Bayerisches Staatsorchester/ Kent Nagano – 6.11.2023

Wenn es um seine früheren Chefdirigenten geht, hält es das Bayerische Staatsorchester gerne mit Goethes Mephisto: „Von Zeit zu Zeit seh ich den (die) Alten gern“. Das galt natürlich besonders im Jubiläumsjahr 500 Jahre Bayerisches Staatsorchester, wo man zur Feier des Tages die letzten drei Generalmusiktoren des Orchesters ans Pult gebeten hatte; nach Zubin Mehta im Februar und Kirill Petrenko im September nun auch Kent Nagano. Auch an diesem Abend war es einmal mehr absolut frappierend zu erleben, mit welcher Selbstverständlichkeit und Kompetenz das Orchester die stilistischen Eigenheiten und musikalischen wie gestalterischen Klangvorstellungen seiner drei so unterschiedlichen Ex wieder hochholen und realisieren kann; fast hatte man den Eindruck, die Maestri seien nie weg gewesen…

Das galt auch für den 2013 von der Isar an die Waterkant abgewanderten – manche sagen: wegvergraulten – Kent Nagano, der aus dem hohen Norden ein Kent Nagano-Programm mitgebracht hatte wie es typischer kaum hätte sein können: Anton Weberns großes spätestromantische Orchesteridyll „Im Sommerwind“ und Beethovens 6. Symphonie umrahmten eine vom Staatsorchester beauftragte Uraufführung der koreanischen Komponistin Unsuk Chin, mit der Nagano von jeher eine eher unglückliche künstlerische Liebesbeziehung verbindet.

Foto: Wilfried Hösl

Die klanglichen und programmatisch-dramaturgischen Korrespondenzen zwischen Webern und Beethovens Pastorale liegen natürlich auf der Hand und übersetzten sich ohne weitere Erklärung. Beiden Werken liegt eine, mehr oder weniger ausformulierte, außermusikalische Programmatik zugrunde. Weberns titelgebendes Wetterphänomen beschwört der Komponist sehr suggestiv mit fließender Agogik, dynamischen Abstufungen und einer Fülle an orchestralen Farben. Das verleitet zu ungeniertem Schwelgen und Schmieren, so manch ein Kollege ist hier aus Versehen im Vorhof Hollywoods gelandet. Nagano selbstverständlich nicht, bei ihm verbindet sich die klangliche Imagination stets mit maximaler Präzision, Tiefenstaffelung und Durchhörbarkeit; dafür ken(n)t man ihn eben. Und natürlich verschickt er auch bei Beethoven keine tönenden Kitschpostkarten from the countryside, sondern erzählt klangredend und mit klarer Struktur eine Abfolge von Empfindungen. Dass diese hier weniger idyllisch und munter klingen, als man das von anderen Dirigenten gewohnt sein mag, war wenig überraschend. Da hat die Szene am Bach mit ihren dialogisierenden Vogelrufen in den Holzbläsern wenig Verspieltes und auch die ländlichen Feierlichkeiten kommen eher unfolkloristisch daher. In der Gewittermusik greifen Dirigent und Orchester richtig in die Kiste und ein gewisser Nach-Klang, ein latent bedrohlicher Schatten dessen, will auch im ausgelassenen Finalsatz nicht völlig weichen. So ging der Kulturschock, wie so oft bei Nagano-Konzerten, aus dem Haus und dachte sich: Muss man nicht so machen, hat aber funktioniert…

Zwischen den beiden Schwergewichten nahm sich das Orchesterstück(chen) „Operascope“ von Unsuk Chin eher wie ein kurzer Einwurf aus. Beabsichtigt hat die Komponistin nach eigenen Worten eine Hommage an die italienische Oper… Wo sich in diesem orchestral großbesetzten, massiv dahinlärmenden Sechsminüter (!) eine solche verborgen haben soll, blieb dem Kulturschock ein Rätsel. Da werden weder Opernmelodien zitiert, noch folgt das Stück irgendeiner auditiv nachvollziehbaren opernähnlichen Dramaturgie; sechs Minuten nochwas bläser- und schlagzeuglastiges Getöse mit einem irgendwie drangeklebten Streicher-Ausklang. Wieso, warum, weshalb?

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

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