Bayerische Staatsoper: “Il turco in Italia” – 19.2.2014

Kennen Sie den? „Kommt ein Türke nach Italien…“ Und was hat er im Sinn? Natürlich: Amore! Ja, was denn sonst? Schließlich sind wir in der Oper, noch dazu in einer italienischen. Der von Rossini besungene Musulman heißt übrigens Selim Damelec und landet an Neapels Küste, um die dortige Damenwelt in Augenschein zu nehmen. Als höflicher Individualtourist besingt er gleich mal die Schönheiten des Gastlandes; und brachte seinerzeit seinen Autor einigermaßen in die Bredouille. Italien gab es im Entstehungsjahr 1814 nämlich offiziell nicht, jedenfalls nicht in den Augen der Besatzungsmacht, laut Großkanzler Metternich – ja genau, der von der Sektflasche! – war Bella Italia „ein ausschließlich geographischer Begriff“. Niente Selbstbestimmung, niente Risorgimento… das kam erst viel später. Da konnte man das „Bella Italia, io ti saluto“ des Gastes vom Bosporus durchaus als Subversivität auffassen. Was im Stück folgt, ist natürlich ein hochwitziger und –turbulenter Komödienwirbel mit skurrilen Typen aus dem Arsenal der opera buffa: die kapriziöse und verführerische Diva, der grantige Ehemann, der eitle Liebhaber, der natürlich ausgerechnet Don Narciso heißen muss, die Rivalin, der Türke und, last but not least, der Dichter Prosdocimo, der aus dem ganzen närrischen Treiben ein Stück machen will. Es geht hin und her, drunter und drüber, es wird intrigiert dass die Fetzen fliegen und am Ende sind die „richtigen“ Paare wieder beisammen. Apotheose. Eine Geschichte, die von purem Nonsense nicht weit entfernt ist, aber Spaß macht. Zumindest wenn sie so fein gesungen und gespielt wird wie in der aktuellen Serie der Bayerischen Staatsoper.

Bevor ich mich jetzt hemmungslos der Schwärmerei hingebe, muss noch ein Rüffel verteilt werden: Meine lieben Damen und Herren des Staatsorchesters! Was bitte war denn das? Dieses wacklige, schief intonierte und arhythmische Konvolut sinnfreier Noten, die Ihr da anstelle der Turco-Ouvertüre gespielt habt? Signori le trombe? Guten Morgen! Erstens: das ist Rossini, und Rossini ist tolle Musik und geht nicht mal eben so… Zweitens: das ist Euer Job, das gescheit zu spielen, auch wenn solch „welscher Tand“ natürlich weit unter der Würde einer Wagner- und Strauss-Kombo sein mag. Immerhin zeigte die Formkurve in Sachen Genauigkeit und Intonation im Laufe des Abends wieder nach oben, wobei es auch auf der Bühne so viel szenische und musikalische action gab, dass man das Orchester zunehmend überhören konnte. Am Dirigenten Maurizio Benini dürfte es nicht gelegen haben, der genießt nicht zu Unrecht in der Branche einen einschlägig guten Ruf als Rossini-Interpret, welchen er hier auch größtenteils einlösen konnte.

BSO Turco 1Donna Fiorilla (Nino Machaidze), höchst umschwärmt – Foto: Wilfried Hösl

Die 2007 aus Hamburg übernommene Inszenierung von Christof Loy in der Ausstattung von Herbert Murauer war seit vielen Jahren nicht mehr im Spielplan, eigentlich hatte man sie bereits geschreddert und entsorgt gewähnt… was ein großer Fehler gewesen wäre! So viele wirklich tolle Inszenierungen gibt es derzeit hier ja nicht zu bestaunen; umso unverständlicher, dass man diese so lange im Magazin hat vor sich hingammeln lassen. Loy bietet hier sicherlich keinen Schenkelklopfer, wohl aber eine feinsinnige und geistreiche Inszenierung, sparsam und prägnant in der Personenregie und mit lustvoll ausgespielten Klischees wie dem fliegenden Teppich mit dem Selim eingeschwebt kommt, der fauchenden Espressomaschine oder Fiorillas prallvollem, mehr als mannshohen Schuhschrank. Die Regie kommt ohne Mätzchen und Übertreibungen aus und nimmt das handelnde Personal jederzeit ernst; witzig, aber eben nicht dümmlich.  Dass der Turco nie so populär war wie die anderen großen Komödien Rossinis, wie der Barbiere, die Italiana oder die Cenerentola, mag an der etwas umständlichen Handlungsführung oder am Fehlen der ganz berühmten spektakulären Arien liegen, da braucht es einfach ein wenig Nachhilfe seitens der Regie und der Sänger, um den Türken auf Trab zu bringen.

