Bayerische Staatsoper: “Le nozze di Figaro” -1./12.11.2023

Kiffen und Lümmeln im Nirgendwo

Figaro hier, Figaro da, Figaro oben und Figaro unten… Man kann den umtriebigen (Ex)Barbier und Teilzeitrevoluzzer schon beim Wort nehmen in diesem Jahr; nicht nur an Donau und Salzach wurde die Geschichte seiner Hochzeit mit all ihren Hindernissen und Intrigen heuer neuinszeniert, sondern auch an der Isar. Und zwar gleich im Doppelpack: nach Josef E. Köpplingers Version im Gärtnerplatztheater zum Ende der letzten Saison legten nun die Kollegen der BSO nach und präsentierten das Stück als erste Saisonpremiere… Ey, Maestri, redet Ihr eigentlich hin und wieder miteinander? Dabei war ein neuer Figaro nun alles andere als eine Verschwendung, denn nach den beiden unterirdisch langweiligen, von Dieter Dorn bzw. Christof Loy verbrochenen, Vorgängerproduktionen konnte es eigentlich nur besser werden; eine durchaus komfortable Ausgangslage für den in Kasachstan geborenen Regisseur und BSO-Debütanten Evgeny Titov und sein Team.

Der große Wurf in Sachen Figaro-Inszenierung ist es, so viel gleich vorweg, auch diesmal nicht geworden, ein unterhaltsamer und kurzweiliger Theaterabend mit einigen hübschen Einfällen und einem sehr originell inszenierten Finalakt aber durchaus, und damit schon eine erhebliche Steigerung nach der szenischen Ödnis der letzten 26 (!) Jahre. Dennoch bleiben szenisch einige Fragen offen, darunter die, wo wir uns hier eigentlich befinden und jene, wie diese Community von Freaks zueinander steht; nicht gänzlich unwichtige Fragen. Die historisch wie räumlich kaum zu verortenden Bühnenbilder von Annemarie Woods, die auch die unbestimmt heutigen Kostüme entworfen hat, zeigen in den ersten beiden Akten eine Art heruntergekommener Industriearchitektur, nur einige verdreckte Stuckelemente deuten auf ein Schloß hin; nach der Pause befinden wir uns zunächst in einer Art 60er Jahre Chefbüro, als kleine Hommage an Anna Viebrock mit billigen Holzpaneelen verkleidet. Und dann, wenn der Zinnober nach oben weggezogen wird… öffnet sich ein Garten der besonderen Art, eine veritable Haschplantage. Sicherlich der knalligste und prägendste Einfall des Abends. Denn der Konsum weicher bis mittelharter Drogen scheint an diesem seltsamen Ort üblich zu sein: sowohl Susanna als auch ihre Chefin ziehen gerne mal einen durch, der Gärtner fuchtelt nicht wie sonst mit dem kaputten Blumentopf, sondern mit ramponierten Cannabispflanzen, und auch der Conte persönlich hat sein eigenes Beet auf dem Schreibtisch. Der Hans Söllner der Opernbühne? Nicht ganz, besser gesungen wird hier allemal. Ius primae noctis? Alter Hut! „Legalize Figaro!“ passt schon besser.

Frau Gräfin und Herr Graf im Giardino (Foto: Wilfried Hösl)

Und sonst? Als genuiner Schauspielregisseur konzentriert sich Titov auf die Personenführung, die auch durchgehend sehr lebendig gerät, Tempo und Timing passen, das sehr spielfreudige und überwiegend jung besetzte Ensemble zieht voll mit und setzt die Vorgaben engagiert um, Stehgesang oder antiquierte Operngestik finden nicht statt. Trotzdem offenbart die Inszenierung, abgesehen von besagter konzeptioneller Unschärfe, auch einige handwerkliche Schwächen, etwa wenn Personen wo auftreten, wo sich nach räumlicher Logik kein Auftritt befinden kann. An Einfällen mangelt es nicht, wohl aber an einer stücktragenden Grundidee, viele Ansätze und Ideen werden nicht weiterverfolgt und verläppern so im szenischen Nirgendwo. So steht in jedem Akt ein bizarres Möbelstück auf der Bühne, etwa ein thronartiger Sessel, der sich qua Hebelzug zum Lustmöbel umfunktionieren lässt, einen ganzen Kranz rotierender Dildos eingeschlossen, oder ein schweinchenrosafarbenes XXL-Flauschsofa zum Kiffen und Lümmeln im Gemach der Contessa… Leider bleiben diese weitestgehende Staffage und werden kaum bespielt; da hat die Regie definitiv etliches an Gagpotenzial liegen gelassen.

