Bayerische Staatsoper: “Mefistofele” – 24.10./1.11.2015

Der Teufel trägt nicht Prada

Die Nacht der Nächte, Walpurgisnacht. Hexenspuk, Teufelstanz und Erscheinungen, wohin man schaut. Halloween? Brauchen wir nicht, wer in die Oper geht, ist das ganze Jahr von seltsamen Gestalten umgeben… An der BSO jedenfalls wird auch in Sachen Grusel nicht gekleckert, sondern geklotzt und statt irgendwelcher Schrumpelhexen vom Wühltisch schickt man gleich den Höllenfürsten persönlich auf die Bretter, die nicht nur die Welt, sondern auch und vor allem die Unterwelt bedeuten. Und zwar in der Version von Arrigo Boito, jenem revoluzzernden Universalkünstler, der heute in erster Linie als Librettist von Otello und Falstaff bekannt ist. 1868 hat sich jener Boito, Komponist, Dichter, Publizist und im Nebenberuf zeitweise Frontmann einer Künstlergruppierung namens “Scapigliatura” (Die Ungekämmten), erstmals Goethes Ideendrama Faust vorgeknüpft, nach größeren Umarbeitungen kam das Ergebnis schließlich 1875 in der heute bekannten Gestalt ans Bühnenlicht. Faust und Gretchen, auf Italienisch natürlich Margherita genannt, treten natürlich auch hier auf, doch der unumstrittene Protagonist ist lo spirito che nega sempre, der Geist der stets verneint, Mephisto persönlich, Herrscher der Hölle und der nachtschwarzen Baßtöne. Der ganze Faust hat es schon sein müssen, der Tragödie erster und zweiter Teil, librettistisch verhackstückt zu einer dramaturgisch locker gefügten Szenenfolge, einem Stationendrama nach Goethe, in dem kein Stein auf dem anderen bleibt, auch wenn der Autor an nicht wenigen Stellen dessen Originaltext in wörtlicher italienischer Übersetzung verwendet. Fack ju Göthe sozusagen, nur schon etwas älter und etwas anders.

Diese Oper steht im italienischen Repertoire alleine da, hat eigentlich keine erkennbaren Vorbilder und erst recht keinen Nachfolger, sie ist erfrischend größenwahnsinnig und bemerkenswert unbedarft. Das gilt nicht nur für das Libretto, sondern in noch stärkerem Maße für die Musik, die auf geradezu abenteuerliche Weise zwischen Genie und Wahnsinn changiert, mal kompromisslos modern, dann wieder hilflos überfordert klingt. Sie ist schräg und originell, besitzt absolute Geistesblitze, aber auch kompositorische Ungeschicklichkeiten, ambitioniert und auf hohem Niveau dilettantisch zugleich.. Irgendwie wundert es einen nicht, dass dies Boitos einzige vollendete Oper geblieben ist, während alle anderen Versuche irgendwann in der Ablage gelandet sind.

Kein Selbstläufer, das versteht sich. Hier muss man sich schon wirklich etwas einfallen lassen, nicht nur szenisch, sondern auch hinsichtlich des von Boito beabsichtigten Raumklangs; etwa im Prolog, wo der Komponist nicht nur die Position jeder einzelnen Fanfare hinter der Bühne festlegt, sondern auch die Chöre zwanzig Minuten aus dem Off singen läßt… Ein Ding der Unmöglichkeit, damals sowieso und auch heute nicht ganz ohne. Gesamtkunstwerk auf Italienisch, es muss weitergedacht, ja eigentlich das Stück neu erfunden werden. Mit anderen Worten: kann nicht jeder. Komplettes Neuland, nicht nur für das Haus, sondern auch für alle Beteiligten und vermutlich auch für die allermeisten Zuschauer. Deren Applaus galt denn auch in erster Linie ihren jeweiligen Lieblingssängern, das Werk an sich wurde in vielen Pausengesprächen dagegen nur mäßig enthusiastisch aufgenommen; siehe oben.

Mefistofele c) C. Tandy (1)Flammende Begierde: Faust (joseph Calleja) und Margherita (Kristine Opolais) – Foto: Charles Tandy