BSO Turco 2Hier kommt Selim! Ildebrando d’Arcangelo, schwerst bepackt (Foto: Wilfried Hösl)

Und damit nun zur Sängerbesetzung, mit der jede Rossini-Aufführung steht oder fällt. So prominent und zugleich so herausragend gut war diese Produktion niemals zuvor besetzt; da ist der Begriff „Stimmfest“ nicht zu hoch gegriffen. Wann hat man beispielsweise so einen Bilderbuch-Macho wie Ildebrando d’Arcangelo als Selim erlebt? Jeder Zoll ein sinnlich-südländischer Pascha erobert er nicht nur Fiorilla, sondern auch das gesamte Auditorium auf Anhieb, mit den gängigen Attributen weißer Anzug, XXL-Sonnenbrille, Gelfrisur und blitzendem Ohrring spielt er ebenso hinreißend wie mit dem dazugehörigen Gesten- und Bewegungsrepertoire, sich dabei gekonnt selbst auf den Arm nehmend. Und sein volltönender, cremig timbrierter Bass bietet Belcanto vom Feinsten, kultiviert und elegant in der Linienführung, saftig und farbenreich im Klang und beispielhaft in der Phrasierung. Auch Nino Machaidze, gerade zurück aus der Babypause, zeigt sich in bester Sing- und Spiellaune und zieht alle Register, hat die selbstbewußte Verführerin ebenso „drauf“ wie die große Dame oder die verwöhnt-zickige Göre aus der Provinz; mit diesem Temperamentsbündel hat es kein Macho leicht, sei es ein türkischer oder ein italienischer, diese Fiorilla wickelt sie alle um den Finger, weiß aber auch und gerade in der letzten großen Arie „Caro padre“ mit innigem Affektausdruck und zartem Pianoschmelz zu begeistern. Ein großes Lob auch an Renato Girolami als ihren bedauernswerten Ehemann Don Geronio, bei aller Kauzigkeit bewahrt er der Figur ihre Würde und verzeichnet sie nicht, wie so oft schon erlebt, zur Karikatur. Auch in den sprudelnden Parlando-Kaskaden singt er fokussiert und technisch souverän und läuft nie Gefahr, hier vokal aus der Kurve zu fliegen. Das tut auch Lawrence Brownlee nicht, der den Don Narciso als eine Art Eddie Murphy des Belcanto gibt und darstellerisch die Bühne rockt. Stimmlich steht Brownlee in der Tradition der höhensicheren, allerdings etwas engstimmigen Rossini-Tenöre wie sie in den 70er und 80er Jahren verbreitet waren; die Arie im zweiten Akt war in der Extremhöhe schon hart auf Kante genäht, da war kein Millimeter Luft mehr über den Spitzentönen. Alles nochmal gutgegangen…! Sehr präsent und mit lakonischem Witz gestaltet Vito Priante die „Spielleiterrrolle“ des Dichters Prosdocimo, eine eigene Arie oder größeres Solo hat er leider nicht abbekommen. Yulia Sokolik (Zaida) und Joshua Stewart (Albazar) ergänzen das Ensemble. Der Chor, der zu Beginn in voller Mannschaftsstärke einem einzigen Wohnwagen entquillt, macht seine Sache bestens und brauchte, im Gegensatz zu den Kollegen des Orchesters, keine Warm up-Phase.

BSO Turco 3Cavalieri halten Kriegsrat: Lawrence Brownlee (Narciso), Vito Priante (Poeta), Renato Girolami (Geronio) – Foto: Wilfried Hösl

Von Karl May, einem Kollegen Prosdocimos, stammt der schöne Satz „Immer, wenn ich an den Indianer denke, fällt mir der Türke ein“; an diesem  virtuosen Abend ahnte man, was er damit gemeint haben könnte. Riesiger Applaus für alle.

Bayerische Staatsoper: “La clemenza di Tito” – 10.2.2014

Mozarts La clemenza di Tito ist eine Oper über die Gnade. Nicht im theologischen oder redensartlichen Sinne, sondern auch und ganz stark im politischen. Entstanden im Sommer 1791 zur Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen sollte hier dem künftigen Herrscher – zwar sicherheitshalber nur in allegorischer Form, aber immerhin – aufgestrichen werden, was man als Volk denn so erwartet von der herrschenden Klasse: Klugheit, politische Weitsicht, Milde, Güte und Vergebung. Wenn es weiter nichts ist…! Herausgekommen ist eine Oper, die in ihrer strengen opera seria-Ästhetik mit Rezitativen und Arien schon damals out war und deren Handlung für heutige Geschmäcker, vorsichtig ausgedrückt, schwer vermittelbar ist. Immerhin ist sie wenigstens von Mozart! Die Popularität von dessen frivolen Zofen und Frisören, Erotomanen und gewitzten Dienern, orientalischen Paschas und lustigen Vogelfängern hat der milde Kaiser samt seiner Entourage allerdings nie genossen, die Clemenza ist immer ein Randwerk geblieben, eine Oper für Kenner. Und eben kein Selbstläufer wie die Zauberflöte, den man beim besten Willen nicht leergespielt bekommt; hier müssen Regisseur und Dirigent schon wirklich was zu sagen haben, um die latente Drögheit der Fabel in lebendiges Musiktheater zu übersetzen. Anno 1999 war eben das an der Bayerischen Staatsoper auf beglückende Art und Weise gelungen; an diese Produktion mit Ivor Bolton am Pult in der brillanten und geistreichen Regie von Martin Duncan und einem Ensemble famoser Mozartstimmen erinnerte man sich an diesem Premierenabend lebhaft – und zwar mit extremer Wehmut.

