Oper Köln: “Die Gezeichneten” – 18.5.2013

Franz Schrekers Die Gezeichneten – da war doch mal was? Und wie! Am 18. Dezember 1987 hatte das Werk an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf Premiere… Sorry, liebe Kölner, daß ich das gleich eingangs erwähnen muss, aber jene Produktion, und ich bin in jede mir zeitlich mögliche Aufführung davon gegangen, hat mich künstlerisch, emotional und überhaupt begeistert und geprägt wie nur wenige Opernabende überhaupt. Das Orchester unter Hans Wallat, die atemberaubende Musik Schrekers, die Inszenierung von Günter Krämer und nicht zuletzt Trudeliese Schmidt, William Cochran und Sigmund Cowan in den Hauptrollen… eingebrannt auf der seelischen Matrix bis zum jüngsten Tag. Oder anders ausgedrückt: bei diesem Stück liegt die Messlatte sehr, sehr hoch. Und, ja, ich bin süchtig nach Schreker.

Die Oper spielt offiziell im Genua der Renaissance. Das muss man nicht zwingend so inszenieren, sollte es aber im Hinterkopf haben. Um was es wirklich geht? Um den zerstörerischen Dualismus von Schönheit und Häßlichkeit, um Kunst, Sehnsucht, Begehren, Obsessionen, Triebe und sexuelle Gier. Aber auch übersteigerte Sensibilitäten, Wahn, Psychosen und Komplexe, um Selbstverwirklichung und -zerstörung, Lebens- und Todestrieb, das Vitale, das Kranke und das Abartige. Oder wie es im Stück als Motto formuliert wird: “Die Schönheit sei Beute des Starken!”.  Na, wenn es weiter nichts ist… damit kann man doch schon mal einen Abend verbringen. Dazu eine Musik, die affektgesättigt ist bis zum Geht-nicht-mehr, die glüht und funkelt, perlt und dräut, die zwar sämtliche zeitgenössischen Idiome der Jahrhundertwende kennt und doch eine ganz eigene und unverwechselbare Klangsprache und -struktur entwickelt, in allen Farben malt und in jedem Takt ins Zentrum geht. Hier kommt alles zur Sprache, die Schönheit und der Schrecken, die tiefsten Abgründe der Existenz; dazu entfaltet die Partitur eine schwüle Sinnlichkeit, neben der sich Strauss’ Salome ausnimmt wie ein Kindergeburtstag. “Schreker-Zauber” eben, die Faszination des Absonderlichen. Das muss man erstmal so realisieren und dirigieren können…! Und die szenischen Anforderungen sind kaum geringer, nicht nur das zerstörerisch-obsessive Dreiecksverhältnis der Protagonisten Alviano, Carlotta und Tamare muss zwingend herausgearbeitet werden, auch das schönheitstrunkene künstliche Eiland “Elysium”, das der hässliche Krüppel Alviano erdacht und errichtet hat, muss optisch Gestalt annehmen und neben der musikalischen Imagination bestehen können. Auch wenn am Ende  zwei der drei Hauptpersonen tot und die dritte wahnsinnig sind, darf man das Stück nicht auf einen shabby little shocker reduzieren, hier geht es auch für den Regisseur um alles.

Nun ist die Kölner Oper wegen Grundsanierung des Stammhauses derzeit ausgelagert und an diversen Ausweichspielstätten im ganzen Stadtgebiet unterwegs; ein Handicap und eine Chance zugleich. Die Gezeichneten finden im “Palladium” statt, einer renovierten Fabrikhalle in einem nördlichen Vorort, in Bauweise und Grundriss der Bochumer Jahrhunderthalle vergleichbar, nur erheblich kleiner. Patrick Kinmonth, bereits als Ausstatter für Robert Carsens Ring-Inszenierung in Köln tätig, hatte diesmal auch die Regie übernommen. Dabei hat er eine durchaus originelle und sinnfällige Lösung gefunden, den außergewöhnlichen Raum zu bespielen: das Publikum sitzt auf zwei gegenüberliegenden Tribünen auf beiden Seiten der Spielfläche, man geht also quasi durch das Bühnenbild zu seinem Platz und hat, zumindest in den unteren Reihen, das Gefühl, mitten auf der Bühne zu sitzen. So nah am Geschehen wie es nur geht, das sind fast schon Mitmach-Plätze. Da “naturbelassen” und unplugged gesungen und musiziert wird, muss man sich etwas in die Akustik einhören, das Orchester kommt von einer Seite (zwischen den Tribünen) und wenn ein Sänger herumgeht oder den Kopf dreht, ändert sich natürlich der Klang… und wenn ein ausgewachsener Heldentenor wie Stefan Vinke drei Meter vor einem steht und schmettert… Gänsehaut pur. Das ist zweifellos ein Pluspunkt von Kinmonth’ Inszenierung. Der zweite ist die dichte, intensive und doch natürliche Personenführung; da steht niemand blöd in der Gegend rum, die Charaktere sind plastisch und glaubwürdig gezeichnet, es gibt weder Löcher noch Übertreibungen. Weniger überzeugend geriet allerdings seine Sicht auf das Stück selbst, welches er auf einer Art Schrottplatz spielen läßt. Ein Haufen Autowracks säumen den Schauplatz, mitten drin zwei erhöhte Glaskabuffs, eines dient Alviano, dem Hausherren und Inhaber dieses Un-Ortes, als Büro und Behausung, das andere Carlotta als Atelier und Boudoir. Prinzipiell ist gegen die Erfindung dieser Rahmenhandlung, bzw. zweiten Ebene wenig einzuwenden, der mißgestaltete und grämliche Mechaniker Alviano träumt sich hinein in eine Welt der verschwenderisch-sinnlichen Schönheit und trägt den stückimmanenten Kampf des Hässlichen in einer schönheitssüchtigen Welt in sich aus. Leider ist Kinmonth diese Synthese szenisch nicht gelungen, beide Ebenen laufen komplett nebeneinander her, im Grunde wird nicht eine Geschichte erzählt, sondern zwei verschiedene. Die vielen losen Enden des Geschehens kann der Regisseur nirgends wirklich sinnstiftend verbinden. Das Ergebnis ist leider ein szenisches Kuddelmuddel, in dem außer Alviano himself alle Beteiligten mal heutig und mal historisch gewandet auftauchen. Insbesondere der dritte Akt, der auf besagtem künstlichen Eiland spielt, geht hier überhaupt nicht mehr auf, weder die improvisierte Kunstausstellung auf dem Schrottplatz noch der “Tatort”mäßige Aufmarsch von Polizei und Sanitätern mit Absperrbändern am Schluß sind adäquate Lösungen. Schade, da war nicht nur das Konzept wackelig, es wurde auch nicht zuende gedacht und gearbeitet.

