Ave Mari(n)a!
Zwischen Größenwahn und Kunstgewerbe: Marina Abramovićs Callas-Hommage an der BSO
„Das sind so Gefühle, die wo man ganz schwer beschreiben kann“ meinte einst ein namhafter Sportsmann aus dem Frankenland; und irgendwie ging es dem Kulturschock an diesem Frühseptembernachmittag ganz ähnlich. Zum ersten Mal nach 195 Tagen „auf Entzug“ wieder in der Staatsoper, wieder frische Oper, echte Musik, aufgeführt von echten Künstlern für echte Zuhörer… zumindest für fünfhundert davon, denn mehr sind nicht erlaubt. Mit großen Abständen platziert, maskiert und räumlich vorsortiert, alles streng nach geltenden Regelungen. Eine Theateratmosphäre zwischen Erlösung und Beklemmung, keinem Zustand wirklich zuzurechnen. Etwas, mit dem man einstweilen leben muß und mit dem man sich doch nicht anfreundet.
Und doch versagt sich der Kulturschock das große Pathos; denn davon war auf der Bühne und aus den Lautsprechern schon wahrlich genug geboten. Die Staatsoper hatte keine Geringere als Marina Abramović eingeladen, in den heiligen Hallen des Nationaltheaters ihre Hommage an La Divina abzufeiern. Ave Mari(n)a am Max-Joseph-Platz sozusagen. Was genau sich hinter dem kryptischen Titel im Endeffekt verbarg, darüber durfte trotz zahlreicher Statements und Interviews auch post festum noch trefflich gerätselt werden: Geisterbeschwörung, Traumabewältigung oder Liebeserklärung? Alles zusammen? Oder doch nur ein großes Stück edellangweiliges Kunstgewerbe unter dem Siegel einer Ikone, aufgeführt auf deren ureigenem Spielfeld? Ein überzeitliches Gipfeltreffen von Opernlegende und Performancekunst-Ikone? Womöglich gar eine Synthese zweier per se diametral entgegengesetzter Kunstformen? So ähnlich war das Ganze vermutlich gedacht. Von Maria zu Marina ist es schließlich nur ein kleiner Schritt, ein einziger Buchstabe. Gewisse Andockpunkte sind zweifellos vorhanden: ein Hang zum künstlerischen Grenzgängertum, die totale Kompromißlosigkeit, die erbarmungslose Härte gegen den eigenen Körper, die eigene Gesundheit und die eigene Psyche sowie, last but not least, die Neudefinition der eigenen Kunstform. Ganz dicke Bretter zu bohren, in Corona-kompatiblen 95 Minuten Nettospielzeit zumal.
Wenn hier eine Synthese oder ein künstlerischer Dialog beabsichtigt war, so ist das leider auf der ganzen Linie schiefgegangen; was das Geschehen nun mit Leben und Kunst der Callas zu tun haben sollte, hat sich nicht übersetzt. Über eine Stunde lang liegt Marina Abramović, die Decke unters Kinn gezogen, auf der rechten Bühnenseite im Bett, derweil auf der bühnenfüllenden Leinwand die titelgebenden sieben Operntode in Form von sieben Kurzfilmen des Regisseurs und Fotografen Nabil Elderkin ablaufen; schwelgerische, bis ins Letzte durchästhetisierte Kitschszenen aus dem Weichzeichner: ein Sturz vom Hochhausdach in Zeitlupe (Tosca), ein Strahlentod in Fukushima (Butterfly), Strangulation durch Würgeschlange (Desdemona), Erstechen mit Glasscherben (Lucia), ein Gang über Wüstensand ins Feuer (Norma) und so weiter… gespielt von Abramović und Hollywood-Star Willem Dafoe. Zweifellos verfügen beide Darsteller über durchaus beeindruckende Mimik und Ausstrahlung, die Ästhetik als solche bleibt Geschmackssache. Zu jedem Film wird live eine Arie abgesungen von sieben graugewandeten (Kostüme: Riccardo Tisci) Sängerinnen, die wie Geistererscheinungen