Denn die aktuelle Neuproduktion ist fulminant danebengegangen. Ein Absturz aus der imperialen Chefetage, kopfüber und mit Karacho. Selbst bei wohlwollendster Betrachtung finde ich nichts an der Inszenierung von Jan Bosse, was gelungen oder auch nur im Ansatz überzeugend wäre. Diese Inszenierungsverweigerung steht gleichberechtigt in einer Reihe mit den so grauenhaft vermurksten Produktionen von I Capuleti und Rigoletto; Rampensingen statt Personenführung, Leerlauf statt Interpretation,  Mätzchen statt Ideen und öder Designer-Schnickschnack statt eines Konzeptes. Bühnenbildner Stéphane Laimé hat ein klassizistisches Bühnenrund aufgebaut, in aseptischem Weiß und leicht verfremdet dem Interieur des Nationaltheaters nachempfunden. Toll, das haben wir ja noch nie gesehen. Also, höchstens eine Million Mal… Das Orchester ist fast auf Bühnenniveau hochgefahren und sitzt sozusagen mitten im Geschehen, zum zweiten Akt erscheinen die Musiker erst einige Minuten nach Wiederbeginn, mitten im Rezitativ… da hatte die Sängerin des Annio schon zur Selbsthilfe begriffen und sich ans Cembalo gesetzt. Im zweiten Teil ist das hintere Bühnenrund verschwunden und alle Stufen mit schwarzer Asche bedeckt, Chor und Orchester tragen jetzt schwarz und die monströsen, quietschbunten und betont androgyn geschneiderten Gewänder der Solisten (Kostüme: Victoria Behr) werden nach und nach abgelegt… Was vermutlich heißen soll, dass nach dem Attentat plötzlich aus Kunstfiguren Menschen werden. Tatsächlich? Wird die Handlung danach plausibler? Die Emotionen echter? Wohl kaum. Immerhin, es ist ein Einfall. Der einzige des Abends, aber das macht ihn auch nicht besser. Und akustisch ist die Öffnung des Raumes nach hinten fatal: die ohnehin eher kleinen Stimmen verwehen noch mehr und auch die Balance der Sänger mit dem Orchester gerät unschön in Schieflage. Aber was weiß ein reiner Schauspiel-Regisseur schon von Akustik und von den Mechanismen der Oper? Eben. Ich kenne Bosses Sprechtheater-Inszenierungen nicht, ob die ähnlich nichtssagend und handwerklich schlecht sind, hier zeigte er sich der Aufgabe jedenfalls in keiner Hinsicht gewachsen. Handlung, Charaktere und Emotionen; nichts davon wird plastisch oder sinnfällig. Natürlich verweigert Bosse auch eine Antwort, was es mit der titelgebenden Milde und Gnade des Kaisers auf sich hat. Politisches Kalkül? Gleichgültigkeit? Ist er tatsächlich ein selbstloser Gutmensch, oder nur komplett überfordert mit der Situation? Oder auch die so vielschichtige Figur des Sesto… Freundschaft, Treue, Besessenheit, sexuelle Hörigkeit, womöglich gar homoerotische Schwingungen; da ist – eigentlich – alles drin, man muss nur zuhören und es umsetzen. Fand hier alles nicht statt. Vielleicht spendiert man Herrn Bosse ja mal eine Steuerkarte für eine Inszenierung von Konwitschny oder Tcherniakov, dass er sieht, wie Opernregie funktioniert?

Clemenza1Erst weiß und ganz…

Mit besonderer Spannung hatte die Gemeinde auf Kirill Petrenkos erstes Münchner Mozart-Dirigat gewartet. Mit Strauss, Puccini, Mahler und Tchaikovskij hat er bisher begeistert, nun also die Frage: Kann er auch Mozart? An diesem Abend drängte sich die klassische Radio Erewan-Antwort auf: Im Prinzip ja, aber… Auf jeden Fall hat er, sehr im Gegensatz zu den Szenikern, ein Konzept und eine klare Idee, was mit dem Stück anzufangen wäre. Diese Idee heißt: Verinnerlichung, Sublimation und Transformation. Abgesehen von der Ouvertüre und dem Marsch gegen Ende gibt es in Petrenkos Clemenza-Kosmos keine lauten Töne, keine Ausbrüche oder musikalische Haupt- und Staatsaktion, das Orchester webt eine einzige Ranke der Poesie um das Werk herum, der Ausdruck ist derjenige der tiefsten Melancholie und Traurigkeit, Sestos zweite Arie „Deh, per quest’istante solo“ wird zum Zentrum der gesamten Aufführung. Diese Interpretation setzt Petrenko konsequent, ja radikal, und ohne Rücksicht auf Verluste um. Dennoch funktioniert diese nur bedingt, denn dazu bräuchte es zum einen eine kongeniale Regie, die sich um das Seelenleben der Protagonisten kümmert und kongeniale Bilder dazu erfindet und zum anderen deutlich bessere Sänger, solche mit großer Ausstrahlung, vokalem Farbenreichtum und technischer Sicherheit nämlich. Mit solchen, die froh sind, wenn sie die Noten halbwegs unfallfrei über die Rampe bekommen, kommt man da nicht weit.

