten Akt, eine Demonstration sämig strömenden Baritonschmelzes von melancholischem Zauber und Hingabe; so wunderbar gesungen hat der Kulturschock die Arie zuletzt vom unvergessenen Dmitri Hvorostovskij gehört. Schade, dass Pinkhasovichs bekanntes Potenzial als Darsteller ebenfalls von der Regie verschenkt wurde. Auf jeden Fall hat er den Wettstreit der baritonalen Salonlöwen gegen den stimmlich sehr viel grobkörnigeren Kollegen Roman Burdenko als Graf Tomskij haushoch gewonnen.

Hoch die Hände, Wochenende! (Foto: Wilfried Hösl)

Victoria Karkacheva macht in der Romanze der Polina mit schönem Mezzotimbre und Stilgefühl auf sich aufmerksam, Kevin Conners (Tchekalinskij) und Bálint Szábo (Surin) liefern routinierte Mafioso-Klischees und Tansel Akzeybek (Tchaplitzkij), Bogdan Volkov (Narumov), Daria Proszek (Mascha) und Nathalie Lewis (Gouvernante) ergänzen das Ensemble.

Eine durchaus couragierte Entscheidung war es, das Dirigat dieser Premiere einem Debütanten, dem erst 35jährigen usbekischen Dirigenten Aziz Shokhakimov, anzuvertrauen. Dieser war hörbar bestrebt, mit dem Staatsorchester die düstere Atmosphäre der Szene aufzunehmen und zu doppeln, was in einigen Momenten, etwa in der Szene im Schlafgemach der Gräfin, auch durchaus aufging. Die Balance zwischen den Instrumentengruppen hingegen war nicht durchgehend optimal und im Laufe des Abends schlich sich eine gewisse Tendenz zum Plakativen ein. Sicherlich eine Talentprobe, der Kulturschock hätte dem jungen Maestro allerdings ein etwas weniger exponiertes Debüt gewünscht…

Fazit: eine weitere enttäuschende Neuproduktion dieser, freundlich formuliert, glücklosen Intendanz.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

BR-Symphonieorchester: Simon Rattle dirigiert “Idomeneo” – 17.12.2023

Es sind keine zweihundert Meter Wegstrecke – nur einmal den Kaiserhof der Münchner Residenz durchqueren! – um vom Ort der Uraufführung von Mozarts Idomeneo, dem Cuviliéstheater, zum Herkulessaal zu gelangen, wo der titelgebende unglückselige Kreterkönig samt seiner Entourage den nächsten Versuch unternahm, auch das heutige Münchner Publikum zu erobern. Das war, auch nicht viel weiter entfernt, im Nationaltheater, zumindest bei den letzten drei Anläufen nicht gelungen.

Offiziell zählt das 1781 uraufgeführte Werk zwar zum Kanon der sieben großen Mozart-Opern, in Sachen Popularität und Aufführungszahlen bleibt es allerdings deutlich hinter seinen Nachfolgern zurück. Nicht nur, dass es fast so lange dauert, wie nach landläufig bajuwarischem Verständnis nur Wagner-Opern dauern dürfen, es ist und bleibt nunmal eine klassische opera seria ganz altertümlichen Zuschnitts: ein holzschnittartiges Libretto, eine Dramaturgie nach Schema F, eindimensionale Charaktere und schließlich ein drangeklebtes, beim besten Willen nicht verargumentierbares Happy End durch Orakelspruch… Das kann sich schon gewaltig ziehen und ist alles andere als ein Selbstläufer; hier müssen die Profis ran, echte Überzeugungstäter, die wirklich etwas dazu zu sagen haben.

