Bayerische Staatsoper: “7Deaths of Maria Callas” – 6.9.2020

Ave Mari(n)a!

Zwischen Größenwahn und Kunstgewerbe: Marina Abramovićs Callas-Hommage an der BSO

Das sind so Gefühle, die wo man ganz schwer beschreiben kann“ meinte einst ein namhafter Sportsmann aus dem Frankenland; und irgendwie ging es dem Kulturschock an diesem Frühseptembernachmittag ganz ähnlich. Zum ersten Mal nach 195 Tagen „auf Entzug“ wieder in der Staatsoper, wieder frische Oper, echte Musik, aufgeführt von echten Künstlern für echte Zuhörer… zumindest für fünfhundert davon, denn mehr sind nicht erlaubt. Mit großen Abständen platziert, maskiert und räumlich vorsortiert, alles streng nach geltenden Regelungen. Eine Theateratmosphäre zwischen Erlösung und Beklemmung, keinem Zustand wirklich zuzurechnen. Etwas, mit dem man einstweilen leben muß und mit dem man sich doch nicht anfreundet.

Und doch versagt sich der Kulturschock das große Pathos; denn davon war auf der Bühne und aus den Lautsprechern schon wahrlich genug geboten. Die Staatsoper hatte keine Geringere als Marina Abramović eingeladen, in den heiligen Hallen des Nationaltheaters ihre Hommage an La Divina abzufeiern. Ave Mari(n)a am Max-Joseph-Platz sozusagen. Was genau sich hinter dem kryptischen Titel im Endeffekt verbarg, darüber durfte trotz zahlreicher Statements und Interviews auch post festum noch trefflich gerätselt werden: Geisterbeschwörung, Traumabewältigung oder Liebeserklärung? Alles zusammen? Oder doch nur ein großes Stück edellangweiliges Kunstgewerbe unter dem Siegel einer Ikone, aufgeführt auf deren ureigenem Spielfeld? Ein überzeitliches Gipfeltreffen von Opernlegende und Performancekunst-Ikone? Womöglich gar eine Synthese zweier per se diametral entgegengesetzter Kunstformen? So ähnlich war das Ganze vermutlich gedacht. Von Maria zu Marina ist es schließlich nur ein kleiner Schritt, ein einziger Buchstabe. Gewisse Andockpunkte sind zweifellos vorhanden: ein Hang zum künstlerischen Grenzgängertum, die totale Kompromißlosigkeit, die erbarmungslose Härte gegen den eigenen Körper, die eigene Gesundheit und die eigene Psyche sowie, last but not least, die Neudefinition der eigenen Kunstform. Ganz dicke Bretter zu bohren, in Corona-kompatiblen 95 Minuten Nettospielzeit zumal.