Ein großes Lob verdient sich die Sängerbesetzung; was sich schon bei der letztjährigen Così fan tutte abgezeichnet hat, verfestigte sich jetzt, nämlich, dass hier ganz offensichtlich wieder ein echtes Mozart-Ensemble auf sehr hohem Niveau heranwächst, bzw. aufgebaut wird, drei der Così-Solisten sind auch hier wieder zu erleben. Vor allem was das Dienerpaar Susanna und Figaro angeht, muss man schon einige Jahrzehnte zurückblättern, um eine ähnlich überzeugende Besetzung zu finden: Louise Alder vermag als Susanna ihre Fiordiligi vom letzten Jahr nochmal zu toppen, singt mit wunderbar sinnlich timbrierten, weich aufblühendem, und dabei perfekt fokussiertem Sopran und gibt der Rolle eine mitreissend selbstbewußte Sinnlichkeit und echten working class-Charme. Auf selbigem überragenden Niveau bewegt sich der Figaro von Konstantin Krimmel, der mit seinem vollmundig viril timbrierten, flexibel und leichtgängig geführten Bariton schon rein stimmlich eine Glanzleistung abliefert und einmal mehr seine Ausnahmestellung unter den Baritonen der jungen Generation demonstriert. Mit seinem fein ausdifferenzierten Vortrag verbindet Krimmel kämpferischen Gestus, Empathie, Furor, Impulsivität und Leidenschaft zu einem grandiosen Rollenporträt. Einen famosen Einstand als neues Ensemblemitglied – herzlich Willkommen! – feiert Avery Amereau, in der Così bereits als Dorabella am Start, nun als Cherubino. Sie nimmt den emotionalen erotischen Überdruck und die Emphase des dauerverliebten Pagen voll auf Lunge und brennt ein vokalsinnliches und -farbiges Feuerwerk ab, das unmittelbar mitreisst und berührt. Und das, obwohl sie ab dem Finale des ersten Aktes durch die von Figaro rasierte Glatze – Einmal barbiere, immer barbiere – und einen sackartigen olivgrünen Ganzkörperanzug optisch extrem verunstaltet agieren muss…

Zu dritt aufm Sofa: Avery Amereau (Cherubino), Louise Alder (Susanna) und Elsa Dreisig (Contessa) – Foto: Wilfried Hösl

Elsa Dreisig gilt derzeit als einer der führenden Mozart-Soprane, entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr Hausdebüt. Die Sängerin verfügt über eine attraktive, jugendlich-elegante Erscheinung und einen schlank geführten, höhensicheren Sopran von eher kühlem Timbre, was für die Partie der Contessa zunächst etwas gewöhnungsbedürftig anmutet, da hat der Kulturschock durchaus etwas das vokale Farbenspektrum großer Rollenvorgängerinnen vermisst. Gestalterisch gelingt ihr hingegen ein sehr spannendes Rollenporträt; diese Contessa ist alles andere als Grande Dame oder aristokratische Dulderin, sie ist der Eskapaden ihres Gatten offensichtlich in höchstem Maße überdrüssig und wahrt sie erst im letzten Moment noch die Contenance oder greift zu Übersprungshandlungen wie dem Malträtieren des besagten Flauschsofas. Der zweite prominente BSO-Debütant war der medial zuletzt schwerst gehypte Huw Montague Rendall. Trotz eines schönen und kultivierten Vortrags war er eindeutig der Schwachpunkt im Ensemble. Zum einen fehlt ihm für diese Partie Stimmvolumen und Durchschlagskraft für ein Haus dieser Größenordnung, zwischen den beiden Vorstellungen hatte er hörbar noch abgebaut. So konnte er auch nicht die charakterliche Dominanz des Provinz-Potentaten entwickeln und blieb in dieser Vorzeige-Macho-Partie doch einiges schuldig, wer dieser Freak im enggeschnittenen Anzug und mit blondierter Bombenlegerfrisur eigentlich sein soll, übersetzt sich nicht.

Dorothea Röschmann als Marcellina und Sir Williard White als Bartolo betreiben mittlerweile ihre stimmliche Resteverwaltung mit Charme und einer sympathischen Portion Selbstironie, Tansel Akzeybek und der am zweiten Abend eingesprungene Thomas Ebenstein sangen den intriganten Basilio mit ausgesuchter Hinterfotzigkeit, Martin Snell (Antonio), Kevin Conners (Don Curzio) und Erin Rognerud (Barbarina) ergänzten das Ensemble.

Amouröse Verwirrspiele: Figaro (Konstantin Krimmel) und Susanna (Louise Alder) – Foto: Wilfried Hösl

Nicht gänzlich unumstritten war das Dirigat von Stefano Montanari, der eine oder andere der Münchner Großkritiker monierte eine oberflächlich nivellierende Lesart und „wieder einen dieser Presto-Presto Mozarts“ . Einspruch, Euer Ehren! Eine Kritik, der sich der Kulturschock definitiv nicht anschließen kann; im Gegenteil. Natürlich wirft Montanari, wo es angebracht ist, den Turbo an und gibt der Musik einen spritzigen, energiegeladenen Grundgestus und komödiantischen Wirbel; das wirkt aber nie gehetzt oder aufgesetzt, zumal der aus der Alte Musik-Szene stammende Dirigent auch immer wieder brillant mit dem Tempo spielt, raffiniert verzögert und den Affekten seiner Protagonisten Raum zur Entfaltung gibt. Spannend und ohne Durchhänger gestaltet er auch die Rezitative vom Hammerklavier aus und ohne Continuogruppe, die Anschlüsse zwischen Rezitativen und Arien sitzen und korrelieren sinnstiftend mit dem Textinhalt – Vom Kulturschock gibts ein fettes BRAVO!

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

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