Ein solcher ist bekanntlich Sir Simon Rattle, der den Idomeneo bisher an nahezu sämtlichen Karrierestationen dirigiert hat und ihn nun auch im Triumph auf das Podium der Residenz bringt. Konzertant und ohne szenische Hilfsmittel, Diashows, Lichtspiele oder V-Effekte – eine seltsame Traverse aus Metallrohren und Leinwand für die Übertitel ist der einzige Einbau im Saal – entfaltet Rattle mit den einmal mehgr großartigen Musikerinnen und Musikern des BR-Symphonieorchesters ein fulminantes Klang-Theater von maximaler Imagination, Tiefenschärfe und aus der Musik entwickelter Dramatik. „Kontrollierter Klangrausch“ heißt einmal mehr Sir Simons Devise und eine auch nur im Ansatz vergleichbar suggestive und farbenreiche Interpretation ist dem Kulturschock in nunmehr auch schon gut vierzig Jahren aktiven Opernerlebens noch nicht zu Ohren gekommen. Das ist nicht einfach nur phänomenal dirigiert und musiziert, das verwandelt die singenden Papiertiger der Vorlage mit einem Mal zu Menschen aus Fleisch und Blut und dröge akademische Gefühlsbehauptungen in pure Leidenschaft; und das, ohne jemals den stilistischen Rahmen der opera seria zu überdehnen oder gar zu sprengen. Natürlich kann nichtmal Rattle jede musikalische Redundanz der Partitur wegzaubern und jeden dramaturgischen Durchhänger auffüllen, aber er macht deutlich, wo der junge Mozart die Konventionen des Genres erfüllt und wo er sie aufgebrochen und neu definiert hat. Das ist so spannend wie die Aufführung als imaginäres Theatererlebnis. So machen konzertante Aufführungen Sinn, bitte mehr davon!

Großer Jubel für Linard Vrielink, Andrew Staples, Sir Simon Rattle, Magdalena Kožená, Elsa Dreisig und Sabine Deveilhe (Foto: Bayerischer Rundfunk)

Das funktioniert natürlich nur mit einem so grandiosen und perfekt aufeinander abgestimmten Sängerensemble wie es an diesen drei bejubelten Abenden versammelt war: Wo Sir Simon ist, da ist zumeist auch seine holde Gemahlin, Mezzosopranistin Magdalena Kožená, nicht weit; eine Konstellation, die nicht immer und bei jedem Jubel auslöst. Diesmal allerdings wars ein Glücksfall, denn Kožená gestaltet den tugendhaften Prinzen und schließlichen Thronfolger Idamante mit purem, sinnlich strömendem Mezzo-Klang, sehr nuanciert und mit echter Noblesse, zugleich aber auch ungemein eindringlich in seinen emotionalen Zwiespalten. Ihr Timbre harmoniert zudem perfekt mit dem von Sabine Deveilhe als Ilia, die nicht nur über exquisite lyrische Qualitäten und berührende Stimmschönheit verfügt, sondern der trojanischen Prinzessin im griechischen Luxusgefängnis auch starkes gestalterisches Profil und königliches Selbstbewußtsein verleiht; ihre Duette mit Kožená markierten besondere klanglich-emotionale Glanzpunkte des Abends. Für die große vokale Geste und dramatischen Furor ist im Stück die unterlegene Rivalin Elettra zuständig, und Elsa Dreisig läßt sich keine Gelegenheit entgehen, mit Spitzentönen und Koloraturketten gehörig aufzutrumpfen; endlich mal eine Sängerin, bei der man die Furien, die sie permanent besingt, auch stimmlich hört, ohne dass sie in pseudo-romantische Effekthascherei verfällt. Dreisig räumt mit ihrem virtuosen, schlank geführten und eher kühl timbrierten Sopran richtig ab, insbesondere in ihrer finalen Bravourarie D’Oreste, d’Ajace le furie ho in seno.