Wenn hier eine Synthese oder ein künstlerischer Dialog beabsichtigt war, so ist das leider auf der ganzen Linie schiefgegangen; was das Geschehen nun mit Leben und Kunst der Callas zu tun haben sollte, hat sich nicht übersetzt. Über eine Stunde lang liegt Marina Abramović, die Decke unters Kinn gezogen, auf der rechten Bühnenseite im Bett, derweil auf der bühnenfüllenden Leinwand die titelgebenden sieben Operntode in Form von sieben Kurzfilmen des Regisseurs und Fotografen Nabil Elderkin ablaufen; schwelgerische, bis ins Letzte durchästhetisierte Kitschszenen aus dem Weichzeichner: ein Sturz vom Hochhausdach in Zeitlupe (Tosca), ein Strahlentod in Fukushima (Butterfly), Strangulation durch Würgeschlange (Desdemona), Erstechen mit Glasscherben (Lucia), ein Gang über Wüstensand ins Feuer (Norma) und so weiter… gespielt von Abramović und Hollywood-Star Willem Dafoe. Zweifellos verfügen beide Darsteller über durchaus beeindruckende Mimik und Ausstrahlung, die Ästhetik als solche bleibt Geschmackssache. Zu jedem Film wird live eine Arie abgesungen von sieben graugewandeten (Kostüme: Riccardo Tisci) Sängerinnen, die wie Geistererscheinungen jeweils von links hereinkommen und nach dem letzten Ton am Bett vorbei nach rechts raus verschwinden. Was Desdemona und Carmen in diesem Pandämonium machen, bleibt fragwürdig; erstere hat Maria Callas nie, letztere m.W. nicht auf der Bühne, sondern nur im Studio gesungen, während echte Callas-Paraderollen wie Medea oder Lady Macbeth fehlen. Die jungen Sängerinnen stammen zum Großteil aus den Young Artist-Programmen der Londoner Royal Opera und der New Yorker MET und ziehen sich unterschiedlich aus der Affäre; haushoch überragt wird das Teilnehmerfeld von Adela Zaharia (Lucia) mit samtig-sinnlich funkelndem Timbre und virtuosem Vortrag. BSO-Ensemblemitglied Selene Zanetti (Tosca) vermag ebenfalls für sich einzunehmen, deutlich blasser kommen Hera Hyesang Park (Violetta), Leah Hawkins (Desdemona), Kiandra Howarth (Cio-Cio-San), Nadezhda Karyazina (Carmen) und Lauren Fagan (Norma) über die Rampe. Der junge Bremer GMD Yoel Gamzou nimmt sich bei seinem Debüt am Pult des – weit auseinander sitzenden – Staatsorchesters bei der Arienbegleitung viel Zeit und dehnt die Tempi phasenweise bis hart an die Grenze; was zwar zur epischen Filmästhetik paßt, die Kontraste der Musik aber eher abschleift.

Verbunden werden die Arien durch noch bombastischere Wolken-Videos (Marco Brambilla) und einen zähen, pathetisch aufgedonnerten Klang-Mix von Marko Nikodijević (Musik) und Luka Kozlovacki (Sound-Design). Über diese Sauce haben Abramović und Dafoe noch zusätzliche Textfragmente eingesprochen, von denen man durch die kompakte Abmischung ohne Übertitel kein Wort verstehen würde; pseudo-bedeutungsschwanger raunende und wild assoziative Düstersätze ohne nachvollziehbare Bedeutung. So weit, so fragwürdig.

Doch leider ist die Chose mit dem letzten Opern-Film-Tod noch nicht ausgestanden, denn nun erhebt sich die Urheberin umständlich aus dem Bett im – nun originalgetreu nachgebauten – Schlafzimmer der Callas, um… Ja, was eigentlich? Als Nachklapp erfolgt ein gut zwanzigminütiger Monolog, in dem Maria – oder doch Marina? So genau weiß man es nicht – mit den Namen berühmter Musiker um sich wirft, Erinnerungen an „Ari“, Aristoteles Onassis, nachhängt, über Paris philosophiert und den verbliebenen Hausrat aufzählt. An diesem Punkt kippt die Sache dann vollends in die Absurdität, zumal Nikodijevićs hinzukomponierte Musik nicht besser oder weniger soßig, sondern nur immer lauter wird. Da wird die Grenze des Erträglichen erreicht, im hochgefahrenen Orchester“graben“ sieht man, wie der eine oder andere Musiker sich die Ohren verschließt… Maria/ Marina verschwindet schließlich im Bad, die sieben singenden Dienstmädchen machen das Bett und bedecken sämtliche Möbel mit schwarzen Schleiern. Und dann fällt der letzte Vorhang, Abramović kommt, in einen Fummel aus Goldfolie gehüllt, aus der Tiefe des Raumes, zelebriert eine Art Auferstehungspose – und dann ertönt vom Band die Stimme von Maria Callas. Ein paar Minuten aus Normas „Casta Diva“-Arie. Ein paar Minuten ergreifend melancholische Schönheit, Emotion und Leidenschaft aus einer anderen Welt. Ein paar Minuten, die in ihrer Wahrhaftigkeit die anderthalb Stunden zuvor ungeschehen machen.

So bleibt als Fazit die ungebrochene Gültigkeit des elften (Opern)gebotes: „Du sollst den Namen der Callas nicht mißbrauchen“.

Gehabt Euch wohl und hört was Schönes,

Euer Fabius

Kammerspiele go public – die Installation “Shabbyshabby Apartments”

Performst Du noch oder wohnst Du schon?

