Aalto-Theater Essen: “Aida” – 7.3.2024

Trash und Trance im Wüstenstaat

Die Hilsdorf-Aida ist zurück am Aalto-Theater

Verdis Aida gehört bekanntlich weltweit zu den meistgespielten Opern überhaupt; da müsste doch eigentlich die eine oder andere gelungene Inszenierung dabei sein? Keineswegs! Um es ganz klar zu sagen: in über vierzig Jahren Opernrezeption hat der Kulturschock eine einzige erlebt, die dem Werk wirklich gerecht geworden ist. Genau diese jenige nämlich, die Dietrich W. Hilsdorf 1989 am Essener Aalto-Theater inszeniert hat. Seinerzeit entzündeten sich an seiner geradlinigen, präzisen und vollkommen unverkitschten Regiearbeit noch veritable Saalschlachten, der Begriff „Wutbürger“ existierte zwar noch nicht, jener Menschenschlag hingegen sehr wohl… Und nun, 35 Jahre (!) später ist die Produktion längst Kult, we call it a Klassiker.

Foto: Aalto-Theater Essen

Auch wenn die Inszenierung nicht mehr ein Schlag in die Magengrube ist wie damals und sich einige Details durch die diversen Wiederaufnahmen und Neubesetzungen ein wenig abgeschliffen haben, so ist eine gepflegte Ganzkörpergänsehaut doch nach wie vor garantiert; auch ein Verdienst von Marijke Malitius, die diese Wiederaufnahme szenisch geleitet und Hilsdorfs Regie in alter Frische ins Heute transferiert hat.

Hilsdorf zeigt in den zwingend minimalistischen, zentralperspektivisch konzipierten Bühnenräumen von Johannes Leiacker die klaustrophobische, liebesfeindliche Atmosphäre eines theokratisch-autoritären Staates im Würgegriff des militärisch-industriellen Komplexes unter Führung einer „priesterlichen“ Machtelite, in dem der König als nominelles Oberhaupt bestenfalls ein Edelstatist ist. Mit präzise gearbeiteter Personenregie und eindrucksvollen Bildern macht Hilsdorf die Charaktere mit ihren Emotionen und unheilvollen Verstrickungen gnadenlos kenntlich. Der Werkdramaturgie folgend kulminiert die Konzeption in der Triumphszene, in der sich die Staatsmacht mit allem Pomp abfeiert, mit plärrenden Lautsprecherdurchsagen und dem Tanzduo The Memphis Twins wird der Menge – dem Publikum und dem im Oberrang postierten Chor – propagandistisch eingeheizt bis an den Rand der Trashigkeit. Diese gnadenlose und bitterböse Demaskierung einer totalitären Inszenierung wurde – wen wunderts? – seitdem von einigen Kollegen zu kopieren versucht, aber nie erreicht. Dennoch bildet das Schlußbild den absoluten Höhepunkt: kaum ist Amneris mit ihrem letzten Spitzenton von Ramfis brutal rausgezerrt worden, werden auf der linken Bühnenseite sämtliche ca. zwanzig Türen zugeknallt, la fatal pietra mal anders… Aida und Radamès finden sich nun im Zeittunnel wieder, dessen Linien sich wie in einer liegenden Pyramide nach hinten verengen. Das ist nicht weniger als ikonographisch und die eindrucksvollste Jenseitsillustration, die der Kulturschock jemals auf einer Bühne gesehen hat.

Musikalisch bleibt die Aufführung leider ein wenig hinter der Klasse der einen oder anderen vorherigen Wiederaufnahme zurück. So vermag der neue, seit dieser Saison amtierende Chefdirigent Andrea Sanguineti die Interpretation seines Vor-Vorgängers Stefan Soltesz nicht vergessen zu machen. Zwar bieten die Essener Philharmoniker auch unter seiner Leitung einen klangsatten und gepflegten Verdi-Sound, dramatische Höhepunkte wie Aidas Begnung mit ihrem Vater, das Finale des Nil-Aktes oder die Gerichtsszene setzt Sanguineti präzise und mit großer Intensität, da ist wirklich große Oper geboten. Daneben unterlaufen ihm aber auch immer wieder gewisse Spannungslücken, in denen der orchestrale Energielevel und die musikalische Linie plötzlich absinken, leider vorzugsweise in den leisen und intimen Momenten der Oper.

Sängerisch wird der Abend vor allem von Amneris und Radamès geprägt. Bettina Ranch ist mit ihrer roten Glamour-Robe und blondem Wallehaar eine echte Diva von hollywoodesker Schönheit, wie soeben vom roten Teppich herbeigeschwebt, und sie wirft sich in die Rolle als gebe es kein Morgen… dass sie in der Gerichtsszene noch etwas an stimmliche Grenzen stösst, geschenkt. Ihr hell timbrierter und betont schlank geführter Mezzo konterkariert spannungsvoll die gängigen Rollenklischees, ein emotional jederzeit berührendes Rollenporträt. Gianluca Terranova, seit der Norma an selbiger Stätte aufs Rollenfach Macho mit Grandezza gebucht, besang seine Celeste Aida eingangs noch als Kaltstart mit latent enger, etwas gepresster Tongebung, hatte sich aber bald freigesungen und bot mehr als nur soliden italienischen Tenorgesang mit viel Glanz, Stilgefühl und stimmlicher Präsenz; nicht zum ersten Mal wundert man sich, warum die großen Häuser diesen Sänger bislang ignorieren.

Neu im Ensemble des Aalto-Theaters ist Astrik Khanamiryan, die außer der Aida in dieser Saison noch ihre Rollendebüts als Lady Macbeth, Tosca und Amelia gibt. Ob diese stimmliche Radikalkur eine gute Idee ist, muss die Künstlerin natürlich selbst wissen, aber das recht starke Vibrato, das sie erst gegen Ende einigermassen unter Kontrolle bekommt, weckt gewisse Bedenken. Davon abgesehen besitzt sie einen voluminösen, eher dunkel timbrierten Sopran von durchaus individuellem Charakter, der stilistisch noch ein wenig Feinschliff vertragen könnte.

Den Amonasro gibt Aalto-Urgestein Heiko Trinsinger mit ausladendem Bariton und eher hemdsärmeligen Spiel, Sebastian Pilgrim beeindruckt als Ramfis leider nur mit seiner Türsteher-Statur, während sein kraftvoller Bass arg ungepflegt klingt und die italienischen Phrasen zu einem ungenießbaren Vokalbrei zerkaut. Da wäre ein Rollentausch mit dem sonor und schön auf Linie singenden König von Baurzhan Anderzhanov wünschenswert gewesen. Untadelig singen Albrecht Kludszuweit als Bote und Nataliia Kukhar als Priesterin, nicht zu vergessen der Chor und Extrachor des Aalto-Theaters in der Einstudierung von Klaas-Jan de Groot und die Memphis Twins Isabel Bromm und Julia Schalitz.

Alle Vorstellungen waren komplett ausverkauft, die Begeisterung des Publikums groß und einhellig, wer hätte das seinerzeit gedacht?

Gehabt Euch also wohl und hört noch was Schönes,

Euer Fabius

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