Aalto-Theater Essen: “Fausto” – 9.3.2024

Ein Faust hat es auf jeden Fall sein müssen in dieser ersten eigenverantwortlich geplanten Saison der neuen Intendantin Merle Fahrholz, einer Saison, deren Premierenreigen mit Macbeth begonnen hat und im Juni mit Wozzeck enden wird. „Literaturoper rules!“ heisst also die Devise und eine der diversen Opernvarianten des immer noch populärsten Stückes deutscher Dichtung macht sich in solchem Programmumfeld natürlich bestens. Aber welche, das war nun die Gretchen-Frage… Gounod? Berlioz? Boito? Oder gar Busoni? Och nö, das machen ja schon die anderen beizeiten. Eine neue alte Vertonung musste her und so wurde der 1831 in Paris uraufgeführte Fausto von Louise Bertin aus der Versenkung gezogen und auf den Spielplan befördert, zum ersten Mal seit der Premiere. Der war nicht nur die erste Veroperung des Stoffes überhaupt, sondern auch die einzige, die noch zu Goethes Lebzeiten entstand und schließlich die allererste von einer Frau komponierte Oper, die an der Pariser Accadémie Royale, also der Opéra, aufgeführt wurde. Mehr Seltenheitswert geht kaum und die Raritätenjäger und -sammler buchten in hibbeliger Vorfreude die Tickets in den Ruhrpott.

Spiel, Satz und Sieg? Mefistofele und Fausto beim Sport (Foto: Forster)

Und? Ist der geneigten (Opern)welt mit Fausto die letzten knapp zwei Jahrhunderte etwas entgangen? Dies zu behaupten wäre eine ziemlich steile These, über manche Werke ist die Musikgeschichte doch mit einer gewissen Berechtigung hinweggezogen. Natürlich tut man keiner Oper einen Gefallen, wenn man sie mit Goethes opus magnum vergleicht, aber was Bertin in ihrem selbst in italienischer Sprache verfassten Libretto zusammengekocht hat, sorgt nicht nur bei studierten Germanisten für innere Schmerzensschreie, viel kruder lässt sich die Vorlage kaum verwursten. Das war echt Fack ju Göthe, nur halt von vor 134 Jahren. Und wirklich ernst gemeint. Das faustische Prinzip, die selbstquälerische Sucht nach Erkenntnis und Einblick in die Natur der Welt, findet hier praktisch nicht statt, der Teufelspakt dient einzig und allein äußerlicher Verjüngung und amouröser Triebabfuhr. So weit, so flach. Natürlich folgt die Handlung im Großen und Ganzen der bekannten Geschichte und der Text ist durchsetzt mit übersetzten Originalzitaten, ansonsten aber sind die Parallelen minimal. Dazu kommt eine Musik, bei der man ständig den imaginären Hut ziehen möchte, um die vielen Bekannten zu grüßen, die durch die Partitur vagabundieren: Weber, Berlioz, Rossini, Bellini, Mozart, Beethoven… Da ist nahezu alles, was seinerzeit prominent und beliebt war, liebevoll adaptiert, oder, weniger nett ausgedrückt, ungeniert zusammengeklaut worden. So ereignet sich das Paradox, Fausto nie zuvor gehört zu haben, aber zugleich irgendwie doch.

Fausto (Mirko Roschkowski) und Margarita (Jessica Muirhead im Clinch – Foto: Forster

Wie inszeniert man das? Naheliegend wäre gewesen, das Ganze zu einer grellen Revue und Rocky Horror Goethe-Show zu vertrashen. Tatiana Gürbaca wählte für ihre Regie die seriöse Variante und lässt die Geschichte ohne große Bühneneffekte, aber auch größtenteils frei von Leerlauf in einem geschmackvoll modernen Ambiente ablaufen. Marc Weegers Bühnenbild besteht aus einem eleganten Klinik- oder Laborambiente, das sich im zweiten Teil auf einen minimalistisch möblierten und eher unspezifischen Raum ausweitet, ein in einer Glasvitrine wachsender Baum symbolisiert offenbar ein domestiziertes Verständnis von Natur und dient, ganz praktisch, als Reservoir diverser Requisiten. Volk und Protagonisten sind von Silke Willrett als heutige Normalos durchaus farbig kostümiert, für die Lichtregie sorgt einmal mehr der bewährte Stefan Bolliger. Die Personenregie ist lebhaft und ungestelzt natürlich, deutende Einfälle eher sparsam dosiert; so erhebt sich die eingangs von Faust sezierte Leiche vom Tisch und entpuppt sich als Mephisto.

Die größte gesangliche challenge ist die Titelpartie, die zwischen sehr hohen und baritonal tiefen Passagen wechselt, bzw. sich in einer technisch äußerst knifflig zu bewältigenden Übergangslage abspielt; das wäre ein Fest für Michael Spyres. Den gibt das Essener Budget natürlich nicht her, aber Mirko Roschkowski ist weit mehr als eine Verlegenheitsbesetzung. Die Stimme mag nicht das edelste und betörendste Timbre haben, aber technisch bewältigt er nach kurzer Anlaufzeit die Tücken der Partie sehr respektabel und durfte sich entsprechenden Applaus abholen. Noch mehr Zustimmung erntete Jessica Muirhead als Margarita, die im Quartett im ersten Akt mit Virtuosität und nach der Pause in ihrem Monolog und in der Finalszene mit warm schimmernder Mittellage und innigem Ausdruck punkten konnte. Dagegen ist Mephisto bei Bertin als Rolle wesentlich weniger dankbar als etwa bei Gounod oder Boito, eine große spektakuläre Arie wie bei den männlichen Kollegen hat sie dem Teufel nicht gegönnt, der folglich seine Intrigen in Form ausgedehnter Rezitative spinnen muss. Publikumsliebling Almas Svilpa macht das gewohnt klangvoll, markant und in sich ruhend, nur hin und wieder lässt er Schalk oder Boshaftigkeit hinter der nerdigen Fassade aufblitzen.

Ausgezeichnet besetzt sind auch die kleinen Partien, allen voran George Vîrban, der als Valentino mit strahlendem Tenor und sympathisch burschikosem Spiel einen kurzen, aber prägenden Auftritt hinlegt, aber auch Juliia Kukhar als Cristina, Baurzhan Anderzhanov als Wagner und Natalija Radosavljević als Hexe und Marte überzeugen.

Andreas Spering am Pult der Essner Philharmoniker kredenzt Bertins Kompositionscocktail mit ruhiger Hand und vollmundigem, gelegentlich eine Spur zu kompaktem, Orchesterklang.

Fazit: ein Opernabend der Kategorie “Jetzt hat man es auch mal gehört”.

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

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