Mit der Installation „Shabbyshabby Apartments“ befragt Matthias Lilienthal seine neue Wirkungsstätte

Klassiker? Och nö, kann ja jeder. Shakespeare, Kleist, Schiller? Oder darf es vielleicht eine Uraufführung sein, etwas ganz modernes, eine virtuose Sprachpartitur oder das genaue Gegenteil davon? Nein, nichts von alldem. Matthias Lilienthal, der neue Intendant der Kammerspiele, meint es ernst mit der Umkrempelung, das soll gleich jeder mitkriegen; das vormalige Schauspielhaus an der Maximilianstraße heißt jetzt erstmal „Kammer 1“, der Werkraum „Kammer 2“ und so weiter… Wenns schee macht. Und was macht das Theater? Am besten erstmal gar kein Theater, so lautet offenbar die Devise. „Die Utopien der Vergangenheit werden mit den Krisen der Zukunft zusammengewürfelt, und wir reisen mit Ihnen vom Wirtshaus am Starnberger See über Tokios unterkühlte Bürolandschaften bis zum Mars“ schreibt Liliental in seinem Grußwort zur neuen Spielzeit. Fasten your seat belts please! Ohne jetzt unken zu wollen, aber der letzte Münchner Promi, der öffentlich bekundete, zum Mars fliegen zu wollen, hieß Pierre Pagé, war Eishockeytrainer und würgte dermaßen die Triebwerke ab, dass nach einer Saison Ende der Fahnenstange war… Man wünscht Lilienthal mehr Fortune, Mars hin oder her.

Und so findet die Eröffnung, das erste Ausrufezeichen der neuen Intendanz, nicht auf der Bühne statt, sondern sozusagen in freier Wildbahn. Mit einer Kunstinstallation im öffentlichen Raum, Shabbyshabby Apartments genannt, auf die Straße gestellt in Zusammenarbeit mit raumlabor Berlin. Was ist nun das? (Auch) Herr Lilienthal hatte gewisse Schwierigkeiten, in München eine Wohnung zu finden… Ach. Das geht vielen so, auch solchen, die kein Münchner Intendantengehalt beziehen. Nur mal so am Rande. Der künstlerische Output dieser Erfahrung ist nun Gestalt geworden und manifestiert sich in 25 Hütten, jede von einem anderen Künstler, bzw. Team gestaltet, die sich für vier Wochen im Stadtgebiet verteilen, konzentriert in Nähe der Isar. Provisorium oder Provokation? Wird alles mitgenommen, kann alles mitschwingen. Mieten kann man die Teile natürlich auch, für 35 Euronen die Nacht, inklusive Frühstück in der Theaterkantine. Auf dem Boden nächtigen muss dabei niemand, ein namhaftes schwedisches Möbelhaus mit vier Buchstaben hat Betten reingestellt… Dabei sollte nach Möglichkeit, so wünscht es sich jedenfalls die Dramaturgie der Kammerspiele, „eine ganz neue Art von Lagerfeuergesellschaft, von Meinungsbildung und -austausch bei Stockbrot und Cowboykaffee entstehen“ und „der Zukunft ein Zuhause im öffentlichen Raum“ gegeben werden.

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“Fountain of Fortune” von Philipp Dettmer und Julian von der Schulenburg – Isartorplatz (Foto: Münchner Kammerspiele)

Natürlich kann man das alles ziemlich bescheuert finden. Muss man aber nicht, man kann es sich auch einfach mal anschauen. Die Idee, einfach mal die eigenen vier Wände zu verlassen, um die Stadt aus einer anderen Perspektive zu erleben; das kann spannend sein und irgendwie drängt sich auch der Gedanke an die Aktionskünstler-Ikone Joseph „Jupp“ Beuys auf und an dessen Konzept der „Sozialen Plastik“, der Jupp wäre vermutlich begeistert gewesen, gerade von der eigentümlichen Mixtur von politischen Hintergedanken, fröhlicher Anarchie und Mut zum Infantilen. Sicher, die Antwort wird sich – möglicherweise – während der vier Wochen finden, wenn Münchens Straßen und Plätze sich temporär den Raum teilen müssen mit den ganzen mehr oder weniger originellen Behausungen. Wem gehört nun dieser Raum? Wem gehört die Stadt? Hier kann man zu Suchen anfangen.