Dass der Titel“held“ sich gegenüber dieser geballten Frauenpower zu behaupten wusste, spricht für die überragenden stimmgestalterischen Fähigkeiten von Andrew Staples. Der visuell eher rustikal als royal wirkende Sänger verfügt über einen hellen Tenorklang mit metallischer Grundierung und einem im ersten Moment eher mittelmäßig attraktivem Timbre, besticht aber durch präzisen, stilsicheren Vortrag, stimmliche Beweglichkeit und brillante Koloraturen; die gefürchtete Arie Fuor del mar un mar ho in seno meistert er mit maximaler Souveranität und Virtuosität. Vor allem zeichnet er den Herrscher als eine zwischen menschlicher Schwäche und machtpolitischem Anspruch zerrissene Figur und gibt der Rolle ein Profil, welches das Lbretto eigentlich gar nicht hergibt.

Auch die drei kleineren Partien halten das überragende Niveau der Protagonisten: Linard Vrielink schraubt als zwielichtiger Berater Arbace seinen Vortrag in fast countertenorale Höhen, der kurzfristig eingesprungene Allan Clayton ist für die paar Sätze des Oberpriesters beinahe eine Luxusbesetzung und Tareq Nazmi orgelt den Orakelspruch bassgewaltig und klangsatt von der Empore. Und von der Klangkultur und Sprachmächtigkeit des, hier relativ klein besetzten, BR-Chors in der Einstudierung von Peter Dijkstra zu schwärmen, hieße einmal mehr, Olivenöl nach Kreta zu importieren…

Gehabt Euch also wohl, kommt gut rüber und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Bayerische Staatsoper: “Le nozze di Figaro” -1./12.11.2023

Kiffen und Lümmeln im Nirgendwo

Figaro hier, Figaro da, Figaro oben und Figaro unten… Man kann den umtriebigen (Ex)Barbier und Teilzeitrevoluzzer schon beim Wort nehmen in diesem Jahr; nicht nur an Donau und Salzach wurde die Geschichte seiner Hochzeit mit all ihren Hindernissen und Intrigen heuer neuinszeniert, sondern auch an der Isar. Und zwar gleich im Doppelpack: nach Josef E. Köpplingers Version im Gärtnerplatztheater zum Ende der letzten Saison legten nun die Kollegen der BSO nach und präsentierten das Stück als erste Saisonpremiere… Ey, Maestri, redet Ihr eigentlich hin und wieder miteinander? Dabei war ein neuer Figaro nun alles andere als eine Verschwendung, denn nach den beiden unterirdisch langweiligen, von Dieter Dorn bzw. Christof Loy verbrochenen, Vorgängerproduktionen konnte es eigentlich nur besser werden; eine durchaus komfortable Ausgangslage für den in Kasachstan geborenen Regisseur und BSO-Debütanten Evgeny Titov und sein Team.

Der große Wurf in Sachen Figaro-Inszenierung ist es, so viel gleich vorweg, auch diesmal nicht geworden, ein unterhaltsamer und kurzweiliger Theaterabend mit einigen hübschen Einfällen und einem sehr originell inszenierten Finalakt aber durchaus, und damit schon eine erhebliche Steigerung nach der szenischen Ödnis der letzten 26 (!) Jahre. Dennoch bleiben szenisch einige Fragen offen, darunter die, wo wir uns hier eigentlich befinden und jene, wie diese Community von Freaks zueinander steht; nicht gänzlich unwichtige Fragen. Die historisch wie räumlich kaum zu verortenden Bühnenbilder von Annemarie Woods, die auch die unbestimmt heutigen Kostüme entworfen hat, zeigen in den ersten beiden Akten eine Art heruntergekommener Industriearchitektur, nur einige verdreckte Stuckelemente deuten auf ein Schloß hin; nach der Pause befinden wir uns zunächst in einer Art 60er Jahre Chefbüro, als kleine Hommage an Anna Viebrock mit billigen Holzpaneelen verkleidet. Und dann, wenn der Zinnober nach oben weggezogen wird… öffnet sich ein Garten der besonderen Art, eine veritable Haschplantage. Sicherlich der knalligste und prägendste Einfall des Abends. Denn der Konsum weicher bis mittelharter Drogen scheint an diesem seltsamen Ort üblich zu sein: sowohl Susanna als auch ihre Chefin ziehen gerne mal einen durch, der Gärtner fuchtelt nicht wie sonst mit dem kaputten Blumentopf, sondern mit ramponierten Cannabispflanzen, und auch der Conte persönlich hat sein eigenes Beet auf dem Schreibtisch. Der Hans Söllner der Opernbühne? Nicht ganz, besser gesungen wird hier allemal. Ius primae noctis? Alter Hut! „Legalize Figaro!“ passt schon besser.

