Die Schneekönigin läßt kalt
Was geht denn hier ab? Blaugraue Eiskristalle bilden sich an der Fassade des Nationaltheaters, das Gebäude vereist immer mehr, bis nach knapp zehn Minuten Säulen und Portikus mit einem Eispanzer überzogen scheinen… Der bricht dann irgendwann auf, der Schriftzug The Snow Queen is out there! erscheint und die Show beginnt von neuem. Mit dieser Einlage wirbt die BSO für ihre Weihnachts-Premiere: The Snow Queen, Oper in drei Akten von Hans Abrahamsen. Uraufgeführt im Herbst in Kopenhagen erlebt das Opus nun seine englischsprachige Premiere.
Wollte man da etwa an die erfolgreiche Uraufführung von Miroslav Srnkas South Pole (siehe Archiv Februar 2016) anknüpfen und hat die nächste musiktheatrale Expedition in Eis und Schnee gestartet? So nach dem Motto: wo einmal was zu holen war, da geht noch mehr? Wenn, dann war das der berühmte Satz mit X, denn zwischen beiden Aufführungen liegt schon ein Zwei-Klassen-Unterschied.
Hier werden Sie nicht geholfen! Tristesse auf dem Klinikflur (Foto: Wilfried Hösl)
Worum geht es im Stück? Abrahamsen selbst hat Hans Christian Andersens gleichnamiges Märchen zum Libretto verarbeitet, in dem ein junges Mädchen namens Gerda – Nein, ausnahmsweise nicht Greta! – auf die verzweifelte Suche nach ihrem Freund Kay geht. Jener wurde von zwei Scherben eines überdimensionalen Zauberspiegels in Auge und Herz getroffen, was zur Erblindung und seelisch-emotionalen Verfrostung geführt hat. Als zombieskes Wesen ist er der bösen Macht der Schneekönigin verfallen, vor der die Großmutter eingangs gewarnt hat. Unterstützt von singenden Blumen, zwei Krähen, einem Rentier und einer mysteriösen finnischen Frau dringt Gerda ins Reich der Schneekönigin vor, bringt mit ihren Tränen die Splitter zum Schmelzen und bricht den Bann der Schneekönigin. Kay ist befreit und alle happy. Ein Weihnachtsmärchen? Schon die Vorlage ist alles andere als theatralisch, dazu überfrachtet Abrahamsen den Stoff mit soviel esoterischem und (peseudo)philosophischem Ballast, dass eine ganz zähe Psycho-Soße daraus wird, ein Diskurs über Hingabe, Verlust, Abhängigkeit und das Erwachen der Persönlichkeit, was auch die Sexualität einschließt. Könnte in der Theorie nicht unspannend sein, ist als Opernstoff aber denkbar ungeeignet. Trotz einer relativ detailierten Inhaltsangabe passiert eigentlich nichts, verquaste Monologe und ständige Textwiederholungen rauben der Handlung den letzten Rest an Spannung.
Und die Musik? Abrahamsen hat bisher ausschließlich Instrumentalmusik komponiert; und das auch nicht unerfolgreich. Wie auch in anderen seiner Partituren entwickelt er mit einer riesigen Orchesterbesetzung einen satztechnisch äußerst komplexen und kunstfertigen Klangraum, ein Kontinuum oder, boshafter formuliert, eine Art Mathematikaufgabe für Instrumente. Das läuft und plätschert an der Handlung und dem Text vorbei, ohne wirklich etwas zu erzählen oder die diese wiederzuspiegeln. Sicherlich gibt es den einen oder anderen reizvollen Effekt, doch täuscht das nicht über den eklantanten Mangel an Dramaturgie oder Timing hinweg. Das ist auf die Dauer, eigentlich schon nach den ersten zwanzig Minuten, ausgelutscht und ebenso nichtssagend wie der Plot. Was auf der Bühne eigentlich geschieht, oder ob überhaupt, ist unwichtig und interessiert auch nicht wirklich. Die Stimmen sind in ihrer Linienführung sehr instrumental konzipiert und in den Orchestersatz eingewoben, wodurch praktisch kein Wort des Textes zu verstehen ist; ob nun Dänisch oder Englisch gesungen wird, ist Jacke wie Hose. So unsäglich lang und zäh haben sich eindreiviertel Stunden wohl selten angefühlt.