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“Yellow Submarine” von Kurt Cleary und Paulina u. Laura Petruskeviciute – Schwindinsel, Nähe Maximiliansbrücke (Foto: Münchner Kammerspiele)

Einer, der dieser Frage nachspürt, ist Ralph Drechsel. Der Mitbegründer des Münchner Theater- und Performance-Ensembles „Collective Sure Sud“ gehört zu den 25 Künstlern und Architekten, die von der Jury aus 272 eingereichten Entwürfen ausgewählt wurden, ihr Shabby Apartment vom 12. September an zu verwirklichen und zu bauen. Für die zur Verfügung gestellten 250,- Euro Materialgeld hat Drechsel mit seinen Mitstreitern Michael Hirsch, Stefan Brandhuber, Sophie Hechler, Caix Motamo und dem Duo Beißpony in einen Durchgang an der Außenmauer des Deutschen Museums aus gebrauchten und nur geringfügig nachbehandelten zementgebundenen Faserplatten und anderen Materialresten vom Wertstoffhof einen rechteckigen Kasten eingepasst, der sich kaum von der umgebenden Bausubstanz unterscheidet und neben den anderen Entwürfen geradezu provozierend schmucklos und einfach wirkt, ein Camouflage-Bau, der den Raum weder bespielt, noch verfremdet, sondern ihn praktisch verdeckt. Und der außerdem ortsgebunden ist, im Gegensatz zu den meisten Installationen des Projektes, die man prinzipiell überall auf der Welt aufbauen könnte.

Ich treffe Ralph Drechsel und Michael Hirsch am Nachmittag vor der Eröffnung vor Ort und wir unterhalten uns über ihre Arbeit, während die beiden in liebevoller Kleinarbeit letzte Hand anlegen und die Außenfläche mit Kohle und Asche gearbeiten, um sie dem Hintergrund so ähnlich wie möglich zu machen. „Just an illusion“ nennen Collective Sure Sud ihren Entwurf. Denn mit ihrer Gestaltung gehen sie ganz bewußt auf Distanz zu den Mitbewerbern, im Grunde auch zum Gesamtprojekt: „Fragen von Verteilungsgerechtigkeit oder auch der Allmende – des gemeinsamen Besitzes – sind politische Fragen, keine des Designs.“ Drechsel kritisiert die Vorstellung, es bedürfe „nur einer besonders pfiffigen Idee, schon hätte man die Nische gefunden, die ein angenehmes Auskommen ermöglicht“. Das ist für ihn ein Trugschluss, denn „Wer so denkt, befördert nur die bestehenden von Verdrängung und Wettbewerb gekennzeichneten Verhältnisse, die sich für immer mehr Menschen als unerträglich erweisen.” Nicht München sieht der Künstler als einen Raum, in dem ein Schatz verborgen ist, vielmehr ist für ihn der Raum selbst der Schatz, den es zu verbergen gilt, unsichtbar zu machen, dem privatwirtschaftlichen Zugriff zu entziehen. Statt des Designs regiert in „Just an illusion“ das Prinzip, der Raum – zumindest ein Stückchen davon – wird dem Markt und seinen Mechanismen entzogen; „Lass den Markt nicht einmal wissen, dass es Dich gibt. Es ist Deine einzige Chance“ lautet sein Fazit.

shabbyshabby_apartments_just_an_illusion“Just an Illusion” von Collective Sure Sud – Deutsches Museum (Foto: Collective Sure Sud)

Die Mitwirkung sei dann auch eher ein Zufall gewesen, dass die Jury – darunter Cecile Andersson, Peter Arlt, Chris Dercon und Kulturreferent Hans-Georg Küppers – seinen Plan dennoch ausgewählt hat, darf man vielleicht als Bekenntnis zu einer stärkeren Politisierung der Aktion werten, die von den Konkurrenzentwürfen nicht unbedingt ausgeht. Dazu passt auch, dass Collective Sure Sud ihren Verschlag in den vier Montagnächten vom Veranstalter zurückgemietet hat um dort Performances abzuhalten; unter Ausschluß der Öffentlichkeit, aber später im Internet nachzuerleben.

