Theater Regensburg: “Valuschka” – 11.4.2024

In welcher Oper kommt ein veritabler ausgestopfter Blauwal vor? Nein, die Antwort ist weder Parsi-Wal noch Die Wal-küre… sondern Valuschka, die dreizehnte und letzte Oper des im März im Alter von 80 Jahren verstorbenen Peter Eötvös. Diese hatte im vergangenen Herbst ihre Premiere in Budapest, nach einer umfangreichen Revision durch den Komponisten – insgesamt enthält diese Neufassung ca. ein Drittel neu geschriebene Musik – konnte das Theater Regensburg im Februar nun mit dramaturgischem Recht und Fug sozusagen eine zweite Uraufführung desselben Werkes auf die Bühne bringen. Dieses künstlerische Ereignis in die Oberpfalz zu holen, ist natürlich ein echter Coup des Hausherren Sebastian Ritschel.

Foto: Marie Liebig

Wer oder was ist nun Valuschka? János Valuschka, die Titelfigur, arbeitet als Postbote in einer namenlosen Kleinstadt irgendwo in Osteuropa, ist herzensgut, aber naiv und von schlichtem Gemüt – eine Art Billy Budd des 21. Jahrhunderts? – der sich in seiner Freizeit mit Sternen und Sonnensystemen beschäftigt und bei seinen abendlichen Kneipenbesuchen den örtlichen Kampftrinkern darüber referiert; dass er vom Rest der Bevölkerung, seine eigene Mutter eingeschlossen, für einen Freak gehalten und instrumentalisiert wird, erstaunt denn auch nicht. In jenem Städtchen geschehen seltsame Dinge: zunächst kommt ein Wanderzirkus an, dessen Attraktionen besagter Meeressäuger und ein dreiäugiger Zwerg namens „Der Prinz“ sein sollen; de facto allerdings bekommt niemand weder den einen noch den anderen wirklich zu sehen. Zugleich wird die Stadtgesellschaft unterwandert von merkwürdigen, latent gewaltbereiten Fremden, die sich zu einer Art Leibgarde des ominösen Prinzen formieren und permanent für Unfrieden und Zerstörung sorgen. Die populistische Bürgermeisterin Tünde heizt die Stimmung noch an, um für ihre Bürgerbewegung namens „Es grünt so grün“ – natürlich irrlichtert jene Melodie aus My Fair Lady immer wieder als Zitat durch die Partitur – Kapital aus der Verunsicherung zu schlagen. Doch die Spirale der Gewalt und Verwüstung ist nicht mehr zu stoppen, das Militär greift ein und etabliert nun erst recht ein autoritäres Regime. Der arme Valuschka verliert den Glauben an die Ordnung der Himmelskörper wie der menschlichen Gesellschaft und landet in der Anstalt.

Kirsten Labonte (Tünde) und Hany Abdelzaher (Zirkusdirektor) – Foto: Marie Liebig

Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für seine Oper stiess Eötvös auf den Roman Melancholie des Widerstands von László Krasznahorkai, den Kinga Keszthelyi und Mari Mezet zum Libretto verdichtet haben. Herausgekommen ist, kleineren dramaturgischen Schwächen zum Trotz, eine groteske, kafkaesk verschrobene Dystopie, eine Gesellschaftssatire voll bösen Witzes und einer gehörigen Portion Wut, eine Politparabel um Ängste, Populismus, Ausgrenzung, Unsicherheit, Aggressionen und ein tief sitzendes Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber politischen Entwicklungen. Ein Spiegelbild der Verhältnisse in Eötvös’ Heimatland Ungarn, aber nicht nur dort… Viel aktueller kann ein Opernstoff kaum sein.Trotzdem würde man dem Werk kaum gerecht, sähe man es nur als tagespolitischen Kommentar oder Verlautbarungsdramatik.

Eötvös’ Musik für Valuschka wirkt eine Spur „griffiger“, dramatischer und dialogischer als in vielen seiner früheren Opern, aber nicht weniger kunstfertig und zudem mit einer Nettospielzeit von gut 90 Minuten sehr verdichtet und konzentriert. Die Orchesterbesetzung ist stark bläserbetont, es dominieren die tiefen Frequenzen und düsteren Klangfarben, zwischendurch kann sich die Phonstärke gewaltig steigern. Die Singstimmen sind überwiegend der klassischen Moderne verpflichtet, Valuschka hat die eine oder andere lyrische Baritonkantilene bekommen und bei der hysterischen Aufgeregtheit Tündes hat die Königin der Nacht Patin gestanden, auch deren hohes F wird verlangt.

