Kennen Sie den? „Kommt ein Türke nach Italien…“ Und was hat er im Sinn? Natürlich: Amore! Ja, was denn sonst? Schließlich sind wir in der Oper, noch dazu in einer italienischen. Der von Rossini besungene Musulman heißt übrigens Selim Damelec und landet an Neapels Küste, um die dortige Damenwelt in Augenschein zu nehmen. Als höflicher Individualtourist besingt er gleich mal die Schönheiten des Gastlandes; und brachte seinerzeit seinen Autor einigermaßen in die Bredouille. Italien gab es im Entstehungsjahr 1814 nämlich offiziell nicht, jedenfalls nicht in den Augen der Besatzungsmacht, laut Großkanzler Metternich – ja genau, der von der Sektflasche! – war Bella Italia „ein ausschließlich geographischer Begriff“. Niente Selbstbestimmung, niente Risorgimento… das kam erst viel später. Da konnte man das „Bella Italia, io ti saluto“ des Gastes vom Bosporus durchaus als Subversivität auffassen. Was im Stück folgt, ist natürlich ein hochwitziger und –turbulenter Komödienwirbel mit skurrilen Typen aus dem Arsenal der opera buffa: die kapriziöse und verführerische Diva, der grantige Ehemann, der eitle Liebhaber, der natürlich ausgerechnet Don Narciso heißen muss, die Rivalin, der Türke und, last but not least, der Dichter Prosdocimo, der aus dem ganzen närrischen Treiben ein Stück machen will. Es geht hin und her, drunter und drüber, es wird intrigiert dass die Fetzen fliegen und am Ende sind die „richtigen“ Paare wieder beisammen. Apotheose. Eine Geschichte, die von purem Nonsense nicht weit entfernt ist, aber Spaß macht. Zumindest wenn sie so fein gesungen und gespielt wird wie in der aktuellen Serie der Bayerischen Staatsoper.
Bevor ich mich jetzt hemmungslos der Schwärmerei hingebe, muss noch ein Rüffel verteilt werden: Meine lieben Damen und Herren des Staatsorchesters! Was bitte war denn das? Dieses wacklige, schief intonierte und arhythmische Konvolut sinnfreier Noten, die Ihr da anstelle der Turco-Ouvertüre gespielt habt? Signori le trombe? Guten Morgen! Erstens: das ist Rossini, und Rossini ist tolle Musik und geht nicht mal eben so… Zweitens: das ist Euer Job, das gescheit zu spielen, auch wenn solch „welscher Tand“ natürlich weit unter der Würde einer Wagner- und Strauss-Kombo sein mag. Immerhin zeigte die Formkurve in Sachen Genauigkeit und Intonation im Laufe des Abends wieder nach oben, wobei es auch auf der Bühne so viel szenische und musikalische action gab, dass man das Orchester zunehmend überhören konnte. Am Dirigenten Maurizio Benini dürfte es nicht gelegen haben, der genießt nicht zu Unrecht in der Branche einen einschlägig guten Ruf als Rossini-Interpret, welchen er hier auch größtenteils einlösen konnte.
Donna Fiorilla (Nino Machaidze), höchst umschwärmt – Foto: Wilfried Hösl
Die 2007 aus Hamburg übernommene Inszenierung von Christof Loy in der Ausstattung von Herbert Murauer war seit vielen Jahren nicht mehr im Spielplan, eigentlich hatte man sie bereits geschreddert und entsorgt gewähnt… was ein großer Fehler gewesen wäre! So viele wirklich tolle Inszenierungen gibt es derzeit hier ja nicht zu bestaunen; umso unverständlicher, dass man diese so lange im Magazin hat vor sich hingammeln lassen. Loy bietet hier sicherlich keinen Schenkelklopfer, wohl aber eine feinsinnige und geistreiche Inszenierung, sparsam und prägnant in der Personenregie und mit lustvoll ausgespielten Klischees wie dem fliegenden Teppich mit dem Selim eingeschwebt kommt, der fauchenden Espressomaschine oder Fiorillas prallvollem, mehr als mannshohen Schuhschrank. Die Regie kommt ohne Mätzchen und Übertreibungen aus und nimmt das handelnde Personal jederzeit ernst; witzig, aber eben nicht dümmlich. Dass der Turco nie so populär war wie die anderen großen Komödien Rossinis, wie der Barbiere, die Italiana oder die Cenerentola, mag an der etwas umständlichen Handlungsführung oder am Fehlen der ganz berühmten spektakulären Arien liegen, da braucht es einfach ein wenig Nachhilfe seitens der Regie und der Sänger, um den Türken auf Trab zu bringen.