Zwischendurch schaut auch Matthias Lilienthal himself vorbei, der gerade den Parcours mit dem Rad abfährt und nach dem Rechten schaut… Und prächtig gelaunt ist, das performative, spielerische Element sei ihm bei der Konzeption mindestens ebenso wichtig wie die politische und gesellschaftliche Bedeutung, sagt er und fügt hinzu, dass es ihm in erster Linie darum gehe, „auf die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum in München und die Gefahr der sozialen Spaltung in der Stadt aufmerksam zu machen“, bevor er sich samt seiner Entourage wieder frohgemut aufs Radl schwingt und zum nächsten Objekt durchstartet. Man stelle sich das mal kurz bei Dieter Dorn vor… Blödes Kopfkino. Nach „Cowboykaffee“ und Lagerfeuer hat sich das jetzt eher nicht angehört. Dennoch bleibt Drechsel skeptisch und sieht die entscheidende politische Frage, nämlich wem öffentlicher Raum und Boden wirklich gehören, durch die Veranstalter nicht nur nicht beantwortet, sondern nicht einmal formuliert, daher zeige „Just an Illusion“ auch keine „Architektur oder ein Design, dass um Aufmerksamkeit buhlt oder einen virtuellen Like entlockt, sondern ein Prinzip beschreibt“. Und dieses ist mit voller Absicht eben nicht transparent gestaltet, sondern „fundamental undurchsichtig“.

Wie jetzt, sie hätten trotzdem lieber einen Shakespeare gehabt? Kommt schon noch, am 9. Oktober hat Der Kaufmann von Venedig Premiere im Schauspielh… Äh, in der Kammer 1. Alles wird gut. Oder auch nicht…

Die Shabbyshabby Apartments sind zu sehen und zu buchen vom 12. September bis zum 13. Oktober 2015.

Weitere Informationen und Reservierung unter:

http://www.muenchner-kammerspiele.de/shabbyshabby-apartments

http://suresud.testset.info/

Das “Neue Lenbachhaus” in München

Es ist soweit, Herr Kapellmeister, bitte einen Tusch in Es-Dur! Nach vier Jahren Um- und Anbauzeit hat das „neue“ Lenbachhaus wieder seine Pforte geöffnet. Der Blaue Reiter ist wieder da, Kandinsky, Münter, Marc, Jawlenskij, Madame von Werefkin und wie sie alle heißen, dazu „Jupp“ Beuys, Franz von Stuck, Lovis Korinth und natürlich der Hausherr, der Malerfürst himself, Franz von Lenbach. Über zwanzig Jahre hatte ich das Vergnügen, den Meister quasi zum Nachbarn zu haben, bzw. in bequemer Gehdistanz zu ihm zu residieren und von den Münchner Museen war das Lenbachhaus sozusagen ein Wohnzimmer… Pardon: ein Salon natürlich! Wie viele graue verregnete Sonntage mir die Farbräusche der genannten Damen und Herren schon verschönt haben, wie oft ich einfach mal rüber gegangen bin, mir aus dero Schaffen Energie, Inspiration oder schlicht und ergreifend gute Laune zu ziehen…! Schwer, da am ersten (Wieder)besuchstag nicht sentimental zu werden.

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Links: Das neue und alte Lenbachhaus von außen, Rechts: “Wirbelwerk” von Olafur Eliasson (Fotos: Städtische Galerie im Lenbachhaus/ Studio Olafur Eliasson)

