Lustige Weiber am Asher-Donnerstag
Unter den zahlreichen Verdi-Produktionen der BSO in der Amtszeit von Peter Jonas genießt dieser Falstaff in der Regie von Eike Gramss ein Alleinstellungsmerkmal: sie war die einzige, die szenisch nicht krachend vor die Wand gefahren wurde. Wohl deshalb ist sie auch immer noch im Spielplan, bzw. ist nun nach einigen Jahren Pause wieder auf jenen zurückgekehrt; Welcome back, Sir John!
Das minimalistisch karge, andeutungsweise an der Shakespeare-Bühne orientierte Bühnenbild mit der runden, dreh- und kippbaren Holzscheibe – in Theaterkreisen gerne auch „Kochplatte“ genannt – im Zentrum und die farbenfrohen, dezent ironisierenden Kostüme von Gottfried Pilz verfehlen nach wie vor nicht ihre Wirkung und bilden einen sinnfälligen und optisch ansprechenden Rahmen für das Geschehen, ohne vom Spiel der Darsteller abzulenken. Zugleich bietet die kahle Bühne mit den umgebenden Vorhängen, im Zusammenspiel mit der differenzierten Lichtregie von Manfred Voss, auch viele Variationsmöglichkeiten, mit dem nur durch Licht- und Schattenwirkungen geschaffene nächtliche Park von Windsor im letzten Akt als Höhepunkt. Aber auch die quirlige, kleinteilig fein gearbeitete Regie von Eike Gramss hat die zahlreichen Umbesetzungen erstaunlich gut überstanden und lebt von der Persönlichkeit und Spielfreude der Sänger und deren choreographischer Genauigkeit. All dies war in dieser Wiederaufnahme in hohem Maße vorhanden und auch wenn nicht jede aktuelle Besetzung immer ganz mit den illustren Rollenvorgängerinnen und Vorgängern mithalten konnte, so war doch ein auf hohem Niveau homogenes Ensemble am Start; eine Qualität, die gerade für dieses Stück unabdingbar ist.
Der zweite für den Erfolg einer Falstaff-Einstudierung entscheidende Faktor ist der Dirigent. Diesmal endete die Serie einen Tag nach Aschermittwoch, sozusagen am Ascherdonnerstag, bzw. in diesem Fall Asher-Donnerstag, da man nämlich Asher Fisch die musikalische Leitung anvertraut hatte. Eine nicht unproblematische Entscheidung, schließlich ist Fisch bei seinen bisherigen Auftritten nicht unbedingt als Freund des feinen Pinsels aufgefallen. Und auch hier ließ er das Staatsorchester für meinen Geschmack sehr al fresco musizieren, die Tutti knallten, die Bläser ratterten ihre Einsätze rabiat dazwischen und mancher Übergang klang mehr gewaltsam als entwickelt. Man konnte ihm zugute halten, dass er den Laden im Griff hatte, Orchester und Bühne, von kleinen Wacklern abgesehen, auch in den diffizilen Ensembleszenen zusammenhielt und sich in Tempo und Lautstärke zumindest um eine etwas differenziertere Wiedergabe bemühte. Auf die orchestralen Feinheiten und Effekte der Partitur musste man allerdings verzichten, gerade im piano klang vieles nur hingeworfen statt wirklich ausgearbeitet, der ganz spezielle musikalische Tonfall der Oper stellte sich nur andeutungsweise ein.
Va, vecchio John! Ambrogio Maestri in der Titelrolle (Foto: Wilfried Hösl)
Und schließlich, als dritter Faktor, die herausragende Besetzung der Titelfigur. Da war man mit Ambrogio Maestri natürlich auf der sicheren Seite, schließlich hat Maestri diese Rolle seit Jahren praktisch im Alleinbesitz und darf ruhig zu den bedeutensten Interpreten in der Aufführungshistorie des Werkes gezählt werden. Er gibt den dicken Ritter weder als versoffenen Clown noch als skurrile Figur, sondern als einen Mann in den besten Jahren, etwas heruntergekommen zwar und irgendwie aus der Zeit gefallen, aber immer noch ein Herr. Seine Außenseiterrolle in der spießigen Windsor-Welt spielt dieser Falstaff mit spürbarer Wonne, ein Spaß-Guerillero von anarchischem Witz und unerschütterlichem Selbstbewußtsein, der den Anderen das Wissen um die Vergeblichkeit des Strebens und die Brüchigkeit gesellschaftlicher Normen voraus hat, dieses aber in der Schlußfuge mit diesen seinen Mitmenschen teilt. Dazu steht Maestris voluminöser, flexibler Bariton voll im Saft, versteht es, geradezu im Klang zu baden, aber auch ganz verhalten, schlank und beinahe im Grenzbereich zum Sprechgesang zu agieren. Alles ohne Manierismen und Übertreibungen, er beherrscht diese Partie einfach bis in ihre feinsten Details und gestaltet mit überragender Souveränität. Da reichen manchmal schon kleinste Betonungen oder Temporückungen, um den gewünschten Effekt zu erzielen; wenn er etwa einen Glühwein ordert, hellt er den Vokal A in „caldo“ eine Nuance auf und zieht ihn zugleich in die Länge, so dass auch jemand, der kein Italienisch spricht, sofort spannt, daß hier einer vor Vorfreude schon Fäden zieht….
Frauenpower im Viererpack: v.l. Véronique Gens (Alice), Susanne Resmark (Quickly), Gaëlle Arquez (Meg) und Ekaterina Siurina (Nannetta) – Foto: Wilfried Hösl
An diesen Abenden bekam Sir John es mit einem Quartett lustiger Weiber zu tun, die dem alten Schwerenöter ganz schön Kontra gaben: Véronique Gens als noble Alice mit kultiviert geführtem, dunkel schimmernden Sopran, die bildhübsche Gaëlle Arquez als muntere Meg und vor allem Ekaterina Siurina als Nannetta, deren silbrig lyrischer Schmelz in ihrer Arie im letzten Bild tatsächlich vokalen Feenglanz verströmt. Lediglich Susanne Resmark als Quickly fiel leider ab, da es ihr, insbesondere im tiefen Register, an stimmlicher Präsenz und Volumen fehlte; das berühmte „Reverenza“ mußte man sich diesmal dazudenken. George Petean ist mit seiner gemütlichen Ausstrahlung vielleicht nicht die glaubhafteste Besetzung für den Neurotiker Ford, vermag mit seinem kultivierten Vortrag aber insgesamt zu gefallen. Antonio Poli war ein sympathischer Fenton mit frischem, unverbrauchten Material, Carlo Bosi ein etwas sehr penetranter Cajus und Kevin Conners (Bardolfo)und Goran Jurić (Pistola) gaben ein pittoreskes und urkomisches Ganovenpärchen ab.