Clemenza2… dann schwarz und kaputt – Stationen eines Bühnenbildes (Fotos: Wilfried Hösl)

Nichts auszusetzen gab es an den kleineren Partien, die kompetent und sehr schönstimmig von Mitgliedern des eigenen Ensembles gesungen wurden: Angela Brower  (Annio), Hanna-Elisabeth Müller (Servilia) und Tareq Nazmi (Publio) demonstrierten eindrucksvoll, über welch hohe Ensemblekultur und –pflege die Bayerische Staatsoper inzwischen verfügt. Leid tun konnte einem dabei der Bassist, der durch ein Ungetüm von Wickelkleid und einen struppigen Salafisten-Bart verunstaltet war bis dorthinaus und zudem die ganze Zeit hektisch herumzappeln musste. Allerdings sind diese Rollen in einem Titus-Ensemble eher eine Zugabe; schön, wenn sie gut sind, aber spielentscheidend ist die Trias Tito/ Vitellia/ Sesto. Über den Auftritt von Toby Spence als Tito sei aufgrund der jüngsten biographischen Umstände und der Krankengeschichte des Künstlers der Mantel des Schweigens gebreitet; allerdings hätte eine verantwortungsvolle künstlerische Leitung hier rechtzeitig eingreifen müssen. Mildernde Umstände konnte Kristine Opolais als Vitellia hingegen nicht geltend machen; von einer Sängerin ihrer Klasse und Erfahrung erwarte ich einfach eine klügere Repertoireauswahl! Was auch immer sie zu dieser Partie bewogen haben mag, sie ist dieser deutlich entwachsen und versucht nun gewaltsam, die Stimme auf Mozart-Maß zu drosseln und zusammenzustauchen, wodurch die Tonemission spröde, gepresst und zunehmend unkontrolliert wird, „Non più di fiori“ hatte schon Züge eines stimmlichen Offenbarungseides. Anders als sonst konnte sie diesmal auch nicht mit der ihr eigenen darstellerischen Intensität punkten, da die monströsen Roben und die turmhohe Perücke ihren Aktionsradius praktisch auf null reduzierten. Blieb als einziger schwacher Lichtblick der Sesto von Tara Erraught. Auch sie ist ein Eigengewächs des Hauses und machte deutlich, warum sie so konsequent gefördert wird; ihr zartherbes Mezzo-Timbre, die jugendliche Ausstrahlung und die genuine Musikalität des Vortrags passen wunderbar zur Rolle des hypersensiblen jungen Römers. Das war wunderschön und geschmackvoll gesungen. Dennoch kommt eine solch stücktragende Rolle in einer BSO-Premiere vielleicht noch ein wenig zu früh, hier habe ich an manch einer Stelle doch eine vielschichtigere, charismatischere Gestaltung und auch ein wenig mehr Stimmvolumen gewünscht. Der Staatsopernchor (Einstudierung: Sören Eckhoff) hatte, mal abgesehen vom Umziehen von weiß auf schwarz in der Pause, einen ruhigen Abend ohne irgendwie darstellerisch gefordert zu sein, den eher überschaubaren musikalischen Part erledigten die Damen und Herren routiniert.

Ein Abend, der zwar hier und da schöne Klänge zu bieten hatte, aber wenig bis gar nichts erklärte. Das ist für ein Haus mit diesem Anspruch und diesen Möglichkeiten definitiv zu wenig. Da hielt sich meine persönliche Clemenza sehr in Grenzen.

Münchner Philharmoniker: Lorin Maazel dirigiert Verdis “Messa da Requiem” – 6.2.2014

Wir hier in München leben schon auf einer Insel der Seligkeit, das muss man hin und wieder einfach mal so feststellen. So konnten wir nicht nur einmal Verdis grandiose Messa da Requiem live und in Starbesetzung hören, sondern gleich drei Mal innerhalb eines Jahres; alle drei Münchner Spitzenorchester haben dem Maestro nunmehr auf diese Weise gehuldigt. Nach Zubin Mehta mit dem Staatsorchester und Mariss Jansons mit seinem BR-Symphonieorchester war nun zum Abschluss Lorin Maazel mit den Philharmonikern an der Reihe. Ein überaus reizvoller Vergleich auf höchstem Niveau also, da kommt – dem düsteren Sujet des Werkes zum Trotz – Freude auf. Vor allem, da sich die Interpretationen der drei Dirigenten tatsächlich fundamental voneinander unterschieden und jeder ganz eigene Akzente setzte. Nach der lustvoll opernhaft-pompösen Lesart von Mehta und dem lyrisch-introvertierten, sehr innigen und spirituellen Ansatz von Jansons war man nun erst recht gespannt, was Lorin Maazel zu diesem sinfonisch-choralen Schwergewicht zu sagen haben würde.