Frau Gräfin und Herr Graf im Giardino (Foto: Wilfried Hösl)

Und sonst? Als genuiner Schauspielregisseur konzentriert sich Titov auf die Personenführung, die auch durchgehend sehr lebendig gerät, Tempo und Timing passen, das sehr spielfreudige und überwiegend jung besetzte Ensemble zieht voll mit und setzt die Vorgaben engagiert um, Stehgesang oder antiquierte Operngestik finden nicht statt. Trotzdem offenbart die Inszenierung, abgesehen von besagter konzeptioneller Unschärfe, auch einige handwerkliche Schwächen, etwa wenn Personen wo auftreten, wo sich nach räumlicher Logik kein Auftritt befinden kann. An Einfällen mangelt es nicht, wohl aber an einer stücktragenden Grundidee, viele Ansätze und Ideen werden nicht weiterverfolgt und verläppern so im szenischen Nirgendwo. So steht in jedem Akt ein bizarres Möbelstück auf der Bühne, etwa ein thronartiger Sessel, der sich qua Hebelzug zum Lustmöbel umfunktionieren lässt, einen ganzen Kranz rotierender Dildos eingeschlossen, oder ein schweinchenrosafarbenes XXL-Flauschsofa zum Kiffen und Lümmeln im Gemach der Contessa… Leider bleiben diese weitestgehende Staffage und werden kaum bespielt; da hat die Regie definitiv etliches an Gagpotenzial liegen gelassen.

Ein großes Lob verdient sich die Sängerbesetzung; was sich schon bei der letztjährigen Così fan tutte abgezeichnet hat, verfestigte sich jetzt, nämlich, dass hier ganz offensichtlich wieder ein echtes Mozart-Ensemble auf sehr hohem Niveau heranwächst, bzw. aufgebaut wird, drei der Così-Solisten sind auch hier wieder zu erleben. Vor allem was das Dienerpaar Susanna und Figaro angeht, muss man schon einige Jahrzehnte zurückblättern, um eine ähnlich überzeugende Besetzung zu finden: Louise Alder vermag als Susanna ihre Fiordiligi vom letzten Jahr nochmal zu toppen, singt mit wunderbar sinnlich timbrierten, weich aufblühendem, und dabei perfekt fokussiertem Sopran und gibt der Rolle eine mitreissend selbstbewußte Sinnlichkeit und echten working class-Charme. Auf selbigem überragenden Niveau bewegt sich der Figaro von Konstantin Krimmel, der mit seinem vollmundig viril timbrierten, flexibel und leichtgängig geführten Bariton schon rein stimmlich eine Glanzleistung abliefert und einmal mehr seine Ausnahmestellung unter den Baritonen der jungen Generation demonstriert. Mit seinem fein ausdifferenzierten Vortrag verbindet Krimmel kämpferischen Gestus, Empathie, Furor, Impulsivität und Leidenschaft zu einem grandiosen Rollenporträt. Einen famosen Einstand als neues Ensemblemitglied – herzlich Willkommen! – feiert Avery Amereau, in der Così bereits als Dorabella am Start, nun als Cherubino. Sie nimmt den emotionalen erotischen Überdruck und die Emphase des dauerverliebten Pagen voll auf Lunge und brennt ein vokalsinnliches und -farbiges Feuerwerk ab, das unmittelbar mitreisst und berührt. Und das, obwohl sie ab dem Finale des ersten Aktes durch die von Figaro rasierte Glatze – Einmal barbiere, immer barbiere – und einen sackartigen olivgrünen Ganzkörperanzug optisch extrem verunstaltet agieren muss…