jeweils von links hereinkommen und nach dem letzten Ton am Bett vorbei nach rechts raus verschwinden. Was Desdemona und Carmen in diesem Pandämonium machen, bleibt fragwürdig; erstere hat Maria Callas nie, letztere m.W. nicht auf der Bühne, sondern nur im Studio gesungen, während echte Callas-Paraderollen wie Medea oder Lady Macbeth fehlen. Die jungen Sängerinnen stammen zum Großteil aus den Young Artist-Programmen der Londoner Royal Opera und der New Yorker MET und ziehen sich unterschiedlich aus der Affäre; haushoch überragt wird das Teilnehmerfeld von Adela Zaharia (Lucia) mit samtig-sinnlich funkelndem Timbre und virtuosem Vortrag. BSO-Ensemblemitglied Selene Zanetti (Tosca) vermag ebenfalls für sich einzunehmen, deutlich blasser kommen Hera Hyesang Park (Violetta), Leah Hawkins (Desdemona), Kiandra Howarth (Cio-Cio-San), Nadezhda Karyazina (Carmen) und Lauren Fagan (Norma) über die Rampe. Der junge Bremer GMD Yoel Gamzou nimmt sich bei seinem Debüt am Pult des – weit auseinander sitzenden – Staatsorchesters bei der Arienbegleitung viel Zeit und dehnt die Tempi phasenweise bis hart an die Grenze; was zwar zur epischen Filmästhetik paßt, die Kontraste der Musik aber eher abschleift.
Verbunden werden die Arien durch noch bombastischere Wolken-Videos (Marco Brambilla) und einen zähen, pathetisch aufgedonnerten Klang-Mix von Marko Nikodijević (Musik) und Luka Kozlovacki (Sound-Design). Über diese Sauce haben Abramović und Dafoe noch zusätzliche Textfragmente eingesprochen, von denen man durch die kompakte Abmischung ohne Übertitel kein Wort verstehen würde; pseudo-bedeutungsschwanger raunende und wild assoziative Düstersätze ohne nachvollziehbare Bedeutung. So weit, so fragwürdig.
Doch leider ist die Chose mit dem letzten Opern-Film-Tod noch nicht ausgestanden, denn nun erhebt sich die Urheberin umständlich aus dem Bett im – nun originalgetreu nachgebauten – Schlafzimmer der Callas, um… Ja, was eigentlich? Als Nachklapp erfolgt ein gut zwanzigminütiger Monolog, in dem Maria – oder doch Marina? So genau weiß man es nicht – mit den Namen berühmter Musiker um sich wirft, Erinnerungen an „Ari“, Aristoteles Onassis, nachhängt, über Paris philosophiert und den verbliebenen Hausrat aufzählt. An diesem Punkt kippt die Sache dann vollends in die Absurdität, zumal Nikodijevićs hinzukomponierte Musik nicht besser oder weniger soßig, sondern nur immer lauter wird. Da wird die Grenze des Erträglichen erreicht, im hochgefahrenen Orchester“graben“ sieht man, wie der eine oder andere Musiker sich die Ohren verschließt… Maria/ Marina verschwindet schließlich im Bad, die sieben singenden Dienstmädchen machen das Bett und bedecken sämtliche Möbel mit schwarzen Schleiern. Und dann fällt der letzte Vorhang, Abramović kommt, in einen Fummel aus Goldfolie gehüllt, aus der Tiefe des Raumes, zelebriert eine Art Auferstehungspose – und dann ertönt vom Band die Stimme von Maria Callas. Ein paar Minuten aus Normas „Casta Diva“-Arie. Ein paar Minuten ergreifend melancholische Schönheit, Emotion und Leidenschaft aus einer anderen Welt. Ein paar Minuten, die in ihrer Wahrhaftigkeit die anderthalb Stunden zuvor ungeschehen machen.
So bleibt als Fazit die ungebrochene Gültigkeit des elften (Opern)gebotes: „Du sollst den Namen der Callas nicht mißbrauchen“.
Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,
Euer Fabius