Leider nicht allzu viel. Unter schlagtechnischen Aspekten gibt es sicher nicht viele Dirigenten, die Maazel etwas vormachen können, da gab es in der A-Note überhaupt nichts zu mäkeln: alles war zusammen, ein harmonisch-geschlossenes Klangbild, ausgewogen, nicht zu kompakt und nicht zu schwer. Die Philharmoniker zeigten sich in allen Gruppen hochkonzentriert und sicher und auch der Philharmonische Chor in der Einstudierung von Andreas Hermann war im donnernden Forte ebenso präsent und homogen wie im mehrfachen pianissimo. Was den Notentext angeht, war dieser durchgehend in großer Genauigkeit und auch Klangschönheit umgesetzt. Wenn man aber davon ausgeht, dass bekanntlich das Wesentliche nicht alleine in den Noten steht, so ließ das Dirigat doch einiges zu wünschen übrig. Sicherlich hatte niemand erwartet, dass Maazel ein sinfonisches Himmel & Hölle-Spektakel und eine affektgesättigte Sakral-Oper abfeiern würde, das entspräche auch so gar nicht seinem Temperament und seinem musical approach. Sein Blick auf die Partitur ist vielmehr sachlich-kühl, beherrscht und von einer gewissen Glätte. So wirkt die Musik eher statisch und wenig dynamisch. Er dirigiert das Requiem nicht, er zelebriert es, mit breiten ausladenden Tempi und getragenem Gestus, wie den Soundtrack zu einem Staatsbegräbnis. Das kann man im Grundsatz natürlich so machen, aber ganz so unpersönlich, so ausdrucksneutral und nüchtern hätte es denn doch nicht sein müssen.

Für die Emotionen waren an diesem Abend ausschließlich die Solisten zuständig. So ist natürlich jeder Abend mit Anja Harteros ein Geschenk. Wir Musikfreunde kennen und lieben nicht umsonst den sogenannten „Anja-Effekt“: mit ihrem ersten Einsatz ist eine neue musikalische Farbe, eine Präsenz und ein Leuchten im Raum, das vorher nicht da war. Stilistisch fügte sie sich ebenso sicher in Maazels strenges Konzept ein wie ihr das zuletzt auch mit der sehr viel theatraleren Lesart von Daniel Barenboim gelungen war. Die Stimme klingt in allen Lagen perfekt fokussiert, luzide, sinnlich und verströmt das gewisse Etwas, das man sonst an diesem Abend eher vermisste. Beinahe ebenso überragend sang Wookyung Kim den Tenorpart  Mit seiner exquisiten Stimmschönheit und Technik bot er eine mustergültige Interpretation und sorgte immer wieder für Gänsehautmomente. Zudem punktete er mit korrekter lateinischer Diktion (!) und zerlegte durch seinen beseelten Vortrag, nicht nur im Ingemisco, alle dummen rassistischen Klischees vom asiatischen Singroboter. Auf seine kommenden Auftritte an der Bayerischen Staatsoper dürfen wir uns schon freuen! Großartig auch der Vortrag von Georg Zeppenfeld, einem der größten Stilisten und Balsamikern unter den heutigen Bassisten. Lediglich Daniela Barcellona konnte in Sachen Volumen und Tragfähigkeit nicht ganz mit den Kollegen mithalten und zeigte bei längeren Notenwerten ein schon bedenkliches Vibrato.

Stadttheater Klagenfurt: “Die Csárdásfürstin” – 1.2.2014

Fürst Leopold Maria und Fürstin Anhilte von und zu Lippert-Weylersheim beehren sich, die Verlobung ihres Sohnes Edwin mit Komtesse Anastasia Eggenberg anzuzeigen … Einmal tief durchatmen bitte. Das steht nicht nur so im Libretto der Csárdásfürstin, es könnte auch heute noch in bestimmten Gesellschaftskreisen kursieren; Lippert-Weylersheim ist überall. Zumindest in Österreich. Ich erwähne es nur, weil es mitten hinein führt in das Dilemma, mit dem sich jeder konfrontiert sieht, der heute eine klassische Operette auf die Bühne bringen will. Im Gegensatz etwa zu den bouffes eines Jacques Offenbach, in denen tagespolitische Sottisen und Anspielungen integraler Bestandteil der Stücke waren, sind die Werke der Strauß-Dynastie, eines Lehár Ferenc oder Kálmán Imre mit ihren Handlungsentwürfen derartig verankert in ihrem ästhetischen, thematischen und weltanschaulichen Kontext, dass sie eigentlich nicht sinnvoll ins Hier und Heute transferierbar sind. Und dieser Kontext ist nun mal reaktionär bis dorthinaus; die aberwitzige Adels-Fixiertheit, das System von Allianzen und Mesalliancen, der Materialismus und Standesdünkel, vom hier breitgetretenen Frauenbild mal ganz zu schweigen. Ironische Brechung und kurzzeitiger Aufmupf kommen zwar sporadisch vor, am Ende wird das herrschende Gesellschaftsbild aber stets restauriert und gefeiert, unter welchen dramaturgischen Volten und Verrenkungen auch immer, irgendeine bislang unbekannte adelige Abstammung wird immer noch aus dem Hut gezaubert und die Logik zurechtgebogen, dass sämtliche Schnitzel aus der Pfanne springen. Als Regisseur hat man hier eigentlich nur zwei Möglichkeiten: nämlich erstens den Anachronismus zuzulassen und 1:1 runter zu inszenieren und dabei geschmacklich noch halbwegs die Form zu wahren oder zweitens einen Subtext zu erfinden und klipp und klar die Inhalte einer solchen Handlung zu benennen. Dass letzteres ziemlich verlässlich Ärger einbringt, liegt auf der Hand; frag nach bei Kupfer, Konwitschny oder Neuenfels.