Zu dritt aufm Sofa: Avery Amereau (Cherubino), Louise Alder (Susanna) und Elsa Dreisig (Contessa) – Foto: Wilfried Hösl

Elsa Dreisig gilt derzeit als einer der führenden Mozart-Soprane, entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr Hausdebüt. Die Sängerin verfügt über eine attraktive, jugendlich-elegante Erscheinung und einen schlank geführten, höhensicheren Sopran von eher kühlem Timbre, was für die Partie der Contessa zunächst etwas gewöhnungsbedürftig anmutet, da hat der Kulturschock durchaus etwas das vokale Farbenspektrum großer Rollenvorgängerinnen vermisst. Gestalterisch gelingt ihr hingegen ein sehr spannendes Rollenporträt; diese Contessa ist alles andere als Grande Dame oder aristokratische Dulderin, sie ist der Eskapaden ihres Gatten offensichtlich in höchstem Maße überdrüssig und wahrt sie erst im letzten Moment noch die Contenance oder greift zu Übersprungshandlungen wie dem Malträtieren des besagten Flauschsofas. Der zweite prominente BSO-Debütant war der medial zuletzt schwerst gehypte Huw Montague Rendall. Trotz eines schönen und kultivierten Vortrags war er eindeutig der Schwachpunkt im Ensemble. Zum einen fehlt ihm für diese Partie Stimmvolumen und Durchschlagskraft für ein Haus dieser Größenordnung, zwischen den beiden Vorstellungen hatte er hörbar noch abgebaut. So konnte er auch nicht die charakterliche Dominanz des Provinz-Potentaten entwickeln und blieb in dieser Vorzeige-Macho-Partie doch einiges schuldig, wer dieser Freak im enggeschnittenen Anzug und mit blondierter Bombenlegerfrisur eigentlich sein soll, übersetzt sich nicht.

Dorothea Röschmann als Marcellina und Sir Williard White als Bartolo betreiben mittlerweile ihre stimmliche Resteverwaltung mit Charme und einer sympathischen Portion Selbstironie, Tansel Akzeybek und der am zweiten Abend eingesprungene Thomas Ebenstein sangen den intriganten Basilio mit ausgesuchter Hinterfotzigkeit, Martin Snell (Antonio), Kevin Conners (Don Curzio) und Erin Rognerud (Barbarina) ergänzten das Ensemble.

Amouröse Verwirrspiele: Figaro (Konstantin Krimmel) und Susanna (Louise Alder) – Foto: Wilfried Hösl

Nicht gänzlich unumstritten war das Dirigat von Stefano Montanari, der eine oder andere der Münchner Großkritiker monierte eine oberflächlich nivellierende Lesart und „wieder einen dieser Presto-Presto Mozarts“ . Einspruch, Euer Ehren! Eine Kritik, der sich der Kulturschock definitiv nicht anschließen kann; im Gegenteil. Natürlich wirft Montanari, wo es angebracht ist, den Turbo an und gibt der Musik einen spritzigen, energiegeladenen Grundgestus und komödiantischen Wirbel; das wirkt aber nie gehetzt oder aufgesetzt, zumal der aus der Alte Musik-Szene stammende Dirigent auch immer wieder brillant mit dem Tempo spielt, raffiniert verzögert und den Affekten seiner Protagonisten Raum zur Entfaltung gibt. Spannend und ohne Durchhänger gestaltet er auch die Rezitative vom Hammerklavier aus und ohne Continuogruppe, die Anschlüsse zwischen Rezitativen und Arien sitzen und korrelieren sinnstiftend mit dem Textinhalt – Vom Kulturschock gibts ein fettes BRAVO!