Und nun: Das neue Lenbachhaus. Nur noch wenig ist so wie es war und das war auch die erklärte Absicht. Star-Architekt Norman Forster, drunter macht man es ja nicht in der Landeshauptstadt, hat der schmucken Lenbach-Villa nicht nur einen frischen neuen Außenanstrich verpasst, sondern einen klotzig-monumentalen Anbau darangesetzt, janz in Jold, München soll schließlich leuchten. Die Cafete im Erdgeschoss, zur Brienner Straße hin, trägt den Spitznamen Gabriele Münters, „Ella“ nämlich, muß man aber nicht wissen um dort ein Heißgetränk zu konsumieren, das nach Kaffee schmeckt, aber teurer ist. Der Eingang befindet sich jetzt im Eck zwischen Alt- und Neubau und führt direkt in die neue Eingangshalle. Viel Licht, helle Parkettböden, geflutet von Sonne und Erwartungen. Die Seitenwand von Lenbachs Villa ist in die Halle integriert und über allem schwebt das Wirbelwerk, eine windhosenförmige Kolossalskulptur aus Stahl und buntem Glas des Künstlers Olafur Eliasson. Wow. Auf der anderen Seite führt eine enge Treppe in die Ausstellung. Hmm. Das sieht im Raum eher aus, als habe man sie erst vergessen und dann nachträglich noch irgendwie reingebatzt… Irgendwie unstimmig und unorganisch. Leider ein Eindruck, den man nicht zum letzten Mal hat auf dem Rundgang, immer wieder stößt man auf seltsame tote Winkel, unnutzbaren Platz (das Fachwort dafür heißt übrigens „Totraum“…), Gänge und Korridore ins Nirgendwo. Stararchitekt? Gut, dass wir drüber geredet haben. Auch viele der Ausstellungsräume hätten sinnvoller konzipiert werden können, insbesondere in den Sammlungen des 19. Jahrhunderts und der Kunst nach 1945 herrscht drangvolle Enge, es gibt ein zweites Treppenhaus, die Leute kommen ergo von beiden Seiten, einen sinnvollen Laufweg gibt es nicht, Kollisionen und Rückstaus sind unvermeidlich, ungestörtes Betrachten der Bilder an den Stirnseiten fast ausgeschlossen. Auch über die Hängung und äußerst sparsame Beschriftung könnte man diskutieren… So wirkt die düster-bourgeoise Wohnhöhle des Meisters im Mitteltrakt noch wesentlich finsterer als früher, noch „musealer“. Dafür eröffnen manche der verglasten Übergänge interessante Perspektiven auf altes Gemäuer und den nach wie vor prachtvollen Garten. Schlußendlich ist das Ganze, wie immer bei einer architektonischen Verschmelzung von Alt und Neu, weitgehend Geschmackssache. Hier ist es meines Erachtens ästhetisch sicher nicht wirklich missglückt, der konzeptionelle Mehrwert hält sich allerdings auch in Grenzen.

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Links: Ein Ausstellungsraum des Blauen Reiters, Rechts: das Environment “Aufbruch aus dem Lager I” von Joseph Beuys (Fotos: Florian Holzherr)

Zentrum und Publikumsmagnet der Ausstellung ist natürlich weiterhin das Schaffen des Blauen Reiters, jener um 1912 entstandenen Künstlergruppe um Vassily Kandinsky, Franz Marc und Gabriele Münter. Branchenführer und Publikumsmagnet, einst unverstanden und angefeindet, inzwischen längst Kult und künstlerisches Heiligtum. Oder anders ausgedrückt: einfach unglaublich tolle Malerei, an der man sich nicht sattsehen kann. Rauschhafte Farborgien bei nur angedeuteten Konturen, Verfremdungseffekte und Phantasmagorien, dionysisches Spektakel auf Leinwand. Eine Sammlung, die weltweit nicht ihresgleichen hat. Jetzt sind sie wieder da, die Munich-Murnau-All Stars. Selbstredend bilden sie den Höhepunkt der Ausstellung, versammelt oben im zweiten Stock des Neubaus. Und, siehe da, hier ist auch die Präsentation gelungen, Bilder und Räume bilden eine Einheit, die Kunst hat Luft zum Atmen und korrespondiert. Eine Flucht individuell gestalteter Räume, jeder mit einem anderen Grundriß und einem andersartigen Wandbehang, farblich auf die jeweiligen Kunstwerke abgestimmt. Na bitte, geht doch! Daß mittendrin noch ein einzelner Raum mit Werken der „Neuen Sachlichkeit“ liegt, stört zwar, aber passt doch wieder ins Bild.

Alles neu im Lenbachhaus?! Nein, zum Glück nicht alles. Und an den Rest wird man sich schon noch gewöhnen.