Eine gewisse Themaverfehlung leistete sich auch GMD Markus Stenz am Pult des Gürzenichorchesters. Rein kapellmeisterlich war ihm wenig vorzuwerfen, der Orchesterklang war homogen, geschmeidig und phasenweise von betörendem Wohlklang, eine gewisse Flachheit und mangelnde Tiefenschärfe dürften der speziellen Akustik geschuldet sein. Was in Stenz’ Lesart hingegen komplett fehlte, war die klare Kante, die Schroffheiten und Brüche der Musik, aber auch das Narkotische und Unbedingte. Gerade an den Kulminationspunkten, den triebhaften Momenten des Wahnsinns und der Exaltiertheit, blieb Stenz für diese Bekenntnismusik immer die entscheidende Spur zu kontrolliert, zu akademisch, zu neutral. So funktioniert Schreker nicht.

Eine Glanzleistung liefert Stefan Vinke als Alviano, die Partie liegt ihm perfekt in der Kehle, wie für ihn geschrieben. Vinke verfügt über die Dramatik und die strahlende Durchschlagskraft eines echten Heldentenors, führt die Stimme aber schlank und flexibel und hat auch die Beweglichkeit für die zahlreichen Parlando-Stellen. Im dritten Akt, wo für die meisten Kollegen aus dem Charakterfach Ende der Fahnenstange ist, erreicht er gerade mal Betriebstemperatur und bewältigt die Spitzentöne leuchtend und mühelos. Grandios auch seine Darstellung des hinkenden und innerlich zerrissenen Neurotikers in der Tragik seiner gespaltenen Persönlichkeit. Gäbe es einen Opern-Oscar, Vinke wäre heuer ein ganz heißer Kandidat für die beste männliche Hauptrolle! Ebenbürtig der kernige Bariton von Simon Neal (nicht zu verwechseln mit dem Tenor Simon O’Neill!) als Vitelozzo Tamare. Klug vermeidet der Künstler wohlfeile Schurkenklischees zugunsten einer differenzierteren Rollengestaltung. Hier ist auch der skrupellose Machtmensch, Verführer, Mörder und Vergewaltiger Tamare ein “Gezeichneter”, ein seelisches Wrack, der seine Perversion aber mit der Maske des glatten Politschnösels zu tarnen weiß. Erst im letzten Dialog mit Alviano enthüllt er seine gesamte Niederträchtigkeit, was dann umso erschütternder rüberkommt. Leider stand die Premierenbesetzung der Carlotta, Nicola Beller-Carbone, an diesem Abend nicht zur Verfügung. An ihrer Stelle bemühte sich Ingeborg Greiner mit großem Einsatz, sich in das Ensemble zu integrieren, was ihr darstellerisch auch durchaus gelang. Das relativ harte und wenig verlockende Timbre, das permanente Vibrato und einige Intonationsprobleme bereiteten dagegen wenig Freude. Auf erfreulich hohem Niveau präsentierte sich das Ensemble der Kölner Oper, wobei insbesondere der saftige Baß von Oliver Zwarg in der (vom Komponisten so intendierten) Doppelrolle als Herzog Adorno und Capitano di Giustizia und das quirlige Buffo-Paar Katrin Wundsam (Martuccia) und Ralf Rachbauer (Pietro) hervorzuheben sind.

Bayerische Staatsoper: “Macbeth” – 5.5. 2013

Absagepech kennt ja jeder Operngänger zur Genüge, natürlich sagt wenn dann derjenige aus der Besetzungsliste ab, auf den oder die man sich am meisten gefreut hatte… Weitaus seltener dagegen ist das Gegenteil, das Absageglück. So geschehen in der jüngsten Wiederaufnahme von Verdis „schottischem Stück“ wie wir abergläubischen Theatermenschen den Mxxxxxx zu nennen pflegen: dankenswerterweise hatte die angekündigte Interpretin der Lady M. kurzfristig die Segel gestrichen. So konnte man sich frohen Mutes auf den Weg ins Nationaltheater machen, da man an diesem Abend mutmaßlich von den rasiermesserscharfen Soprantönen und dem enervierenden S-Fehler jener Dame verschont bleiben würde.

Diese Inszenierung von Martin Kušej war 2008 die Eröffnungspremiere der Intendanz Bachler gewesen und hat sich im Repertoirebetrieb ausgezeichnet behaupten können. Nicht umsonst gilt Kušej als einer der profiliertesten Bilder-Erfinder unter den heutigen Star-Regisseuren und sowohl die präzise Charakterzeichnung seiner Regie wie auch die düstere, irreal-albtraumhafte Atmosphäre des Bühnenbildes von Martin Zehetgruber fesseln nach wie vor. Auch ohne personelle oder historische Analogien und Konkretisierungen entwirft Kušej eine zwingende und absolut moderne Psychologie der Macht und Gewalt; eine Aufführung, die Shakespeares Geist atmet, eine gute Prise kultivierten Horror hinzufügt und doch dem Musiktheater zu seinem Recht verhilft. Das muß man erst mal hinkriegen! Einziger Einwand sind nach wie vor die vielen unmotivierten Schwarzblenden, mit denen die relativ kurzen Szenen getrennt werden, was vor allem vor der Pause den szenischen Ablauf etwas stört.

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Bühnenbild von Martin Zehetgruber (Foto: Wilfried Hösl)

Wie schon in der Premierenserie sang Željko Lučić die Titelrolle und beeindruckt nach wie vor mit seinem kernig-markanten Material und seiner kultivierten Linienführung. Bezüglich  Phrasierung, Atemtechnik und Stimmkontrolle wirkt der Künstler sogar noch reifer, noch freier und stilsicherer als seinerzeit, die große Arie Perfidi! All’anglo contra me v’unite… Pietà, rispetto, amore im vierten Akt war ein Musterbeispiel in Sachen Verdi-Gesang. Lediglich seine Bühnendarstellung ließe sich noch intensivieren, bei aller Präsenz haftet seinem Auftreten oftmals ein latentes Phlegma an, das zur Rolle des Kriegers, Mörders und Thronräubers nicht wirklich passt… Davon konnte bei seiner eingesprungenen Partnerin Paoletta Marrocù wahrlich keine Rede sein, ihre Rollengestaltung wäre mit „extrovertiert“ entschieden zu schwach beschrieben, „manisch“ trifft es weit besser. Die psychotische Grenzgängerin, die Kušej hier inszeniert hat, übersetzte sich nachdrücklich. Und auch gesanglich ging die attraktive Sizilianerin in die Vollen und schonte weder sich noch andere.  So konnte die intensive Gestaltung zumindest teilweise kaschieren, dass die Stimme mittlerweile doch einige Schärfen aufweist und die Intonation nicht immer krisenfest ist. Rollendebütant Goran Jurić überzeugte als Banco mit Stimmschönheit und eleganter Phrasierung und Wookyung Kim heimste mit seiner wunderbar strahlend und durchschlagskräftig gesungenen Macduff-Arie den größten Einzelapplaus des Abends ein.

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Macbeth (Željko Lučić), getrieben von den Furien (Foto: Wilfried Hösl)

Weniger glücklich war ich mit dem Dirigat von Massimo Zanetti, das doch über weite Strecken sehr pauschal und undifferenziert ausfiel. Größere Unfälle oder Diskrepanzen waren zwar nicht zu beklagen, aber von der Plastizität und dem Farbenreichtum, die seine Vorgänger hier aus der Partitur gezaubert haben, war das doch weit entfernt. Insgesamt ein ordentlicher bis guter Opernabend, der es im Saisonrückblick aber vermutlich nicht in die Spitzengruppe schaffen wird.

 

Bayerische Staatsoper: “Der fliegende Holländer” – 17.4.2013

Ganz so viele Jahre wie der titelgebende untote Seefahrer hat diese Produktion noch lange nicht auf dem Buckel. Nach dessen Maßstäben wäre es gerade mal der zweite Landgang, denn „die Frist ist um und abermals verstrichen sind sieben Jahr“; seit der Premiere nämlich. Und immer noch ist die Inszenierung von Altmeister Peter Konwitschny eines der großen Highlights im Staatsopern-Programm und in jeder Aufführung ein Erlebnis. Selbst die fröhlich wechselnden Besetzungen der letzten Spielzeiten haben der immensen atmosphärischen Dichte und Bildhaftigkeit und der bezwingend genauen Personenregie Konwitschnys nicht nennenswert Abbruch getan.

Für frischen Wind sorgte an diesem Abend auch Dirigent Asher Fisch, der erstmals in München das Steuer des Holländer übernommen hatte. Sonst ja nicht unbedingt als einer der größten Dynamiker unter den Dirigenten bekannt, legte er diesmal gleich mächtig los, erreichte schon in der Ouvertüre locker Windstärke 8 und ließ auch in den folgenden knapp zweieinhalb Stunden nicht locker, eine musikantisch auftrumpfende, aber nicht undifferenzierte Lesart, die auch ihre lyrischen Ruhepunkte hatte. Das innig getragene Duett des Holländers mit Senta, mithin das musikalische und interpretatorische Zentrum der Partitur, gelang ihm ebenso stilsicher wie die „kracherte“ Volkstümlichkeit der Matrosenchöre. Selbst seine gefürchteten Generalpausen, in denen man sich fragt, ob es heute noch mal weitergeht, setzte er weitaus sparsamer ein als gewohnt… Warum eigentlich nicht immer so?

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Links: Epizentrum des Abends: Anja Kampe (Senta), Rechts: “Danish Dynamite” im Doppelpack: Johan Reuter (Holländer) und Stephen Milling (Daland) – Fotos: Wilfried Hösl                

Das Epizentrum der Aufführung war wieder einmal die phänomenale Anja Kampe als Senta, die seit der Premiere fast alle Aufführungen dieser Inszenierung bestritten hat. Wie bei ihr nicht anders gewohnt, stürzte sie sich mit vollem Stimm- und Körpereinsatz in die Partie und gestaltete die Borderlinerin von der Waterkant ohne Rücksicht auf Verluste. Ihr friesisch-herb timbrierter und zugleich metallisch leuchtender Sopran ist ideal für die Rolle und hat in den letzten Jahren an Schattierungen und Farben sogar noch hinzugewonnen. Einen guten Erfolg ersang sich auch Johan Reuter. Mit seinem kernigen und kultivierten, extrem wortdeutlichen Bariton gestaltete er einen betont menschlichen und durchaus bewegenden Holländer, der seine stärksten Momente in den introvertierten Szenen wie dem besagten Duett hatte. Was ihm hingegen doch abging waren die düstere Aura des Verfluchten und Rastlosen, die Dämonie und numinose Andersartigkeit des Geisterwesens sowie nicht zuletzt am Ende ein wenig die stimmlichen Kraftreserven. Sehr gut harmonierte Reuter mit seinem dänischen Landsmann Stephen Milling, dem der Daland geradezu auf den imposanten Leib geschneidert ist; mit seiner respekteinflößenden Statur und Präsenz sowie seinem nachtschwarzen, leicht knorrigem Baß war dieser geradezu ein Seebär aus dem Bilderbuch. Sehr prägnant besetzt waren auch der Steuermann mit Norbert Ernst (der Größenunterschied zu seinem Käptn sorgte für eine gewisse Heiterkeit im Saal) und die Mary mit Okka von der Damerau. Bleibt als einziger Wermutstropfen der Auftritt von Klaus Florian Vogt als Erik. Über die bekannte, anämisch weiße Stimmfarbe dieses Sängers kann man natürlich geteilter Meinung sein, es soll ja Leute geben, für die ein Chorknabentimbre im Wagnerfach für das Größte halten. Geht mir definitiv anders, ich empfand Vogts emotionsfreien, monotonen und manirierten Vortrag als Zumutung. Wobei man ihm in der Rolle des natural born loser eine gewisse typenmäßige Eignung schwerlich absprechen kann…!

Bayerische Staatsoper: “Hänsel und Gretel” – 24.3. 2013

Man glaubt es nicht! Hänsel und Gretel reloaded in der Landeshauptstadt! In einer NEUinszenierung! Nach „erst“ 48 Jahren wurde die mittlerweile prähistorische Produktion abgelöst und ins Magazin verbannt, allerdings (so hört man aus gut informierten Kreisen) noch nicht geschreddert… Man woaß ja nie ned und in Minga scho glei gar ned. Der Aufschrei der Staub & Moder-Fraktion unter Münchens Opernfreunden ließ nicht lange auf sich warten, fast so, als habe der Stadtrat beschlossen, die Regenbogenfahne zwischen den Türmen der Frauenkirche zu hissen oder den Bierausschank unter freiem Himmel zu verbieten… So ist das eben, wenn mehrere Generationen von Opernfreunden ihr Erweckungserlebnis in Sachen Oper mit der nun ausgemusterten Herbert-List-Inszenierung hatten und sich seitdem in Anspruch und Geschmack nicht mehr weiterentwickelt haben… Das war ja sooooo schön! Und vor allem für die Kiiiinder! Übrigens: die Premierengäste im Grundschulalter fanden die neue Inszenierung ganz toll, gingen richtig mit und tobten und kreischten am Ende vor Begeisterung. Soviel dazu.

Wobei: von einer „Neu“inszenierung kann eigentlich keine Rede sein. Vielmehr hat diese Produktion in der Regie von Richard Jones in den Bühnenbildern von Robert Mcfarland bereits eine weite Reise hinter sich, von der English National Opera und weitere Stationen bis zur New Yorker Metropolitan und nun hat man sich am Max-Joseph-Platz die Siebtverwertungsrechte erworben. Oder so ähnlich. Allzu großes Interesse an seiner Arbeit kann man Jones nicht mehr nachsagen, er hatte lediglich seinen Assistenten und seine Bankverbindung nach München geschickt. Ob die persönliche Anwesenheit des Chefs uns einen inspirierteren Abend beschert hätte? Das ist Spekulation, so jedenfalls holperte das Unternehmen nicht wenig, die sehr choreographisch angelegten Bewegungen waren alles andere als präzise und synchron, sahen zuweilen gar improvisiert aus, der Abend kam erst spät und langsam in Fahrt. Genauer gesagt erst gegen Ende des zweiten Aktes, hier allerdings ist Jones mit dem Abendsegen als Traumvsion eines üppigen Festmahls an einer langen Tafel mit brennenden Kerzenleuchtern und serviert von 14 feisten Köchen und einem fischköpfigen Oberkellner ein wunderbar bizarres und zugleich poetisch-irreales Bild gelungen. Wie sich denn überhaupt der Dualismus Essen-Hunger als optische Konstante durch das ganze Stück zieht, von den leeren Küchenschränken des Beginns über die Zwischenvorhang-Motive bis hin zum fröhlichen Gemansche in der Hexenküche. In letzterer erreicht die Regie dann endlich Betriebstemperatur und bietet das ausgelassene, skurrile und von britischem Humor durchzogene Spektakel, das ich mir für den ganzen Abend gewünscht hätte… Denn bis dahin hatte man eine arg langatmige und nicht eben einfallsreiche erste Stunde absitzen müssen, die wenig bis gar nichts fürs Auge bot und weder erhellend noch wirklich lustig war.

Bekanntlich ist Hänsel und Gretel ja eine verkappte Wagner-Oper und hat es orchestral richtig in sich. Nicht wenige Dirigenten haben vor dieser Partitur ob ihrer zahlreichen schnellen Takt- und Tempowechsel so richtig Manschetten und wirklich gerne macht das kaum einer; sogar ein alter Fahrensmann wie Knappertsbusch hielt die Oper für eine der Schwierigsten überhaupt für den Dirigenten… Leider wurden diese Tücken im Dirigat von Tomáš Hanus mehr als deutlich, er und das Orchester fanden kaum einmal eine hörbare gemeinsame Wellenlänge, rhythmische Unsicherheiten und Wackler prägten über weite Strecken das Bild. Vor allem aber fetzte Hanuš die Musik derart undifferenziert lärmend und knallig in den Saal, dass es in den Ohren wehtat. Subtilere Töne waren Mangelware und beschränkten sich auf die Naturschilderungen im zweiten Akt, allerdings riss auch hier der Spannungsbogen mit unschöner Regelmäßigkeit ab.

Großer Premierenjubel, vom Nachwuchspublikum wie von uns Freaks, galt den beiden Protagonisten Tara Erraught (Hänsel) und Hanna-Elisabeth Müller (Gretel), deren natürliches und quirlig-lebhaftes Spiel einfach mitriss und begeisterte, so glaubhaft und ohne Übertreibungen wie man es sich nur wünschen kann. Und auch gesanglich machten beide ihre Sache außerordentlich gut; Erraughts leichtgängiger, zartherb timbrierter Mezzo und Müllers schwebend lyrischer Sopran ergänzten sich ausgezeichnet. Nicht zum ersten Mal hat sich die konsequente und fachkundige Ensemblepolitik des Hauses hier ausgezahlt und Früchte getragen. Umso unverständlicher daher, dass man für die Eltern mit Janina Baechle als Gertrud und Alejandro Marco-Buhrmester als Peter zwei nur mäßig überzeugende Gäste engagiert hatte, wo man doch im eigenen Ensemble mit Okka von der Damerau und Markus Eiche zwei herausragende Besetzungsalternativen gehabt hätte…! Bleibt noch die Hexe, vom hauptberuflichen Mozart-Tenor Rainer Trost mit viel Mut zur Hässlichkeit und spürbarem Spaß an der Freud verkörpert. Daß die Betriebstemperatur im dritten Akt deutlich anstieg, war zum allergrößten Teil sein Verdienst.

Nach schwacher erster Halbzeit ist also schlußendlich noch ein zumindest annehmbarer Premierenabend geworden. Warum allerdings ausgerechnet Hänsel und Gretel, DIE Familien- und Einsteiger-Oper schlechthin, als einziges Werk in dieser Saison OHNE Übertitel gespielt wird, muß man nicht wirklich verstehen…

Bayerische Staatsoper: “Boris Godunov” – 17./27.2. u. 2.3. 2013

Wieviel Boris darfs denn sein? Wer Mussorgskijs Oper aufführen will, muß zunächst die dramaturgische Gretchenfrage „Wie hälst Du es mit der Fassung?“ beantworten: die verbreitete, leicht ausufernde Zweitversion von 1872 oder doch lieber den kompakten „Ur-Boris“ von 1868, kurz und bündig, mit ohne Pause und selbstverständlich in der originalen Instrumentierung des Komponisten, so wild, kompromisslos und herb wie die Oper gedacht war? Wie schon bei der letzten Produktion anno 1991 entschied man sich in München wiederum für letztere, statt in dreieinhalb ging es also in knackigen zweieinviertel Stunden über die Bühne.

Und diese 135 Minuten Musiktheater haben es in sich! Natürlich hatte bei einer Inszenierung des katalanischen Regie-Berserkers Calixto Bieto niemand ein putzig-idyllisches Russland-Panorama aus Rauschebärten und wallenden Gewändern, goldenen Kronen und Ikonen erwartet… Statt Tümelei und Russlandkitsch kommen hier nun die Essentials auf die Bühne, eine kompromisslos deutliche, unsentimentale und durch und durch pessimistische Lesart, ein in jedem Moment unter die Haut gehendes Porträt einer auf Machtmissbrauch, Lüge, Verrat, Manipulation und nackter Gewalt fußenden Gesellschaft. Hier ist nicht nur etwas faul im Staate, hier ist schon jede Menschlichkeit den Bach runtergegangen, es herrschen Sozialdarwinismus und Faustrecht, und zwar quer durch alle Schichten, vom Zaren bis zum Bauern reicht die moralische Verwahrlosung. Daß dies natürlich kein russischer Zustand ist, sondern alle angeht, zeigen die Postertafeln mit den Porträts aktueller und früherer Staatschefs aus aller Welt, die der Chor seinem neuen Potentaten entgegenreckt: Berlusconi neben George W., Sarkozy, Abe, Cameron & Co. Gleiche Brüder, gleiche Kappen, die perfekte Gesellschaft für den skrupellosen Machtmenschen und Zarenmörder Boris. Wie schon in Bietos hiesiger Fidelio-Inszenierung hat auch diesmal Rebecca Ringst ein ebenso spektakuläres wie sinnfälliges Bühnenbild konstruiert: ein aus rostigen Stahlplatten und Beton gebautes fahrbares Monstrum, eine Mischung aus Bunker und Schlachtschiff, in dem sich die Mächtigen vor dem Volk verkriechen, Kasernenfestung, Gefängnis und goldener Käfig zugleich. Für die Szenen im Zarenpalast klappen die Wände des Bunkers herunter und offerieren den Einblick in die luxuriöse Behausung der Macht, während wenig später die Molotow-Cocktails eines aufgebrachten Proletariats gegen die Außenwand fliegen. Dem Ambiente entsprechend ist die Personenführung präzise, schnörkellos und spannungsvoll, die atmosphärische Dichte des Geschehens nähert sich zuweilen der Grenze des Erträglichen. Bereits im ersten Bild wird ein Demonstrant von den Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen, die Schankwirtin (hier eine Art Marketenderin und degenerierte Mutter Courage) vermöbelt ihr uneheliches Kind mit dem Gürtel und erschießt einen Soldaten mit dessen eigener Waffe und noch während Boris’ Sterbeszene dringt der Pseudo-Dimitri in dessen Gemächer ein, um die gesamte Zarenfamilie inklusive Amme genüsslich und eigenhändig umzubringen. Es gibt keine Szene, in der niemand geschlagen, getreten, misshandelt oder getötet würde, dabei ergibt der „body count“ auch ein paar Leichen mehr, als im Libretto stehen… „Höhepunkt“ in dieser Hinsicht ist die Szene mit dem Gottesnarren: dieser wird nicht nur von den Kindern grausam gequält, am Ende seines berühmten (und hier besonders bewegenden) Klageliedchens wird er von einem kleinen Mädchen durch Genickschuß getötet, sadistisch und hingebungsvoll. Offenbar zuviel für manche Besucher, in allen von mir besuchten Aufführungen kam es an dieser Stelle zu vorzeitigen Aufbrüchen… Dabei ist das wirklich Verstörende an Bietos Gewaltdarstellungen gar nichtmal ihre visuelle Krassheit, sondern eher ihre beiläufige Selbstverständlichkeit. Dieser beklemmenden Atmosphäre kann man sich die gesamte Aufführung über nicht entziehen, das geht einfach unter die Haut so wie ich es in einer Opernaufführung selten erlebt habe.

Ebenso überragend und intensiv gerät die musikalische Seite, die mit der Regie eine absolute Einheit bildet. Dem leider zum Saisonende scheidenden GMD Kent Nagano gelingt in dieser seiner letzten „großen“ Premiere (es folgt im Juli noch die Neuproduktion der Kammeroper Written on skin von George Benjamin) eine der eindrucksvollsten und suggestivsten Einstudierungen seiner Amtszeit in München. Und das will schon was heißen! Das atemberaubend präzise und transparente Orchesterspiel nimmt die Härte und Kompromisslosigkeit der szenischen Deutung auf und übersetzt sie sozusagen in Musik, schafft aber immer wieder auch emotionale Durchbrüche, Momente der Reflexion und des Hinterfragens. Bei aller Klarheit und Durchhörbarkeit wird der Klang nicht zu hart und kompakt, die düstere Farbigkeit und Schroffheit der Musik, namentlich der hier gewählten Urfassung, arbeitet Nagano sinnfällig und intensiv heraus bis in die letzte Einzelstimme. Die großen Chorstellen haben eine fast archaische Wucht ohne aufgesetzt knallig zu wirken, Nagano spannt einen lückenlosen Spannungsbogen über die sieben Bilder, der auch in den kurzen Unterbrechungen, Auf- und Abtritten dazwischen nicht abbricht, eine Interpretation aus einem Guss, erfüllt von starker innerer Dynamik und Stringenz. Auch eine Sternstunde des Staatsorchesters!

Und schließlich auch eine des Besetzungsbüros; ein so geschlossenes und auf hohem Niveau homogenes Ensemble kann man lange suchen. Für Bass-Fans wie mich ist der Boris natürlich ein Fest, schließlich versammelt die Besetzungsliste mit der Titelrolle, dem Chronikschreiber Pimen und dem versoffenen Bettelmönch Warlaam gleich drei große Tieftöner-Partien…! Diese waren hier alle mit Boris-Stimmen besetzt, aber es konnte natürlich nur einen geben: den erst 38jährigen ukrainischen Bassisten Alexander Tsymbalyuk nämlich, der hier sein Rollendebüt feiern konnte. Wow! – So jung, so elegant und gutaussehend besetzt hat man die Rolle wohl noch nie gesehen. Ein smarter Manager der Macht, der im beinharten Polit-Alltag gelernt hat, seine Komplexe und seelische Deformation zu verbergen, umso effektvoller und schockierender dann sein Zusammenbruch und Tod am Ende der Oper. Zudem beweist Tsymbalyuk eindrucksvoll, dass man einen kaputten Typen auch mit intakter Stimme singen kann, sein prachtvoller Baß ist nachtschwarz und doch leuchtend, wird schlank und kantabel geführt und wabert nicht, hat aber zugleich Körper, Volumen und abgründige Fülle. So souverän die stimmliche Interpretation, so eindrucksvoll ist auch die Rollengestaltung. Und das auf Anhieb, beim Rollendebüt… Chapeau! Mit etwas mürberer, aber immer noch prächtig fließender Stimme und persönlichem Charisma macht Anatolij Kotcherga, selbst ein gefeierter Boris-Interpret, den Pimen zum eigentlichen Widersacher Godunovs. Seine Erzählung vom Tod des kleinen Zarewitsch gehört zu den Höhepunkten des Abends und am Ende kommt er in den Bunker mit dem spürbaren Vorsatz, den Herrscher mental über die Klinge springen zu lassen. Dritter im Bunde der Super-Bässe ist Vladimir Matorin, der mit fulminantem Proll-Appeal einen stimmgewaltigen Warlaam gibt, eigentlich schon eine Luxusbesetzung. Eine solche ist zweifellos auch Markus Eiche als „Regierungssprecher“ Schtschelkalow, so klangschöne und kernig-kultivierte Baritone findet man nicht oft. Bemerkenswertes Niveau herrscht auch an der Tenor-Front: Gerhard Siegel verleiht dem Intriganten Shuiskij charaktertenorale Schärfe und gleißnerischen Charme (dass er optisch stark an Lenin erinnert, ist hier sicher kein Zufall), Sergej Skorokhodov hat wahre Trompetentöne für den zwielichtigen Grischka und Kevin Conners ist ein berührender Gottesnarr, der hellsichtig das Schicksal kommen sieht, dasjenige Russlands wie auch das eigene. Eri Nakamura (Xenia) und Yulia Sokolik (Fjodor) bringen als Godunov-Sprösslinge etwas hellere Klangfarben in die düstere Grundstimmung ein und Okka von der Damerau gibt eine beeindruckend toughe, unwiderstehlich proletarische Schankwirtin. Überhaupt ist im Ensemble bis hin zu den kleinsten Rollen kein Schwachpunkt auszumachen. Gibt es doch gar nicht?! Doch, hier schon.

Bayerische Staatsoper: “Rigoletto” – 15./30.12. 2012

Mit Narren wieder nichts zu lachen…

Nach gängigem Theater-Aberglauben gibt es Werke, die alleine schon durch lautes Aussprechen ihres Titels Unglück bringen sollen; Offenbach Les contes d’Hoffmann ist so ein Fall und natürlich allen voran das „schottische Stück“ von Shakespeare, respektive Verdi. Jenes, das mit „M“ beginnt… Und dann gibt es offenbar Werke, mit denen ein bestimmtes Theater wenig, bzw. gar kein Glück zu haben scheint und denen man vor Ort nicht beikommt. So verhält es sich mit der Bayerischen Staatsoper und Verdis allseits beliebtem Klassiker Rigoletto. Nach den zwar im Ansatz konträren, aber gleichermaßen komplett missglückten Versuchen von Roman Polanski und Doris Dörrie wagte man nun am Max-Joseph-Platz einen neuerlichen Anlauf. Vorsichtshalber hatte man diesmal keinen Filmregisseur engagiert… Half alles nichts, wieder ging es schief, und zwar auf der ganzen Linie. Fast schien es, als habe Monterones Fluch nicht nur Fürsten und Narren getroffen, sondern auch Kapellmeister, Orchester und Regieteam gleichermaßen, der knackige Posaunenpatzer gleich im zweiten Takt der Premiere gab leider die Richtung vor. Nach Dörries berühmt-berüchtigtem Affen-Theater folgte nun ein Nicht-Theater, gähnende Langeweile und unsägliche szenische Ödnis in hellbeigem Einheitslook. Nun bietet eine Oper wie Rigoletto etliche mögliche Konflikte und „story lines“, die man erzählen könnte: Vater/Tochter etwa, oder auch Außenseiter/Gesellschaft oder Adel/Unterschicht… Pro forma war auf dem Besetzungszettel tatsächlich ein Regisseur angegeben, der Ungar Árpád Schilling nämlich. Was jener eigentlich gemacht haben soll, blieb auch nach wiederholtem Besuch und mit gutem Willen komplett im Dunkeln. Interaktion oder Personenregie fand in keinem Moment statt, jeder Sänger steuerte den ausgebauten Souffleurkasten an, ließ sich dort an der Rampe nieder und sang volle Kraft voraus ins Rund… Das sah den ganzen Abend eher nach vier Wochen bezahltem Urlaub für die Sänger aus denn nach konstruktiver Probenarbeit. Zuweilen wurde so nachlässig und desinteressiert agiert, dass es die Grenze der Arbeitsverweigerung streifte; etwa wenn zum Duett im zweiten Akt der Herzog (an der Rampe, wo sonst?) einfach gemessenen Schrittes hinter Gilda tritt und zu singen beginnt, ohne ihr auch nur die kleinste Reaktion oder Überraschung zu entlocken. Angesiedelt ist die Nicht-Regie in einem nicht weiter definierten Bühnenraum, der lediglich von einer teilbaren Tribüne für den Chor und einem weißen Gazevorhang ausgefüllt wird, am Ende des dritten Aktes schiebt sich eine riesige Pferde-Skulptur von hinten herein, die gerade mal zehn Sekunden zu sehen ist, bevor der Vorhang fällt, vor dem Rigoletto und Gilda den Schluß ihres Duettes abfeiern… Beim ersten Sehen habe ich es noch für eine technische Panne gehalten, es war aber offenbar so gewollt. Incredibile, ma vero. Welch ein Trauerspiel! Leider konnte die musikalische Seite des Abends auch nur partiell dafür entschädigen. Die größte Enttäuschung bereitete das Dirigat von Marco Armiliato, sonst ja als versierter und stilsicherer Maestro in Sachen italienische Oper bekannt und geschätzt… Diesen Premierenabend bekam er irgendwie nicht in den Griff, konnte keine Akzente setzen und beschränkte sich auf eine uninspirierte und zudem von vielen Wacklern, Aussetzern und rhythmischen Unsauberkeiten geprägte Begleitung, die auch dem letzten Rest an Emotion den Garaus machte. Wenn man weiß, wie grandios das Orchester spielen kann, musste man sich schon sehr wundern. Unter diesen Umständen konnte man die Sänger nur bedauern, gegen solche Lethargie anzusingen und lebendige Charaktere zu formen, ist natürlich ein ganz dickes Brett… entsprechend blieben diese, vor allem gestalterisch, auch etwas unter ihren Möglichkeiten. So stellte Franco Vassallo in der Titelrolle vokal durchaus seine Marktführerschaft in Sachen Verdi-Bariton unter Beweis, blieb die Zerrissenheit und zerstörerische Doppelexistenz der Figur allerdings weitgehend schuldig, da habe ich ihn, auch in dieser Rolle, schon besser gehört. Ähnliches gilt auch für Joseph Calleja als Duca, mit dem er 2005 in München debütiert hatte. Inzwischen ist die Stimme dunkler und schwerer geworden, die belcanteske Leichtigkeit und Eleganz nicht mehr so selbstverständlich vorhanden. Das profilierteste Rollenporträt des Abends gelang Patricia Petibon als Gilda; und das, obwohl sie, im Gegensatz zu den Kollegen, nicht unbedingt eine genuine Verdi-Stimme besitzt. Diese ist nicht riesig groß und eher herb als lieblich timbriert, aber tragfähig und differenziert. Diese Gilda ist kein süßes armes Hascherl, sondern eine durchaus toughe und selbstbewusste junge Frau, welche ihre Welt durchaus hinterfragt und ihr Schicksal selbst bestimmt bis zuletzt. Ein bemerkenswertes Debüt gab der junge russische Bassist Dimitri Ivashchenko mit kultivierter Stimmführung und klangschönem (wenn auch etwas baritonalem) Material. Daß er zusätzlich zu Sparafucile auch noch den Monterone sang, hatte ebenso wenig einen erkennbaren Sinn wie die Doppelrolle Maddalena und Giovanna, die von Nadia Krasteva verkörpert wurde.

Während sich die Sänger am Ende eines äußerst ermüdenden Abends feiern lassen konnten, schlug den Regieverweigerern ein Buh-Orkan von lange nicht gehörter Lautstärke und Einhelligkeit entgegen. In dieser Produktion hat nicht nur der Narr nichts zu lachen, dieser Rigoletto ist bereits am Premierenabend ein Fall für die Tonne.