Fürstin2        Fürstin1 Fotos: Aljosa Rebolj

Der Regisseur der Klagenfurter Neuinszenierung, Tobias Kratzer, hat es dennoch gewagt, sich eigene Gedanken zum Stück zu machen und ein durchaus eigenwilliges Regiekonzept zu erarbeiten. Was erlaubt der sich?! Gab natürlich Ärger, was Wunder bei den vielen kleinen Lippert-Weylersheimern im Publikum… Aber ach, so originell und spannend sich das zunächst vielleicht anhörte, am Ende des Tages ging es nicht auf. Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier erzählen nämlich nicht nur die gegebene Geschichte, sondern stülpen dieser noch eine weitere obendrüber, sozusagen der Csárdásfürstin zweiten Teil. In dieser finden sich die überlebenden Protagonisten – Graf Boni ist in der Zwischenzeit verblichen – als Senioren bei ihren gemeinsamen Freund Feri Bácsi ein, um nochmal Silvester zu feiern und von den alten Zeiten zu erzählen: warum das damals so war und warum sie sich so dämlich benommen haben (weil wir in der Operette sind?!) und wie schließlich alles gut wurde. Sylva und Edwin sind noch zusammen, während die alte Stasi ihren verflossenen Glücksmomenten mit Boni nachtrauert, dessen Tod verdrängt und während des Feuerwerks selbst ihr seliges Ende findet. Will man das alles wirklich wissen? Bringt das irgendeinen geistigen oder inhaltlichen Mehrwert? Eigentlich nicht. Die Handlung trägt diesen angedeutet philosophischen Überbau einfach nicht. Als Rahmenhandlung oder szenische Klammer wäre das vielleicht in Ordnung gewesen, nur leider versucht Kratzer, beide Geschichten simultan zu erzählen und leimt mit Gewalt zusammen, was nicht zusammen passt. So stehen nicht nur die Sänger auf der Bühne, sondern auch ihre, im doppelten Wortsinn, Alter Egos, die sich ständig einmischen und teilweise jeden einzelnen Satz kommentieren. Das nervt mit der Zeit gewaltig, zumal die Senioren auch noch das Fürstenpaar darstellen; ein dramaturgisches Kuddelmuddel erster Ordnung. Vor allem aber verschiebt sich das eh schon problematische (Miss)verhältnis zwischen Dialogen und Musiknummern noch weiter, letztere sind fast nur noch Einlagen und im gesamten dritten Akt kommen die Sänger praktisch nicht mehr vor. Im Musiktheater! Das ist schlicht eine Themenverfehlung, so gut es auch gemeint sein mag. Wenn schon, hätte man das Ergebnis Die Csárdásfürstin – eine Version. Von und nach Emmerich Kálmán nennen müssen. Dessen ungeachtet boten Gudrun Velisek (Sylva), Wolfgang Kraßnitzer (Edwin) und Elfriede Schüsseleder (Stasi) sehr überzeugende und phasenweise durchaus anrührende Rollenporträts der gealterten Protagonisten; mit weniger guten Schauspielern wäre das Unternehmen komplett vor die Wand gefahren.

Noch wesentlich problematischer als die Inszenierung ist allerdings, was Dirigent Günter Wallner mit Kálmáns Partitur veranstaltet. Eigentlich geht man ja davon aus, dass österreichische Orchester dieses Repertoire auch von alleine und praktisch im Schlaf spielen können; allerdings nur, solange niemand tätlichen Widerstand leistet. Wallner tut aber genau das, lässt das Kärntner Sinfonieorchester undifferenziert laut und knallig spielen und nimmt die Musik eher preußisch zackig als kakanisch lässig, hört nicht auf die Sänger und gibt ihnen keinen Millimeter Raum zur Entfaltung, alles ist straff und unflexibel. Dabei lebt ja gerade die Operette von der musikantischen Nonchalance, den selbstbewusst verschlampten Viertelnoten, der charmanten Abweichung. Nicht zu viel von alledem natürlich, aber derart chemisch bereinigt von allem Schmalz und Schmäh verliert die Musik ihren Sinn und das Genre seine Seele.