Sebastian Ritschel hat nicht nur die Strippen gezogen, sondern auch selbst inszeniert und eine klare, genaue und mit leichter Hand gezeichnete Regiearbeit ohne Mätzchen, Klischees oder platte Aktualisierungen vorgelegt. Schauplätze und Aktionen sind einerseits detailrealistisch und, was die, ebenfalls von Sebastian Ritschel entworfenen, Kostüme und Frisuren angeht, in den 1980er Jahren angesiedelt, geben aber immer wieder Raum für bizarr-poetische Bilder wie am Schluß, als der Blauwal „völlig losgelöst“ über Valuschkas Krankenbett schwebt. Besonders hervorzuheben ist die phänomenale Führung des Männerchors, der hier nicht als statisches Kollektiv, sondern als Gruppe präzise charakterisierter Individuen agiert. Die Bühnenbilder von Kristopher Kempf sind praktikabel, leicht variierbar und entfalten eine Menge stimmungsvoll abgeranzten Charme. Die Balance von Realismus, Groteske und Ironie trifft die Regie sehr stilsicher und zieht das, an diesem Abend äußerst ruhige und konzentrierte, Publikum im erfreulich gut besetzten Auditorium in den Bann der Geschichte.

Im Wirtshaus gehts hoch her (Foto: Marie Liebig)

Das handlungsbedingt stark männerlastig besetzte Sängerensemble agiert sehr geschlossen auf einem bemerkenswerten Niveau, wirklich abfallen tut niemand. Im Gegenteil, es gibt etliche ausgezeichnete Rollenporträts zu würdigen. Allen voran natürlich Benedikt Eder in der Titelpartie, der die Güte und Verletzlichkeit des Charakters treffsicher gestaltet, ohne die Figur zum kompletten Weichei zu machen. Sein hoher und fast tenoral timbrierter Bariton besitzt individuelles Timbre und vokale Flexibilität. Das genaue Gegenstück zum introvertierten Titel-(Anti)-Helden ist die machtgierige Bürgermeisterin und Möchtegern-Herrscherin Tünde, eine sängerisch anspruchsvolle und darstellerisch dankbare Partie. Kirsten Labonte brilliert mit virtuoser Höhenakrobatik und wunderbar aufdringlich- dekadentem Spiel und feuert ihre hybriden Koloraturkaskaden und Spitzentöne mit spürbarer Freude in den Saal. Im Stück ist nur ein einziger Einwohner der Stadt nicht Mitglied bei „Es grünt so grün“, nämlich Tündes Ex-Mann, der Musikprofessor, der für die traditionellen kulturellen Werte steht; auch hier hat das Haus mit dem wuchtigen, leicht angerauten Schwarzbass von Roger Krebs eine imposante Besetzung zu bieten, ein Sänger, den man durchaus gerne mal als Sarastro oder König Marke erleben würde. Gabriel Kähler aus dem Regensburger Schauspielensemble gibt den Gastwirt Hagelmayer, der zugleich die Funktion eines Erzählers hat, mit striezihafter Eleganz und dezentem Witz.

In den weiteren kleineren Partien sind Theodora Varga (Frau Pflaum, Valuschkas Mutter), Jonas Atwood (Mann im Lodenmantel/ Soldat), Svitlana Slyvia (Bäuerin), Hany Abdelzaher (Zirkusdirektor), Michael Daub (Nadaban), Alexander Aigner (Madaj), Daniel Schliewa (Volent), Paul Kmetsch (Schaffner/ Assistent des Prinzen) sowie Chih-Yuan Yang in der stummen Rolle des Prinzen zu erleben.

Großes Lob geht auch an den Chor des Theaters Regensburg in der Einstudierung von Harish Shankar, der in dieser Vorstellung auch das Dirigat von GMD Stefan Veselka übernommen hatte und Chor und Orchester mit sicherer Hand durch die Partitur steuerte.

Ein in jeder Hinsicht hochklassiger und verdienstvoller Abend, der mal wieder bewiesen hat, dass es nicht immer Staatsoper sein muss.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

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