Dabei ist in dieser ersten Neuproduktion der Saison für Auge und Ohr einiges geboten; „Schont Prospekte nicht und nicht Maschinen“ fordert schon Goethes Theaterdirektor und Regisseur Roland Schwab ließ sich das nicht zweimal sagen und entfesselte, vor allem vor der Pause, im wahrsten Sinne des Wortes ein Höllenspektakel. Als szenischen Rahmen für den ganzen Abend hat Bühnenbildner Piero Vinciguerra einen röhrenartigen Raum aus gebogenen Metallskeletten entworfen, eine Mischung aus Blade Runner und Götz Friedrichs berühmtem Zeittunnel in dessen Berliner Ring-Inszenierung; eine düstere, schwarzgraue und technisch kalte Ansicht der Welt und ein prägnantes Spielfeld für den teuflischen Verführer. Denn der führt Regie an diesem von punkigen Groupies bevölkerten Unort, lässt die Protagonisten und das Nebenpersonal nach seiner Pfeife tanzen. Dieser Teufel trägt nicht Prada, sondern pflaumenfarbenen Anzug von der Stange und modische Undercut-Frisur (Kostüme: Renée Listerdahl), immerhin raucht er Shisha und trinkt Champagner aus der Flasche, das ist doch schon mal ein guter Anfang… Als böser Dämon kommt er nicht daher, eher als routinierter und in der Erscheinung leicht abgeranzter Entertainer und Spielleiter, der auch den Kampf um Faustens Seele sportlich nimmt und seine Entourage zur Kinostunde im Clubsessel um sich schart um einen schwarz-weiß-Film (Video: Lea Heutelbeck) anzuschauen, in dem John Lennon zusieht wie ein Flugzeug auf das New Yorker Dakota Building zurast; kurz vor dem Absturz macht Mefistofele das Jettatore-Zeichen und stoppt das Programm, um sich verwackelten Handkamera-Szenen aus der Unterbühne zuzuwenden… Sicherlich die kryptischste Szene der Inszenierung. Ansonsten wird mit Aktion und Aktionismen nicht gegeizt und beinahe der gesamte Musterkoffer des Regietheaters ausgepackt, inklusive einer zünftigen Walpurgisnacht im Fetischclub mit Lack, Leder und Pyrotechnik. Das ist nicht immer klischeefrei, aber flockig und professionell inszeniert; ein Abend, der szenisch durchaus Drive und gutes Timing hat und nicht langweilig wird. Dass die Sache nach der Pause zunehmend verflacht, liegt zumindest mit am Stück. Die Idee, die stilistisch ohnehin sehr seltsame, „Klassische Walpugisnacht“ betitelte Arkadien-Fantasie als Imagination des alten Faust in ein Pflegeheim zu verlegen, wo der Held zwischen weggetretenen Zombies noch die Energie findet, die attraktive Pflegerin, die trojakriegstraumatisierte Helena, anzugraben, mag nicht die neueste sein, funktioniert aber. Verschenkt ist lediglich der Schluß, bei dem nicht gänzlich klar wird, welcher der beiden Fiktionsebenen er zugehört. Insgesamt hätte man sicher aus dem Stück noch etwas mehr machen können, für eine gut ansehbare und repertoiretaugliche Regiearbeit hat es aber auf jeden Fall gereicht.

12065888_10153662119263794_563077662660251006_nGelöste Stimmung nach dem Teufelswerk: René Pape, Kristine Opolais, Omer Meir Wellber und Joseph Calleja (Foto: Wilfried Hösl)

Omer Meir Wellber am Pult versucht gar nicht erst, die stilistischen Brüche der Partitur zu glätten oder zu relativieren, ganz im Gegenteil: er nimmt Boitos krude Musik mit all ihren Widersprüchen und Kanten voll auf Lunge und erlegt sich keinerlei falsche Zurückhaltung auf. Vor allem die Chorszenen rauschen und donnern mit größtmöglicher Klangentfaltung vorüber, Sakral- und Infernalgesang in Cinemascope, nicht anders ist das gemeint, im ewigen Kampf zwischen Gut und Böse wird sich nichts geschenkt und mit den harten Bandagen agiert. Umso berührender gestaltet Wellber mit dem hochkonzentrierten Staatsorchester die lyrischen Ruhepunkte und psychologischen Innenansichten der Figuren, lässt die Kantilenen wunderbar aufblühen und gibt den Melodien, bzw. Melodiefragmenten, musikantischen Kern und betörenden Schmelz. Auch der, wiederum herrlich hybride, Schlußgesang Fausts mit dem gesamten Chor setzt nochmal einen mitreissenden Schlußpunkt. Der von Sören Eckhoff einstudierte Staatsopernchor zeigte sich in bester Spiel- und Singlaune; ohne einen wirklich guten Chor ist diese Oper auch nicht machbar. Einzelne kleine Abstimmungsprobleme am Premierenabend verschwanden im Laufe der Serie, lediglich die Balance der eingespielten Chorpartien mit dem Orchester im Prolog ist alles andere als optimal gelöst; zumindest wenn man dem Ganzen von der Galerie aus beiwohnt…

Mefistofele R. Pape Ensemble c) C. TandyTeuflisch gut: René Pape in der Titelpartie (Foto: Charles Tandy)