Eine doppelte Hypothek also für das Sängerensemble, das sich dabei aber staunenswert gut behaupten und sogar einzelne Glanzlichter setzen konnte. Allen voran Stefanie C. Braun in der Primadonnenrolle der titelgebenden Nachtclub-Königin Sylva Varescu; schon ihr erster Auftritt per Flugwerk in schwindelerregender Höhe – Nicole Kidmans Entrée in Luhrmans Moulin Rouge ließ grüßen! – markiert den ersten echten Wow-Effekt des Abends und ihr „Heia, in den Bergen“ zeigt, wo hier in den kommenden gut zwei Stunden gesanglich der Hammer hängt. Braun ist nicht nur die Fürstin des Csárdás, sondern auch der Klangfarben und rockt vom ersten Ton an die Bude, kraftvoll strahlend in der Höhe, sinnlich lockend und mit kristallklarer Diktion, ohne jenen in herkömmlichen Aufführungen so enervierenden gekünstelten Pseudo-Balkan-Akzent in Zeitlupe. Dabei begeistert sie nicht nur in den berühmten Bravournummern, sondern auch in den schwärmerischen, lyrischen Passagen, in denen sie mit schwebender Tongebung beinahe die Zeit stehen lässt und jene doppelbödigen Augenblicke bittersüßer Glücksillusion kreiert, die bei aller unvermeidlichen Sentimentalität doch tiefe Einsichten enthalten und die es in dieser Form wohl wirklich nur in der Operette gibt. In diesem Kosmos ist Stefanie C. Braun das Zentralgestirn, das Zentrum des Abends, eine Figur aus Fleisch und Blut, leidenschaftlich, unbeirrbar und von undomestizierbarer Präsenz. Ist sie Euch zu stark, seid Ihr… Ja, genau! Ein differenziertes Rollenporträt bietet auch Patrick Vogel als Edwin; kein geföhnter Geier mit Schmalztolle und tenoraler Tränendrüse, sondern ein durchaus ernsthafter Adelsspross, dem man den Lebemann weniger abnimmt als den Thronfolger derer von und zu Wie-auch-immer. Auch die Stimme ist deutlich schwerer und dunkler als in diesem Fach gewohnt, spricht aber in allen Lagen tadellos an und entwickelt in der Höhe beachtliche Strahlkraft. Es würde einen nicht wundern, dem Sänger mittelfristig in deutlich dramatischeren Gefilden zu begegnen. Ein eher klassisch besetztes Operettenpaar waren dagegen Marie Smolka (Komtesse Stasi) und Ilker Arcayürek (Graf Boni) mit  frischen und unverbrauchten Stimmen, lyrischem Glanz und sympathisch ungekünstelter Ausstrahlung. Als einzige sieht Smolka übrigens ihrem Altersdouble tatsächlich ähnlich, während bei den anderen beiden da doch eher das Kostüm herhalten muss. Als Verbindungsoffizier zwischen den beiden Zeitebenen der Inszenierung fungiert die offenbar alterslose Figur des Feri Bácsi, prägnant gespielt und gesungen von Jeff Martin.

Wirklich gelungen ist diese Csárdásfürstin leider nicht, aber Stefanie C. Braun sollte man erlebt haben. Zumindest dann, wenn man über das Werk in Zukunft ernsthaft mitreden will.

Carl Orff-Zentrum München: Liederabend Cornelia Lanz/ Stefan Laux – 31.1.2014

Bei einem Stichwort wie „Süddeutsche Schubertgesellschaft“ setzt sicherlich bei manch einem musikalischen Hippster der Klassikradio- und iTunes-Fraktion ein grausiges Kopf-Kino ein, von Hausfrauen mit Häkelhüten und Studienräten im Glenchek-Sakko und festgetackerter Sturmfrisur, von professoraler Besserwisserei und akademischer Besitzstandsverwahrung, resistent gegen jedweden Forschungsfortschritt oder neumodische Aufführungspraxis. Kurz: ein Relikt deutschen Bildungsbürgertums, der Welt der Liedertafeln, irgendwo zwischen Vormärz und dem Männergesangsverein Bad Soden. Das Schöne an Klischees ist ja bekanntlich, dass sie selten komplett falsch sind…! Natürlich kann man die Sache aber auch ganz anders sehen. In der Weise nämlich, dass in solchen Initiativen musikalische und musikwissenschaftliche Basisarbeit betrieben wird, mit hohem Einsatz und wenig Schotter, fernab vom Subventionstheater und Promi-Hype. Zugegeben: ein paar der beschriebenen Gestalten waren schon zugegen an diesem Abend im Münchner Carl Orff-Zentrum. Und ein ganz gewöhnlicher Liederabend war es auch nicht; denn immerhin war dem eigentlichen Konzert noch eine 45minütige Einführung vorgeschaltet, in der die beiden Interpreten des Abends anhand zweier ausgewählter Werke einen spannenden und detaillierten Einblick in das Kommende gaben; dass eine Sängerin nicht nur bereit ist, so kurz vorm Konzert noch Rede und Antwort zu stehen, Kostproben zu liefern und als Schmankerl noch einen kompletten Monolog aus Schillers Jungfrau von Orleons abzufeiern, erlebt man wahrlich nicht alle Tage. Stefan Laux, Frontmann und Leiter der Schubertgesellschaft, übernahm nicht nur die Einführung, sondern auch den Klavierpart. Das war nicht nur die „einfühlsame Begleitung“, von der wir Rezensenten so gerne reden wenn uns nichts anderes einfällt, sondern eine echte musikalische Partnerschaft; er trägt und stützt die Sängerin nicht nur, er drängt und fordert sie auch, sein Spiel ist vital und zupackend und scheut auch die großen Gefühle nicht. Zudem ist Laux das, was unsere Freunde von südlich des Alpenhauptkamms einen uomo navigato nennen, ein erfahrener Vollprofi und Routinier, der das Repertoire drauf hat und der auf professorale und dabei sehr anschauliche Weise musikalische Besonderheiten und Strukturen erläutert. Dabei fallen immer wieder Sätze wie „Wie Sie alle wissen“, „das haben Sie schon gehört“, oder „kennen Sie bestimmt“… Siehe oben. Man ist hier eben unter sich. Im Programm wurde man zudem ermahnt, „die Liedgruppen nicht durch Beifall zu unterbrechen und mit dem Umblättern zu warten, bis Lied und Klavierbegleitung beendet sind“. Aber das würde hier doch keiner machen. Aber gar nie nicht!