Der Verzweiflung nahe: Barbara Hannigan (Gerda) – Foto: Wilfried Hösl)
Die einzige Rettung für dieses (Mach)werk hätte eine bildmächtige und auf die Charaktere konzentrierte Inszenierung sein können. Mit seiner banalen und geradezu lustlosen Umsetzung hat Andreas Kriegenburg den Abend dann komplett versenkt. Dieser früher mal so erfrischend präziseTheatererzähler, der dem Haus so gigantische Inszenierungen wie Wozzeck und Die Soldaten beschert hat, scheint sich inzwischen in den Mühlen des Theaterbetriebes verschlissen und aufgezehrt zu haben und bietet höchstens noch gelangweilte Routine. Mal wieder bildet ein schmuddeliges Krankenhaus den Rahmen, dessen Wände sich im Laufe des Abends nach hinten öffnen und abstrakte Räume mit Kunstschnee und Trockeneisnebel zum Vorschein bringen (Bühnenbild: Harald B. Thor). Das könnte auch das Wintersport-Schaufenster eines Kaufhauses sein, statt mit Skiern und Schlitten wird der Raum aber durch Anstaltsbetten und jede Menge Statisterie bevölkert: hektisch wuselnde Krankenschwestern und Senioren mit Rollator und Tropf. Gerda und Kay gibt es mehrfach: als singende, bzw. stumme Darsteller und nochmal als Kinder. Wenn Gerda mantrahaft singt „Where is Kay?“ wirkt das schon einigermaßen absurd; schließlich stehen permanent 2-3 davon auf der Bühne und sie hätte die freie Auswahl… Auch die Personenführung ist mit „einfallslos“ noch freundlich umschrieben, da wird viel gestanden oder unmotiviert bewegt, abgestandene Klischees wahllos aneinander montiert; und wenns nicht passt, ist es auch egal.
Gerda (Barbara Hannigan) sucht den Durchblick (Foto: Wilfried Hösl)
Da wird dann sogar eine so furiose Darstellerin wie Barbara Hannigan deutlich unter Wert verkauft. Die kanadische Sopranistin und Dirigentin hat Abrahamsen zur Komposition dieser seiner ersten Oper überredet… umso erstaunlicher ist, dass die Partie ihr nicht wirklich auf den Leib und in die Stimme geschrieben wirkt. Hannigan ist eine toughe und attraktive Frau mit starker (Bühnen)persönlichkeit und eben kein naives kleines Mädchen auf Selbstfindungstrip wie die Gerda von Andersen. Und auch gesanglich bewegt sich die Partie zumeist in einer Lage, in der die Stärken der Sängerin, etwa die leuchtende Höhe und die erstaunliche Flexibilität der Stimme, weniger zur Geltung kommen. In der hier geforderten Tessitura hat sie oftmals sogar Schwierigkeiten, über das Orchester zu kommen.
Der Baß, der aus der Kälte kam: Peter Rose als Schneekönigin mit Rachael Wilson als Kay (Foto: Wilfried Hösl)
Auch alle anderen Partien sind peripher und undankbar geschrieben, wirkliche Profilierungsmöglichkeiten entsprechend dünn gesäht. Den noch stärksten Eindruck im Sängerensemble hinterläßt Rachael Wilson als die singende Manifestation von Kay mit kernigem Mezzoklang und engagierten Gestaltung. Die Schneekönigin selbst ist – wie die Köchin in Prokofjevs Liebe zu den drei Orangen – mit einem Baß besetzt, ein entsprechender Effekt bleibt bei der Monotonie der Musik allerdings aus. Peter Rose kommt mit seiner schwarzen Pelzmütze wie der Erbe Ivan Rebroffs daher und singt die undankbare Rolle mit etwas spröden Baßtönen. Zusätzlich singt er auch das Reindeer im dritten Akt. Katarina Dalayman hat sogar drei Rollen zu singen als Grandmother, Old Lady und Finn Woman, die ihr alle zu tief liegen. Caroline Wettergreen und Dean Power geben das Prinzenpaar, dessen dramaturgische Funktion sich mir nicht übersetzt hat, Kevin Conners und Owen Willretts die Wald- und die Schloßkrähe.
Mangels Vergleichsmöglichkeit läßt sich bei einer Uraufführung das Dirigat am schwierigsten beurteilen. Auf jeden Fall kann man Cornelius Meister zugute halten, dass er den großbesetzten Orchesterapparat mit seinen diversen Verschichtungen und Verschachtelungen souverän im Griff hat und mit dem sehr konzentriert wirkenden Staatsorchester eine Vielzahl von dynamischen Staffelungen realisiert. Das Grundproblem liegt nunmal in der Komposition, die so gar keine Theatermusik ist.
Diese Schneekönigin läßt einfach kalt.
Euch allen ein frohes Weihnachtsfest und
Gehabt Euch wohl und hört noch was Schönes,
Euer Fabius