Eine Reise ins Unbekannte bedeutet diese Produktion nicht nur für Dirigent und Regie, sondern auch für die Sänger, die durch die Bank weg erstmals in diesen Partien zu erleben sind. Mit besonderer Spannung erwartet wurde René Pape in der Titelpartie, der sich am Ende zu Recht begeisterten Zuspruch abholen durfte. Den Vorgaben der Regie folgend betont Pape in seiner Darstellung eher die nonchalante als die dämonische Seite der Partie, bewegt sich in Himmel, Hölle und Erde gleichermaßen souverän und mischt draufgängerischen Charme mit latenter Melancholie; das Diktum vom Geist der stets verneint erfüllt Pape sehr suggestiv und glaubwürdig, ohne aufgesetztes Augenrollen und andere Übertreibungen. Auch stimmlich vermag der Sänger fein zu differenzieren, mit seinem volltönenden und betörend cremig timbrierten Baß lotet er die Vielfalt an Klangfarben und Stimmungen, die die Partie bietet, beeindruckend aus, legt Autorität, Brutalität, Ironie, schmeichelnde Verführung und lakonische Schärfe in seine Stimme. Sympathy for the Devil? – Bei Pape auf jeden Fall! Dabei fühlt er sich in den herrlich klangsatten mittleren und tiefen Lagen hörbar wohler als in den hohen, wo sich die Stimme zuweilen leicht entfärbt. Am zweiten Abend, der insgesamt dritten Vorstellung der Serie, klangen nicht nur diese Passagen deutlich angestrengter; vielleicht hatte der Künstler mit einer nicht angesagten Indisposition zu kämpfen?

Dafür dass das teuflische Prinzip nicht unangefochten regierte, sorgte Joseph Callejas Faust als beeindruckender tenoraler Gegenspieler. Hier hat der maltesische Startenor zweifellos eine neue Glanzrolle gefunden, die seinem stets offenen, strahlkräftigen Tonansatz ebenso zugute kommt wie der unverwechselbaren Stimmfarbe. Mit viel tenoralem Glanz und geradezu verschwenderisch verströmtem Pathos geht Calleja ans Werk, weiss aber auch vom Gaspedal zu gehen wo nötig und die beiden so gegensätzlichen Inkarnationen der holden Weiblichkeit mit zartem Vokalschmelz zu umschmeicheln. Nur ein Regisseur, der ihn zum Spielen, oder zumindest einer Andeutung davon, animieren kann, der muss wohl noch geboren werden; mehr als breitschultriger und -beiniger Stehgesang ist auch diesmal nicht geboten. Alles kann man nicht haben? Kann man wohl.

Mefistofele J. Calleja c) W. Hösl

Starkes Debüt: Joseph Calleja als Faust (Foto: Wilfried Hösl)

Weit weniger Fortune hatte man dagegen bei der Besetzung der beiden Sopranpartien. Vor allem der Auftritt von Kristine Opolais als Margherita erwies sich, nicht zum ersten Mal, als problematisch. Darstellerisch gewohnt eindringlich, gestaltet sie im dritten Akt ein beeindruckendes Porträt der traumatisierten Doppelmörderin. Stimmlich dagegen scheint der Zerfallsprozess kaum noch aufzuhalten und ab einem gewissen Punkt kann auch eine noch so starke Rollengestaltung das zunehmend ausgesungen und brüchig klingende Material nicht mehr kaschieren. Zwar schafft sie es gerade noch, in der berühmten Arie „L’altra notte in fondo al mare“ die vokalen Bestände noch einigermaßen zu bündeln, aber insgesamt gibt der stimmliche Zustand zu Besorgnis Anlass und die Vorfreude auf ihre Mitwirkung an der Festspielpremiere im kommenden Sommer hält sich momentan in Grenzen. Aber auch die Hausdebütantin Karine Babajanyan als Elena vermag trotz ihres sinnlich dunklen Timbres nicht zu überzeugen, Intonation und Technik ließen doch einiges zu wünschen übrig.

Unter den Comprimarii stach der schönstimmige Wagner von Andrea Borghini hervor, gefolgt von Rachael Wilson als Pantalis und Joshua Owen Mills als Nerèo, während Heike Grötzinger als Marthe eher schrillscharfe Mezzotöne beisteuerte.

Nun ist Mefistofele also auch am Max Joseph-Platz angekommen; ein Triumph war es nicht, ein Erfolg aber auf alle Fälle, auch das Regieteam wurde mit großer Mehrheit freundlich empfangen.

Weitere Vorstellungen am 6., 10. und 15. November, die vom 15.11. wird auf http://www.staatsoper.de im Livestream übertragen.

One thought on “Bayerische Staatsoper: “Mefistofele” – 24.10./1.11.2015”

  1. Hallo Fabian, wieder mal auf den Punkt getroffen! Allein die Sprache ist für mich jedesmal ein Genuss! L.G Evi.

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