Christos “Big Air Package” im Gasometer in Oberhausen

Vierzehn Jahre ist es nun schon wieder her, seit der bulgarische Objektkunst-Guru und Verpackungsvirtuose Christo und seine (2009 verstorbene) Frau Jeanne-Claude im Oberhausener Gasometer die eindrucksvolle Kunstinstallation The Wall, gebildet aus 13.000 bunt gestrichenen Ölfässern, realisiert haben. Nun ist Christo zurück im Ruhrpott und im Gasometer, übrigens das erste Mal in seiner großartigen Karriere, dass er einen Schauplatz ein zweites Mal für eine Installation ausgewählt hat. „Kannze ma gucken, ey!“ wie man in dieser Weltgegend jetzt sagt. Nun gibt es vermutlich auch wenige Locations weltweit, die Christos Ästhetik so entgegenkommen wie der 1927 bis 1929 als Gastank für die ehemalige Gute-Hoffnungs-Hütte erbaute Gasometer; mit 118 Meter Höhe, 67,5 Metern Durchmesser und einem Rauminhalt von sage und schreibe 347.000 Kubikmetern einer der größten Innenräume Europas. Der ganz eigene Charme des aufgelassenen bzw. umgewidmeten Industriedenkmals verbindet sich mit den riesigen Dimensionen ohnehin zu einem beeindruckenden Raumerlebnis; die perfekte Bühne für Christos Kunst.

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Big Air Package heißt nun Christos neuestes Werk und besteht – wie der Name schon sagt – aus einem riesigen Airbag, einem schwebenden und begehbaren Ballon aus einem weiß schimmernden, halbtransparenten Stoff, der fast die gesamte Raumhöhe und Innenumfang des Gasometers ausfüllt. Insgesamt 20.350 Quadratmeter Stoff und 4.500 Meter Seil sind hier aufgezogen worden, schon logistisch und technisch der pure Wahnsinn (Projektleitung: Manfred Volz). Der gesamte Riesen-Raum erscheint zunächst weiß, eine ungeheure Menge davon und eigentlich erwartet man beinahe, hier auf Eis und Schnee zu treten. Betrachtet man das Ganze jedoch länger, am Besten auf dem Rücken liegend, so lebt der Raum, variiert und verändert sich durch die natürlichen Veränderungen des Lichteinfalls, offenbart dem staunenden und sich selbst nicht mehr trauenden Auge eine schier nicht für möglich gehaltene Vielfalt von Schattierungen und Konturen.

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Wie stets verwehrt sich der Künstler gegen eine dezidierte politische, gesellschaftliche oder philosophische Deutung seiner Arbeit. Diese soll ästhetisch für sich stehen und ausschließlich vom Betrachter für sich persönlich empfunden und emotional gefüllt werden. Neben der puren, geradezu atemberaubenden Schönheit des verwunschenen Raumes ist es in diesem Fall vor allem der Raum-Zeit-Aspekt, der mich am meisten beeindruckt. Am liebsten würde ich hier, in dieser artifiziellen Leere, einige Stunden zubringen und mir per mobilem Gerät Wagners Parsifal anhören und die berühmte Phrase „Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit“ wirklich physisch erfahren. So leer, so gewaltig, beinahe schon einschüchternd, das Big Air Package im Moment des Betretens wirkt, so schnell wird es zum Ort seelischer Befindlichkeiten, zum Spiegel, zum Brennglas, zum Behältnis. Transformation. Bewusstseins-Akt. Und das für jeden Besucher einzeln und individuell. Paul Klees schöne Definition „Kunst bildet nicht ab, sie macht sichtbar“ wird hier Realität. Ob Raum und Zeit, Größe und Grenze oder Form und Nicht-Form; hier entfaltet sich auch das dialektische Prinzip der Kunst. Und das Schönste ist, dass niemand das ebenso empfinden muß wie ich, jeder erlebt sein ureigenes Big Air Package, das nur ihm selbst emotional gehört.

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Blick vom Dach des Gasometers auf die Industriekulisse des nördlichen Ruhrgebietes (Fotos: Fabian Stallknecht)

Noch bis 30. Dezember 2013

http://www.gasometer.de