Konzert LanzFoto: Fabian Stallknecht

Nun ist der Liedgesang so etwas wie die Königsdisziplin der Klassik, schließlich gilt es, ohne szenische Hilfsmittel, ohne supporting cast oder Orchester das Publikum einen ganzen Abend zu fesseln und nur mittels der eigenen Stimme und Persönlichkeit nicht nur eine, sondern ganz viele unterschiedliche Geschichten zu erzählen. Da haben sich schon große Namen ganz gepflegt sämtliche Zähne dran ausgebissen und sind regelrecht untergegangen… Umso mehr ist der Auftritt von Cornelia Lanz zu würdigen; wie die junge Sängerin dieses sehr lange und anspruchsvolle Programm nicht nur vokal bewundernswert meistert, sondern auch differenziert, intelligent und spannungsvoll gestaltet, verdient höchste Anerkennung, da können sich auch manche prominenten Kollegen eine Scheibe abschneiden. Frauenrollen und Frauengestalten von Schubert und Rossini, so der Titel des Abends, waren also zu erleben. Die symmetrisch aufgebaute Programmfolge beinhaltete in beiden Halbzeiten drei einzelne Schubert-Lieder und einen kleineren Zyklus, die vier Lieder der Mignon im ersten und die drei Gesänge der Ellen nach Walter Scott im zweiten Teil, jeweils mit Rossini am Schluss; die selten gespielte dramatische Solo-Kantate Giovanna d’Arco und den dreiteiligen Mini-Zyklus La regata Veneziana. Ein weiter Bogen also von Ikonen der Weimarer und Wiener Klassik wie Gretchen, Mignon und Jeanne d’Arc bis hin zur frechen Venezianerin Anzoletta, die ihren geliebten Momolo zum Regattasieg jubiliert – immerhin gehörte dieses Stück jahrelang zu den absoluten Chevals de bataille von Cecilia Bartoli und fehlte in keinem ihrer Liederabende. Trauer und Trost, Liebeswahn und –lust, hehre Tragödie und pralles Volksleben; hier war alles geboten. Und Cornelia Lanz findet in diesem Kaleidoskop immer die richtige Farbe, den richtigen Ausdruck: mal zärtlich schimmernd, dann heldisch entschlossen oder leidenschaftlich aufgewühlt, beschwört sie die introvertierte Poesie der Highländerin Ellen ebenso suggestiv wie das lyrische Ich Schuberts und den patriotischen Jubel Johannas – bei so viel strahlendem Viva il Re-Geschmetter gingen auch die letzten königstreuen Bajuwaren vor Begeisterung in Habacht-Stellung. Der Vortrag ist hochmusikalisch, sensibel und kultiviert, die Stimme besitzt ein sinnlich-warmes Timbre von großer Gefühlstiefe, Suggestivkraft und erotischem Fluidum, dabei aber nie säuselnd, sondern stets gut konturiert, jener Metallkern im Samtmantel wie er guten Mezzosopranen eigen ist. Da gibt es auch kein Herantasten oder auf Nummer sicher-Singen, mit ihrer Präsenz, ihrem Charme und ihrer Ausstrahlung „hat“ Cornelia Lanz den Zuhörer von der ersten Note an und lässt ihn nicht mehr los. Der einzige Einwand, den man noch anmelden könnte, betrifft jene seelischen Abgründe, die bei Schubert in manchen Liedern so knietief unter der klassischen Oberfläche lauern, etwa bei Gretchen am Spinnrad oder Die junge Nonne. Da müsste sich im Idealfall noch mehr Verzweiflung, Obsession und psychopathische Zerrüttung einstellen. Dafür kamen alle übrigen Affekte und Seelenbilder umso plastischer, sinnlicher und berührender zur Geltung. Freudvoll und leidvoll, dieser Titel von Schuberts Goethe-Vertonung konnte zusammenfassend über dem gesamten Abend stehen: „Langen und bangen in schwebender Pein/ Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt/ Glücklich allein/ ist die Seele die liebt.“