Hier kommt Selim! Ildebrando d’Arcangelo, schwerst bepackt (Foto: Wilfried Hösl)
Und damit nun zur Sängerbesetzung, mit der jede Rossini-Aufführung steht oder fällt. So prominent und zugleich so herausragend gut war diese Produktion niemals zuvor besetzt; da ist der Begriff „Stimmfest“ nicht zu hoch gegriffen. Wann hat man beispielsweise so einen Bilderbuch-Macho wie Ildebrando d’Arcangelo als Selim erlebt? Jeder Zoll ein sinnlich-südländischer Pascha erobert er nicht nur Fiorilla, sondern auch das gesamte Auditorium auf Anhieb, mit den gängigen Attributen weißer Anzug, XXL-Sonnenbrille, Gelfrisur und blitzendem Ohrring spielt er ebenso hinreißend wie mit dem dazugehörigen Gesten- und Bewegungsrepertoire, sich dabei gekonnt selbst auf den Arm nehmend. Und sein volltönender, cremig timbrierter Bass bietet Belcanto vom Feinsten, kultiviert und elegant in der Linienführung, saftig und farbenreich im Klang und beispielhaft in der Phrasierung. Auch Nino Machaidze, gerade zurück aus der Babypause, zeigt sich in bester Sing- und Spiellaune und zieht alle Register, hat die selbstbewußte Verführerin ebenso „drauf“ wie die große Dame oder die verwöhnt-zickige Göre aus der Provinz; mit diesem Temperamentsbündel hat es kein Macho leicht, sei es ein türkischer oder ein italienischer, diese Fiorilla wickelt sie alle um den Finger, weiß aber auch und gerade in der letzten großen Arie „Caro padre“ mit innigem Affektausdruck und zartem Pianoschmelz zu begeistern. Ein großes Lob auch an Renato Girolami als ihren bedauernswerten Ehemann Don Geronio, bei aller Kauzigkeit bewahrt er der Figur ihre Würde und verzeichnet sie nicht, wie so oft schon erlebt, zur Karikatur. Auch in den sprudelnden Parlando-Kaskaden singt er fokussiert und technisch souverän und läuft nie Gefahr, hier vokal aus der Kurve zu fliegen. Das tut auch Lawrence Brownlee nicht, der den Don Narciso als eine Art Eddie Murphy des Belcanto gibt und darstellerisch die Bühne rockt. Stimmlich steht Brownlee in der Tradition der höhensicheren, allerdings etwas engstimmigen Rossini-Tenöre wie sie in den 70er und 80er Jahren verbreitet waren; die Arie im zweiten Akt war in der Extremhöhe schon hart auf Kante genäht, da war kein Millimeter Luft mehr über den Spitzentönen. Alles nochmal gutgegangen…! Sehr präsent und mit lakonischem Witz gestaltet Vito Priante die „Spielleiterrrolle“ des Dichters Prosdocimo, eine eigene Arie oder größeres Solo hat er leider nicht abbekommen. Yulia Sokolik (Zaida) und Joshua Stewart (Albazar) ergänzen das Ensemble. Der Chor, der zu Beginn in voller Mannschaftsstärke einem einzigen Wohnwagen entquillt, macht seine Sache bestens und brauchte, im Gegensatz zu den Kollegen des Orchesters, keine Warm up-Phase.
Cavalieri halten Kriegsrat: Lawrence Brownlee (Narciso), Vito Priante (Poeta), Renato Girolami (Geronio) – Foto: Wilfried Hösl
Von Karl May, einem Kollegen Prosdocimos, stammt der schöne Satz „Immer, wenn ich an den Indianer denke, fällt mir der Türke ein“; an diesem virtuosen Abend ahnte man, was er damit gemeint haben könnte. Riesiger Applaus für alle.