Die von den Autoren Strauss und Hofmannsthal süffisant-augenzwinkernd „Komödie für Musik“ genannte Oper Der Rosenkavalier wurde 1911 in Dresden uraufgeführt. Das ist großen Teilen des Münchner Publikums freilich schon immer wurscht gewesen, das Opus wird an der Isar traditionell als lokales wie ideelles Eigentum betrachtet und entsprechend mit Monstranzcharakter abgefeiert. Vor allem in der Otto Schenk/ Jürgen Rose-Inszenierung, welche die gefühlt letzten 150 Jahre am Max-Joseph-Platz zu sehen war, getreu dem Motto Bis dass der TÜV uns scheidet. Da mit einer Neuinszenierung um die Ecke zu kommen und das oide Graffl – wie der Münchner sagt – einfach abzuräumen, ist schon ein echter Kulturschock.
Wofür Regisseur Barrie Kosky natürlich erste Wahl ist; seine runderneuerte Version des alten Schlachtrosses hatte inmitten der Pandemie via Stream und TV Premiere, feierte im März seine Erstaufführung vor echtem Publikum und wurde nun auch im Rahmen der Festspiele zweimal gezeigt. Seinem Ruf als kreativer Theatererzähler und Erfinder von poetischen und zugleich ironisch runtergebrochenen Bildern wird Kosky, im Zusammenspiel mit Rufus Didwiszus (Bühne) und Victoria Behr (Kostüme) auch hier gerecht, eine altmodische Standuhr als zentrale Metapher für die Thematik von Zeit und Vergänglichkeit begegnet uns in unterschiedlichen Kontexten, ein alter Mann mit Engelsflügeln, als “Alter Cupido” vorgestellt, schlurft sternenstaubschüttend durch die Szene, die Figuren huschen im ersten Akt durch einen seltsam verfremdeten Garten, der plötzlich das feldmarschallische Palais füllt, im zweiten Akt wird das ominöse, zunächst vorenthaltene Bett dann nachgeliefert; und zwar inmitten einer protzigen Gemäldesammlung durchaus handfest erotischen bukolischen Charakters; zur Rosenüberreichung fährt Octavian tatsächlich in silberner Staniol-Kutsche vor und Faune bevölkern den Raum. Das ist alles sehr schön anzuschauen, teilweise auch von feinem Witz und lustvollem Spiel mit der Aufführungstradition, füllt die Längen des Werkes aber nur ansatzweise… Ja, amici miei, der Kulturschock ist kein Fan des Werkes. Seltsamerweise funktioniert die Regie ausgerechnet im dritten Akt, dem normalerweise mit Abstand langweiligsten der drei, am besten. Als eine Art Theater-auf-dem-Theater-Szenerie mit plötzlich auftauchenden und verschwindenden Ochs-Doppelgängern, ausgefeilter Widersinnigkeitsdramaturgie und Travestie erinnert das schon an Marthaler zu seiner besten Zeit. Hier ist Kosky auch das Timing und die Balance von Burleske und lyrischer Innenschau nahezu perfekt gelungen.

Nun die Geschichte des Rosenkavalier in München immer und zuvorderst eine Geschichte großer Sängerpersönlichkeiten gewesen, die sich hier jahrzehntelang die Boudoirtür in die Hand gegeben haben. In dieser Hinsicht – und damit beginnt der Mecker-Teil dieses Textes – reißt die Neuproduktion leider nicht aus dem Rokoko-Sessel. Lediglich der eingesprungene Günther Groissböck als Baron Ochs reiht sich stimmgewaltig und raumgreifend in die große Phalanx seiner Vorgänger ein. Sein „Heimspiel“ als einziger österreichischer Muttersprachler der Besetzung gewinnt Groissböck souverän, wunderbar kostet er den Text dialektisch und klangfarblich aus und gibt dem dünkelhaften Landadeligen durchaus bedrohliche Züge.

Weit weniger Eindruck hinterlassen die drei zentralen Frauenstimmen, sonst notwendigerweise das Herzstück jeder Rosenkavalier-Aufführung. Auch die vom Fabius sehr geschätzte Marlis Petersen fremdelt spürbar mit der Rolle der Marschallin. Als selbstbewußte, vor Sinnlichkeit und Lebensfreude strotzende Lebefrau im ersten Akt überzeugt sie, doch die melancholische Reflektion über den Lauf der Dinge habe ich ihr nicht abgenommen, und auch stimmlich wäre mehr Fülle, mehr Volumen, einfach mehr Stimme, wünschenswert gewesen. Samantha Hankey als burschikoser Octavian harmoniert darstellerisch gut mit Petersen, bleibt aber insgesamt zu blass, da haben wir doch schon andere Kaliber gehört, selbst unterhalb der Fassbaender-Skala… Bemüht und farbarm bleibt auch Liv Redpath als Sophie, den „Gruß vom Himmel“ schafft sie, ohne allerdings jenen silberglänzenden sopranstratosphärischen Zauberglanz zu verbreiten, den… Ja, schon gut. Ich hör ja schon auf.
Johannes Martin Kränzle gestaltet die undankbare Partie des Faninal mit routinierter Aufgeregtheit und sicherer Höhe, Daniela Köhler (Leitmetzerin), Ursula Hesse von den Steinen (Annina), Kevin Conners (Haushofmeister und Wirt), Martin Snell (Kommissar) und Christian Rieger (Notar) agieren gewohnt zuverlässig. Galeano Salas setzte mit der Arie des namenlosen Sängers ein echtes Highlight, er dürfte länger mit Kostüm und Maske beschäftigt gewesen sein als er singen durfte…

Den Rosenkavalier in München zu dirigieren, ist beinahe noch undankbarer, als ihn zu singen; so dominant liegt noch immer der Kernschatten des mystisch verehrten Carlos Kleiber über dem Nationaltheater und auch Kirill Petrenko hat mit diesem Stück triumphiert. Ganz schön dickes Brett zu bohren also für Vladimir Jurowski. Auch diesmal dirigiert er präzise, mit viel Gespür für die Wort-Klang-Balance und lebendige Phrasierung; und doch vermißt man den großen Bogen, die schwelgerische Transzendenz des Orchesterklanges, das musikalische „Abheben“, das klingt alles die entscheidende Nuance zu geerdet, zu kleinteilig, zu gestückelt. Natürlich ist das mal wieder auf hohem Niveau lamentiert, die Messlatte wurde allerdings doch unterquert.
Richtig emotional wurde es nach der Vorstellung, als mit einer kleinen Zeremonie der Valzacchi des Abends, KS Ulrich Reß nach fast vierzig Jahren als Ensemblemitglied in den Ruhestand verabschiedet wurde. Künstler wie Ulrich Reß, die selten im Mittelpunkt stehen und dennoch jeden noch so kurzen Auftritt zu etwas Besonderem machen, solche Könige der Comprimarii, sind nicht nur für jedes Opernhaus von unschätzbarem Wert, sondern auch für die Kunstform Oper an sich, sie geben einem Ensemble Gesicht, Stimme und Seele sowie eine unerschütterliche Präsenz. Als Abschiedsgeschenk bekam er das Valzacchi-Kostüm aus der alten Produktion, eine Brücke zwischen den Zeiten. Ulrich Reß hat sie mitgemacht und mitgestaltet, im heiteren, im tragischen und im skurrilen Fach. In sechzig Rollen und 238 Vorstellungen hat der Fabius ihn erlebt; also einem kleinen Ausschnitt seines Schaffens… Zu unserem und der BSO Glück wird er uns noch für einige Zeit als Gast erhalten bleiben.
Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,
Euer Fabius