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

Bayerisches Staatsorchester/ Kent Nagano – 6.11.2023

Wenn es um seine früheren Chefdirigenten geht, hält es das Bayerische Staatsorchester gerne mit Goethes Mephisto: „Von Zeit zu Zeit seh ich den (die) Alten gern“. Das galt natürlich besonders im Jubiläumsjahr 500 Jahre Bayerisches Staatsorchester, wo man zur Feier des Tages die letzten drei Generalmusiktoren des Orchesters ans Pult gebeten hatte; nach Zubin Mehta im Februar und Kirill Petrenko im September nun auch Kent Nagano. Auch an diesem Abend war es einmal mehr absolut frappierend zu erleben, mit welcher Selbstverständlichkeit und Kompetenz das Orchester die stilistischen Eigenheiten und musikalischen wie gestalterischen Klangvorstellungen seiner drei so unterschiedlichen Ex wieder hochholen und realisieren kann; fast hatte man den Eindruck, die Maestri seien nie weg gewesen…

Das galt auch für den 2013 von der Isar an die Waterkant abgewanderten – manche sagen: wegvergraulten – Kent Nagano, der aus dem hohen Norden ein Kent Nagano-Programm mitgebracht hatte wie es typischer kaum hätte sein können: Anton Weberns großes spätestromantische Orchesteridyll „Im Sommerwind“ und Beethovens 6. Symphonie umrahmten eine vom Staatsorchester beauftragte Uraufführung der koreanischen Komponistin Unsuk Chin, mit der Nagano von jeher eine eher unglückliche künstlerische Liebesbeziehung verbindet.

Foto: Wilfried Hösl

Die klanglichen und programmatisch-dramaturgischen Korrespondenzen zwischen Webern und Beethovens Pastorale liegen natürlich auf der Hand und übersetzten sich ohne weitere Erklärung. Beiden Werken liegt eine, mehr oder weniger ausformulierte, außermusikalische Programmatik zugrunde. Weberns titelgebendes Wetterphänomen beschwört der Komponist sehr suggestiv mit fließender Agogik, dynamischen Abstufungen und einer Fülle an orchestralen Farben. Das verleitet zu ungeniertem Schwelgen und Schmieren, so manch ein Kollege ist hier aus Versehen im Vorhof Hollywoods gelandet. Nagano selbstverständlich nicht, bei ihm verbindet sich die klangliche Imagination stets mit maximaler Präzision, Tiefenstaffelung und Durchhörbarkeit; dafür ken(n)t man ihn eben. Und natürlich verschickt er auch bei Beethoven keine tönenden Kitschpostkarten from the countryside, sondern erzählt klangredend und mit klarer Struktur eine Abfolge von Empfindungen. Dass diese hier weniger idyllisch und munter klingen, als man das von anderen Dirigenten gewohnt sein mag, war wenig überraschend. Da hat die Szene am Bach mit ihren dialogisierenden Vogelrufen in den Holzbläsern wenig Verspieltes und auch die ländlichen Feierlichkeiten kommen eher unfolkloristisch daher. In der Gewittermusik greifen Dirigent und Orchester richtig in die Kiste und ein gewisser Nach-Klang, ein latent bedrohlicher Schatten dessen, will auch im ausgelassenen Finalsatz nicht völlig weichen. So ging der Kulturschock, wie so oft bei Nagano-Konzerten, aus dem Haus und dachte sich: Muss man nicht so machen, hat aber funktioniert…

Zwischen den beiden Schwergewichten nahm sich das Orchesterstück(chen) „Operascope“ von Unsuk Chin eher wie ein kurzer Einwurf aus. Beabsichtigt hat die Komponistin nach eigenen Worten eine Hommage an die italienische Oper… Wo sich in diesem orchestral großbesetzten, massiv dahinlärmenden Sechsminüter (!) eine solche verborgen haben soll, blieb dem Kulturschock ein Rätsel. Da werden weder Opernmelodien zitiert, noch folgt das Stück irgendeiner auditiv nachvollziehbaren opernähnlichen Dramaturgie; sechs Minuten nochwas bläser- und schlagzeuglastiges Getöse mit einem irgendwie drangeklebten Streicher-Ausklang. Wieso, warum, weshalb?

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius